Dominic Thiem:Endlich im Palast

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Die Balance gefunden: Dominic Thiem besiegte im Achtelfinale den Vorjahresfinalisten Kevin Anderson aus Südafrika klar in drei Sätzen. (Foto: Kena Betancur/AFP)

Der Österreicher überzeugt bei den US Open. Im Viertelfinale ist die Frage, wer ihn mehr einschüchtert: Rafael Nadal oder das größte Tennisstadion der Welt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Sie haben eine neue Arena hingestellt auf die Tennisanlage in Flushing Meadows, im Mittelalter wäre das die Burg neben dem Königspalast gewesen, und genauso wie damals liegt auch heute ein Universum zwischen den beiden Bauwerken, die da direkt nebeneinanderstehen. Im Arthur Ashe Stadium spielte am Sonntagnachmittag der amtierende König, der US-Open-Titelverteidiger, der Weltranglistenführende. Rafael Nadal (Spanien) hielt Hof, er besiegte den nur im dritten Durchgang ein wenig frecher spielenden Nikoloz Bassilaschwili (Georgien) mit 6:3, 6:3, 6:7 (6), 6:4. Beinahe gleichzeitig gewann Dominic Thiem (Österreich), einer der Kronprinzen dieses Sports, im Louis Armstrong Stadium überraschend deutlich mit 7:5, 6:2, 7:6(2) gegen den Vorjahresfinalisten Kevin Anderson (Südafrika).

Es sagt immer auch was über den Stand eines Spielers im Lehnswesen dieses Sports aus, wo seine Partien bei den US Open angesetzt sind. Das gemeine Tennisvolk muss sich auf den Nebenplätzen nach oben dienen, die schnöde durchnummeriert sind von vier bis 17, der Adel darf auf den Grandstand, die größte Tennisarena der Welt ist für die Königsfamilien reserviert - wobei schon festgehalten werden muss, dass Tennis keine Meritokratie ist, in der die Besten auch die Angesehensten oder Reichsten sind. Maria Scharapowa (Russland) zum Beispiel, in der Weltrangliste derzeit gerade mal auf Platz 22, darf auffallend häufig im monströsen Stadion spielen und meist sogar zur besten Sendezeit.

"Ich habe gegen ihn drei schöne und sechs schreckliche Erinnerungen", sagt Thiem

Thiem hat bislang erst ein Mal im Arthur Ashe Stadium spielen dürfen, vor zwei Jahren gegen Juan Martín del Potro, und er hat diese Partie wegen einer Verletzung bereits im zweiten Satz aufgeben müssen. Nun darf er wieder hinein, gegen Nadal, zum ersten Mal spielen die beiden auf Hartplatz gegeneinander. "Ich habe gegen ihn drei schöne und sechs schreckliche Erinnerungen", sagt Thiem, und die Tatsache, dass die beiden schon zehn Mal gegeneinander angetreten sind, lässt darauf schließen, dass Thiem wahrscheinlich das French-Open-Finale in diesem Jahr aus seinem Gedächtnis verdrängt hat. Nadal gewann 6:4, 6:3, 6:2, und die Partie war genauso spannend, wie es das Ergebnis vermuten lässt. "Das hat sehr wehgetan", sagt Thiem: "Aber nun sehen wir mal, wie es auf einem anderen Belag läuft."

Thiem, der am Montag seinen 25. Geburtstag gefeiert hat, ist wie Nadal ein Sandplatz-Spezialist, doch hat er auf den Plätzen in Flushing Meadows, die nach allgemeinem Dafürhalten der Spieler in Kombination mit den schwereren Filzkugeln in diesem Jahr äußerst langsam sind, solide Leistungen gezeigt. Er hat Mirza Basic (Bosnien-Herzegowina) vom Platz geschossen und die Amerikaner Taylor Fritz und Steve Johnson niedergerungen, am Sonntagnachmittag hat er Anderson besiegt, vor dem er aufgrund dessen Spielweise mindestens so viel Respekt hatte wie nun vor Nadal.

Genau das scheint der Schlüssel zum Erfolg für Thiem zu sein: Er muss einen Kontrahenten respektieren, aber er darf ihn nicht fürchten. Beim Turnier in Madrid zum Beispiel hat er Nadal im Viertelfinale mit 7:5, 6:3 besiegt, weil er dem Spanier forsch und furchtlos begegnet ist. "Ich habe ein paar Mal zu lasch gegen ihn agiert und bin manchmal total unter die Räder gekommen. Das wird mir diesmal sicherlich nicht passieren", sagt Thiem, mit dem Nadal in Monte Carlo beim 0:6, 2:6 den Platz abgezogen hat: "Nadal hat in dieser Saison erst drei Partien verloren, er hat das letzte Turnier vor den US Open auf Hartplatz gewonnen, er ist gegen gefährliche Gegner bislang trotz enger Ergebnisse nicht wirklich in Bedrängnis gekommen. Er ist auf jeden Fall derjenige, den es zu besiegen gilt."

Er darf nun also in den Königspalast, und er freut sich auf diesen, nun ja, zweiten Besuch: "Das ist schon ein gewaltiger Unterschied, es sind völlig andere Dimensionen." Wer verstehen möchte, inwiefern sich eine Partie auf einem Außenplatz von einer im Arthur Ashe Stadium unterscheidet, der sollte wissen, was ein Spieler beim Ballwurf sieht. Draußen, auf Platz elf zum Beispiel: Platz und Gegner, Werbebande, Himmel. Im großen Stadion: Platz und Gegner, Werbebande, Zuschauer, VIP-Logen. Zuschauer, Kommentatoren-Boxen, Anzeigetafel, Dachkonstruktion. Die Perspektive verändert sich, nicht nur bei der Spieleröffnung, und das bedeutet natürlich einen Vorteil für den, der das gewohnt ist. Nadal hat seine vier Partien bislang allesamt im Arthur Ashe Stadium bestritten.

Die Gäste im großen Stadion sind oftmals derart beeindruckt von der Größe dieser Arena, von den vielen Zuschauern, von der einzigartigen Atmosphäre, von diesen Dimensionen und der Perspektive, dass sie vergessen, dass da ja auch noch ein Tennisspiel stattfindet. Sie verlieren eine Partie, noch bevor sie begonnen hat, weil sie sich selbst zu klein machen in diesem viel zu großen Bauwerk.

"Ich werde auf jeden Fall versuchen, dass ich am Morgen noch einmal eine halbe Stunde lang im Stadion trainieren darf, um mich an die Bedingungen zu gewöhnen", sagt Thiem vor dem ersten Grand-Slam-Viertelfinale seiner Karriere, das nicht auf Sand ausgetragen wird: "Ich werde auf jeden Fall aggressiv und furchtlos spielen." Er hat nun eine Einladung bekommen in den großen Palast, und er muss nun zeigen, ob es nur ein Gastspiel sein wird, oder ob er sich dauerhaft dort etablieren kann. Wie auch immer die Partie gegen Nadal endet: Es lebe der König!

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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