Süddeutsche Zeitung

Anti-Doping-Kampf:Zeit für neue Werkzeuge

Eine ARD-Dokumentation enthüllt, dass Doping-Sabotage erschreckend einfach ist - schon ein Handschlag kann für eine positive Probe sorgen. Was wie eine schlechte Nachricht klingt, sollte Anlass sein, das ganze System zu überdenken.

Kommentar von Johannes Knuth

Sportführer und ihre Anti-Doping-Reden vor Olympischen Spielen, das bot in der Vergangenheit verlässlich Stoff für abendfüllende Kabarettsendungen. Vor den Sommerspielen 2012 in London versprach Sebastian Coe, der damalige Cheforganisator, die "saubersten Spiele aller Zeiten". Rekordverdächtig war dann höchstens Coes Unverfrorenheit, wie sich bei den Nachtests herausstellte: Eine größere Umschichtung an Medaillen wurde bis heute selten dokumentiert.

Hübsch auch die Winterspiele 2014 in Sotschi: Kurz nach der Sause am Schwarzen Meer pries das Internationale Olympische Komitee das "stringenteste Anti-Doping-Programm in der Geschichte der Winterspiele" und jubilierte, die Spiele seien ein Fest gewesen für saubere Athleten. Bis sich herausstellte - kann natürlich mal passieren - dass die Gastgeber viele Proben im Anti-Doping-Labor sabotiert hatten, mithilfe des Geheimdiensts. Zwei Jahre später, Russlands Staatsdopingprogramm war mittlerweile entblättert, durfte das Land bei den Sommerspielen in Rio trotzdem in Mannschaftsstärke starten, mit Flagge und Hymne.

Für die nahenden Spiele in Tokio ist der Wettbewerb der Fensterreden noch offen, bislang mit den üblichen Einsendungen: Nie habe man die Athleten unmittelbar vor den Spielen so intensiv durchleuchtet, behauptete die International Testing Agency (ITA), die IOC-nahe Testbehörde, unlängst, was besonders ulkig ist, wenn man bedenkt, dass das Kontrollsystem in der Vorbereitung wegen der Pandemie zeitweise komplett brachlag. In jener Zeit also, in der sich die chemische Nachhilfe besonders lohnt.

Aber vielleicht bleibt diesmal ja auch etwas Neues hängen. Wie wäre es mit: die Spiele, bei denen der Sockel der Anti-Doping-Mühen endgültig zerbröselte?

Vielleicht ist die These ein wenig zu optimistisch, es ist ja noch immer der Sport, der sich hier selbst kontrolliert und reglementiert. Aber es ist schon frappierend, was eine Dokumentation der ARD-Dopingredaktion jetzt gehoben hat. Sie hatte in einem Experiment zwölf männlichen Probanden geringe Mittel verschiedener Anabolika verabreicht, mit einer Trägersubstanz, per Händeschütteln etwa. Das reichte schon, um die Dopingtests im Kölner Labor ausschlagen zu lassen, zum Teil noch zwei Wochen später.

Das legt tatsächlich eine massive Schwachstelle frei: Im Sportrecht trägt grundsätzlich der Athlet die Beweislast - ist eine Substanz erst mal in seinem Körper, muss er beweisen, wie sie dorthin gelangte. Sabotageakte wurden da in der Vergangenheit oft schief belächelt. Im Lichte der neuen Erkenntnisse ließe sich das bisherige Prozedere aber nur schwer halten. Wie soll ein Athlet das auch nachweisen: einen Anschlag per Händedruck? Diesen Nachweis zu erbringen, würde vermutlich selbst den russischen Geheimdienst vor Herausforderungen stellen.

Für das Anti-Doping-System liegt in solchen Erkenntnissen freilich immer auch eine Chance. Das bisherige Prozedere krankt ja ohnehin massiv, es zwingt Athleten große Auflagen auf, fast immer und überall für die Tester erreichbar zu sein. Die Fangquoten sind dabei erbärmlich, gemessen am Aufwand und den Dunkelziffern, die anonyme Studien nahelegen.

Die großen Skandale wurden ohnehin selten durch Tests entblättert, vielmehr dank Kronzeugen (Lance Armstrong) und Kriminaluntersuchungen (Balco, Aderlass et al). Höchste Zeit also, die noch recht neuen Werkzeuge im Inventar der Fahnder zu forcieren: Die verdeckten Ermittlungen, unter der Regie des einstigen Polizisten Günter Younger bei der Welt-Anti-Doping-Agentur etwa, oder die Anti-Doping-Gesetze, die Staatsanwälten erlauben, Athleten und Hintermänner abzuhören und Dopingnester freizulegen, wie zuletzt in der Operation Aderlass.

Worauf man dabei eher nicht zählen sollte: die Wortmeldungen aus dem organisierten Sport.

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