Kreuzbandriss von Dominik Paris:Bis der Ski zubeißt

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Saison beendet: Dominik Paris, hier am vergangenen Wochenende beim Abfahrtsrennen von Wengen, wo er auf Platz zwei landete, muss mit einem knappen Jahr Wettkampfpause rechnen. (Foto: Sammy Minkoff/imago)
  • Mit Dominik Paris reißt dem zurzeit dominierenden Abfahrer und Favoriten für die Speed-Rennen in Kitzbühel das Kreuzband.
  • Harte Pisten und immer aggressiveres Material: Der Renndirektor des Ski-Weltverbandes, Markus Waldner, spricht von einem "Radl", das man seit Jahren überspanne und kaum noch zurückdrehen könne.
  • DSV-Direktor Christian Schwaiger findet die Ballung der Rennen im Januar problematisch.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Vor ein paar Tagen habe man erst wieder darüber diskutiert, sagt Christian Schwaiger, der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrer: Da meinten ein paar Kollegen, dass im alpinen Weltcup in diesem Winter noch gar nicht so viele Fahrer verunfallt seien. Aber Schwaiger war skeptisch. Bei den Männern standen die schweren Abfahrten ja gerade erst bevor, Wengen, Kitzbühel, Garmisch-Partenkirchen. Er habe sofort entgegnet, sagt er, als man ihn unter der Woche in Kitzbühel trifft: "Wartet mal noch den Januar ab."

Schwaiger bekam schneller recht, als ihm lieb war: Am vergangenen Wochenende erlitten die Schweizer Aline Danioth und Marco Kohler Kreuzbandrisse, am Dienstag erwischte es das bislang prominenteste Unfallopfer des Winters: Der Italiener Dominik Paris stürzte im Training, Kreuzbandriss, Saison vorbei.

Paris war in den vergangenen Jahren meist die größte Attraktion in Kitzbühel und sollte es am kommenden Wochenende wieder sein; er, der sein gewaltiges Talent einst in Wirtshäusern zu verschleudern drohte, auf einer Schweizer Alm zur Besinnung fand und seitdem Erfolg an Erfolg knüpft, WM-Gold, vier Siege allein auf der mythenumrankten Streif. Der 30-Jährige wirkt wie ein menschgewordener Massivholzschrank, 100 Kilo schwer, 1,83 Meter groß; er schwärmt noch dann, wenn kampferprobte Kollegen über zu schwere Pisten klagen. Seine schwerste Verletzung in zehn Weltcup-Wintern war ein Muskelfaserriss. Eine Petitesse im Abfahrtssport.

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Nun knüpft er erst mal nur die Textbausteine aus dem Versehrten-Abc aneinander: "Höhen und Tiefen gehören zum Spiel dazu", richtete Paris am Abend seines Sturzes aus, "ich stelle mich der Herausforderung und schaue voll auf den nächsten Winter!" Am Tag darauf steht Beat Feuz im Zielraum in Kitzbühel, der Schweizer war neben Paris der bislang überragende Abfahrer dieses Winters. "Dominik ist seit zwei, drei Jahren einer der Heroes, der die ganze Geschichte prägt", sagt Feuz: "Solche Athleten sind doppelt wichtig. Von daher ist das jetzt doppelt bitter."

Derartige Wortmeldungen sind zu einer vertrauten Begleitmelodie der Alpinen geworden. Knieverletzungen sind längst für fast die Hälfte der Krankenstände im Weltcup verantwortlich, der Ski-Weltverband (Fis) hat seit 2006 allein 414 Knie- und 155 Kreuzbandschäden registriert. Sie verteilen sich recht gleichmäßig auf die untersuchten Winter, neu ist das Problem also nicht. Aber die kühle Regelmäßigkeit, mit der es die Athleten aus ihrem Sport reißt, erschreckt dann doch immer wieder.

Markus Waldner, der Renndirektor der Fis, sitzt am Abend des Unfalls in einem Konferenzsaal in Kitzbühel, seine Augen sind müde, der Januar schlaucht schon die, die nur an der Piste stehen. "Saublöd" sei Paris' Sturz verlaufen, sagt Waldner, er habe auf einer gut präparierten Piste in Kirchberg trainiert, sei ausgerutscht und Richtung Fangzaun geschlittert. Und weil er nicht ins Netz rauschen wollte, habe er sich rasch aufgerichtet, ein Ski biss sich in den Schnee, das Knie verdrehte sich. Eine Sekunde Unachtsamkeit, und die Arbeit von Monaten: zerbröselt.

Waldner redet jetzt von einem "Radl", das man seit Jahren überspanne und nun kaum noch zurückdrehen könne. Er redet von Pisten, die man eisig präpariere - teils so sehr, dass der Norweger Kjetil Jansrud sich vor einem Jahr die Hand brach, als sie auf die brettharte Streif schlug. Man könne die Strecken weicher anlegen, sagt Waldner, klar, aber dann würden sich die Bedingungen nach wenigen Läufern massiv verschlechtern. Also: harte Pisten, überall.

Das führe nur dazu, dass die Serviceleute die Skischuhe, Platten, Bindung und Skier so aggressiv einstellen, dass ihre Läufer besser Halt finden. Und weil jeder auch noch ein wenig schneller sein will als die Mitbewerber, werde das Material Jahr für Jahr noch ein bisschen schärfer präpariert. "Wenn man da ein bisserl außerhalb der normalen Winkel kommt", sagt Waldner, "reißt eben sehr schnell ein Kreuzband."

Wobei reißen nicht ganz stimmt, wie der Arzt Christian Hoser, der in Innsbrucker viele Kreuzbandpatienten operiert, zuletzt dem Portal Spox sagte. Die Kräfte seien mittlerweile so groß, dass es die Bänder "regelrecht zerfetzt".

"Wir stehen alle vor einer Wand", sagt Markus Waldner, dabei habe man sich ausdauernd mit den Skiherstellern ausgetauscht. Aber bislang sei man nur darauf gekommen, dass man die Pisten so gleichmäßig wie möglich präparieren müsse. So rutsche ein Fahrer mit einem Set-up fürs Eisige nicht auf einmal in weicheren Schnee, was in der jüngeren Vergangenheit oft zu Kontrollverlusten führte.

"Die Athleten ermüden jeden Tag ein bisschen mehr", sagt Christian Schwaiger

Ganz weiche Pisten, wie früher, gibt es schon deshalb nicht mehr, weil der weiche Naturschnee längst nicht mehr verlässlich fällt. Aber das ewige Eis löst das Problem auch nicht, im Gegenteil. Die Läufer müssen sich immer stärkere Muskeln antrainieren, um ihre Ski für bis zu zwei Minuten ins Eis zu pressen. "Wenn man das vergleicht mit Ken Read", sagt Waldner über den Kanadier, der 1980 auf der Streif gewann: "Die hatten damals die halben Wadln." Nur die Bänder, die heute die dickeren Muskeln halten, sind noch immer gleich dünn.

Solange das Radl dort sei, wo es gerade nun mal sei, beschließt Waldner seinen kurzen Vortrag, "gibt es da keine Lösung".

Keine Lösung?

Ein paar Ansätze gibt es ja schon, seit Jahren, aber sie kommen nicht so recht zur Entfaltung. Im Deutschen Skiverband, unter Wissenschaftskoordinator Karlheinz Waibel, haben sie schon vor Jahren eine Orthese entwickelt, die Skifahrer vor Kreuzbandverletzungen schützen soll, die aber im Spitzenbereich nur vereinzelt eingesetzt wird. Andere Ausrüster tüfteln seit einer Weile an einer Art Airbag fürs Knie, aber vom Konzept bis zur Marktreife braucht es viele Tests und vor allem: Geld. "Da kann man nur alle auffordern", hat Waibel erst voriges Jahr gesagt, Hersteller, Verbände, die Fis. Aber wo es viele Parteien und viele Interessen gibt, herrscht selten Einigkeit.

Und noch etwas sei problematisch, sagt Christian Schwaiger, der DSV-Chefcoach. Der Weltcup spannt sich von Oktober bis März, die Rennen ballen sich aber im Januar - dann sind TV-Quoten am besten, die Zuschauerzahlen, Sponsorengelder. Um den Jahreswechsel, nach den harten Abfahrten zuletzt in Bormio (wo Paris zweimal gewann), habe man mit den Abfahrern noch mal zehn Tage trainiert, sagt Schwaiger. Aber jetzt, da gehe es "Woche für Woche auf sehr schwierige Abfahrten", ohne Zeit für Training und Erholung: "Die Athleten ermüden jeden Tag ein bisschen mehr", sagt Schwaiger, "und man weiß ja nicht, wie viele Mikrostrukturen im Körper auf jeder Abfahrt kaputtgehen." Viele erwischt es dann in Garmisch, am letzten Januarwochenende auf der schweren Kandahar.

"Mei", sagt Thomas Dreßen, dem im vorherigen Winter das Kreuzband riss, nach dem Trainingslauf am Mittwoch: "Es ist halt einfach a Risikosportart. Früher haben sie sich die Knochen gebrochen, jetzt sind es die Bänder, die flöten gehen." Im DSV hat sich zuletzt Marlene Schmotz das Kreuzband gerissen, es war ein großer Verlust für das Technikteam der Frauen, aber verglichen mit anderen Teams und früheren Wintern hatten die Deutschen bislang noch Glück.

Aber noch ist der Januar ja nicht vorbei.

Anmerkung: In einer früheren Version war die Rede davon, dass auch der DSV an einem Art Airbag fürs Knie arbeitet. Diese Passage wurde präzisiert.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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