Dopfers Silbermedaille:"Komm Fritz, dieses Mal"

Erstmals zwei deutsche WM-Medaillen in einem Rennen seit 28 Jahren: Während sich Draufgänger Felix Neureuther über sein Glück erst spät freuen kann, erlebt der sonst brave Fritz Dopfer im Slalom von Beaver Creek das Rennen seines Lebens.

Von Matthias Schmid

Am Abend in der Bully Ranch von Vail, Colorado, nach dem ganzen Trubel, nach der Siegerehrung, war Felix Neureuther wieder in die Rolle des oberbayerischen Lausbubs geschlüpft, wie man ihn schon so oft erlebt hat. Im Deutschen Haus lief er auf Mathias Berthold zu - direkt, entschlossen, ohne Umwege, wie es sich Neureuther wohl vorher auf der Piste gewünscht hätte. Neureuther übergoss den Chef-Bundestrainer in schicker Abendgarderobe gekleidet mit einer Flasche Sekt. Diesen kleinen Spaß wollte er sich nicht nehmen lassen.

Stunden nachdem er die Bronzemedaille im Slalom der Ski-Weltmeisterschaft nur wegen des Missgeschicks von Marcel Hirscher errungen hatte, konnte er sich nun ehrlich darüber freuen. "Heute war das Glück auf meiner Seite", sagte der 30-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen: "Wenn ich heute wieder Vierter geworden wäre, das wäre Wahnsinn gewesen. Da hätte ich mich tief eingebuddelt." In der Bully Ranch grämte es ihn auch nicht mehr, dass er im zweiten Durchgang einen groben Fehler im Mittelteil hatte, "dass das letzte Ding heute einfach gefehlt hat", wie er sagte.

Dieses letzte Ding, einen fast perfekten Lauf, hatte diesmal sein Mannschaftskollege Fritz Dopfer gezeigt. Endlich gezeigt, muss man bei dem 27-Jährigen hinzufügen. Er war in dieser Saison nie schlechter als Rang zehn gefahren, niemand war beständiger als der gebürtige Österreicher. Kein Hirscher, kein Neureuther. Dennoch hatte es für Dopfer nie für ganz oben auf dem Stockerl gereicht.

Um zwei Hundertstelsekunden hatte er im Januar im Schweizer Adelboden seinen ersten Weltcup-Sieg verpasst, bei den Olympischen Spielen in Sotschi hatten im vergangenen Jahr fünf Hundertstelsekunden zur Bronzemedaille gefehlt. Vor dieser WM verletzte er sich im Trainingslager der Deutschen am Rücken so schwer, dass sein WM-Start auf dem Spiel stand. Nun doch der große Erfolg, sein großer Tag. "Das ist einfach genial, dass es bei mir selber und beim Felix so gut gelaufen ist", sagte Dopfer nach seiner Silbermedaille. Zwei Zehntelsekunden war er im Ziel schneller als Neureuther, nur gegenüber dem Franzosen Jean-Baptiste Grange hatte er um 0,35 Sekunden das Nachsehen.

Dopfer wechselte den Skiverband

Schon im Sessellift zur Besichtigung des Finaldurchgangs hatte Dopfer gespürt, dass es heute etwas werden könnte mit seiner ersten Einzelmedaille bei einem Großereignis. Für ihn, der neben der österreichischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und 2007 nur deshalb zum Deutschen Ski-Verband wechselte, weil er sich dort größere Chancen ausrechnete im Weltcup-Team aufgenommen zu werden.

Viele seiner damaligen Kollegen am Tiroler Ski-Gymnasium in Stams arbeiten heute als Serviceleute im Weltcup. Sie wachsen und schleifen die Ski der Rennfahrer. "So etwas hätte Fritz bei uns auch gedroht", hat Reinfried Herbst mal erzählt, der mit Rang zwölf diesmal bestplatzierte österreichische Fahrer im Slalom.

Dopfer beginnt bei der Siegerehrung zu weinen

In Deutschland hat es Dopfer nun zum Weltklasseläufer geschafft. Zu einem Weltklasseläufer ohne Medaille, weil er in den zweiten Durchgängen oft zu rational gefahren war. Er ist, anders als Neureuther, kein wilder Hund. Er wollte diesen Makel endlich loswerden. Also saß er am Sonntag im Lift nach oben und schwor sich: "Komm, Fritz, dieses Mal machst du den Fehler nicht!"

Er wollte endlich am Limit fahren, "attackieren", wie die Rennfahrer gerne sagen. Den Ski freigeben, mutig sein. "Das ist mir endlich gelungen", sagte Dopfer. Er hatte schon so oft im zweiten Lauf eine Blockade im Kopf. "Ich wollte mein gutes Ergebnis aus dem ersten Durchgang zu oft nur verwalten", sagt Dopfer. Von außen hatte es oft so ausgesehen, als würde er das letzte Risiko scheuen. "Man kann einen Menschen nicht um 180 Grad drehen", sagt dazu der deutsche Techniktrainer Albert Doppelhofer. Dopfer selbst wählte bei der WM dieses Mal das Risiko - und gewann Silber. Es war auch ein Sieg über sich selbst.

Wie nah Medaille und Ausscheiden im Slalom beisammen liegen, musste am Sonntag auch Marcel Hirscher erfahren. Zwei Goldmedaillen hatte der Ausnahmefahrer bei dieser WM in Colorado schon geholt. Er war mit rund einer Sekunde Vorsprung in den Finallauf auf Dopfer und Neureuther gestartet, die nach dem extrem schwierigen ersten Durchgang auf den Rängen sechs und sieben platziert waren. Vor der letzten Zwischenzeit lag er auch noch knapp vor dem Führenden Grange. Alles schien auf Gold hinauszulaufen, bis er kurz vor Schluss ein Tor überfuhr, einfädelte, ausschied. "Der Ausfall grad heute ist oarsch, aber so ist es halt" kommentierte er salopp.

Wörndl gewann vor 28 Jahren Gold in Crans-Montana

Besonders deshalb konnte sich Neureuther über Bronze zunächst nicht richtig freuen. Trotz aller Rivalität pflegt er mit Hirscher eine Freundschaft. "Sicher ist die Medaille schön, aber man will nie gern von einem Fehler des Konkurrenten profitieren", sagte Neureuther unmittelbar nach dem Rennen.

In der Bully Ranch am Abend war das dann kein großes Thema mehr, auch der drehende erste Durchgang nicht, den Neureuther ein "unvorstellbares Gemurkse" nannte. 28 Jahre mussten vergehen, bis wieder zwei deutsche Rennläufer bei einer WM gemeinsam auf dem Podium standen. In Crans-Montana 1987 war das zuletzt der Fall gewesen, als Frank Wörndl den Slalom gewann und Armin Bittner als Dritter das Rennen beendete. Anders als Neureuther kullerten bei Dopfer ein paar Tränen die Wangen hinab bei der Siegerehrung. Dopfer sagte: "Da übermannen einen wirklich die Emotionen, weil in dem Moment extrem viel vor dem inneren Auge abläuft."

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Fritz Dopfer habe 2007 die Staatsbürgerschaft gewechselt. Dies ist nicht richtig: Dopfer besitzt seit Geburt die deutsche und die österreichische Staatsbürgerschaft. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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