Sportfilme beim DOK.fest München:Schwarze Lunge Kreuzberg

Lesezeit: 3 Min.

In den 90er-Jahren von Hausbesetzern in Kreuzberg gegründet: das Berliner Amateur-Fußball-Team Pulmon Negro.
In den 90er-Jahren von Hausbesetzern in Kreuzberg gegründet: das Berliner Amateur-Fußball-Team Pulmon Negro. (Foto: DOK.fest München)

Sehen Männer einen Ball, sehen sie oft rot: Sie pöbeln, wüten, saufen und blutgrätschen. Das Porträt von Freizeitkickern aus dem Kiez räumt mit solchen Klischees auf - und zeigt, wie vielfältig Männlichkeit sein kann.

Von Julian Sieler

Was bedeutet es, ein Mann zu sein? Nichts Gutes, schon gar nicht auf dem Fußballplatz. Schließlich brechen dort alle verdrängten Urtriebe aus dem Mann heraus. Sieht er einen Ball, sieht er rot: Er pöbelt, wütet, säuft und blutgrätscht. Diese Klischees über Männer und Fußball konfrontiert die Dokumentation "Mannschaft" mit der Realität eines Berliner Freizeitteams.

Regisseur Tobit Kochanek zeichnet darin das Porträt der Amateurmannschaft Pulmon Negro. Das Team wurde in den 90er-Jahren von Hausbesetzern in Kreuzberg gegründet. Damals hat Pulmon Negro noch auf Asche gekickt, die in dunklen Staubwolken aufwirbelte. Daher der Name, "Schwarze Lunge". Jedem mit einem Mindestmaß an Ballkunst soll sie im Kiez ein Zuhause sein: "Es ist scheißegal, wer du bist, Hauptsache, auf dem Platz gliederst du dich in die Mannschaft ein." Die Kicker sind ein "heterogener Haufen", so bunt wie das Stadtviertel. Sie stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, manche tragen Vokuhila, andere Halbglatze, sie haben eigene Sorgen und Hoffnungen. Zwei Eigenschaften verbinden sie: Sie sind Männer und lieben Fußball. Von beidem erzählt der Film.

Ohne die geteilte Leidenschaft für das Bolzen hätten diese Menschen nie einen Doppelpass gespielt und nach dem Spiel mit einem Bier darauf angestoßen. Im Görlitzer Park tummelt sich die Berliner Drogenszene, er ist immer wieder Schauplatz von Gewalt, doch in seiner Mitte blüht der "schönste Fußballplatz ever, ever". Die Dokumentation feiert den Amateurfußball: "Die Flutlichter sind an im Winter. Das Herz hüpft. Gleich Fußballspielen. Dann sehe ich schon, die ersten Jungs sind auf dem Platz. Eigentlich möchte ich jedes Mal lauf rufen: eh Pulmon!", schwärmt einer der Spieler. Sie ergründen mit leuchtenden Augen diese Zeit verschlingende und Gelenke verschleißende Liebe, von der sie nicht lassen können.

Wann sie das letzte Mal geweint haben? "Wegen einer Frau, so liebeskummermäßig."

Dem Kino und Sport ist gemein, dass die Zuschauer maskuline Helden erwarten. Rocky und Ali müssen den Gegner ausknocken. Doch in dem außergewöhnlichen Sportfilm "Mannschaft" sind die Männer ganz normale, ja: Menschen. Es stehen keine harten Zweikämpfe im Fokus, auch keine heroischen Tore. Das Team gewinnt manchmal, verliert häufig, aber so wichtig ist das nicht. Eine schöne Nebensache ist er, dieser Fußball. Die Kamera begleitet die Spieler lieber in den Alltag, einem folgt sie zu einem verbockten Casting, dann zu einem gescheiterten Versöhnungsversuch mit der Ex. Die Männer lassen Chancen ungenutzt, spielen Fehlpässe.

Der Knauf an der Eingangstür zur Gefühlswelt von Männern sei ein Kaktus, sagt ein Spieler. Vorsichtig gewähren die Kicker Zutritt. Sie erzählen von Herzschmerz, von Geldproblemen und Sinnkrisen. Der Fußball bietet ihnen Ablenkung, einer bezeichnet ihn als Therapie nach dem Tod seines Vaters.

Die Fußballkabine ist üblicherweise eine Höhle für Testosteron und Gebrüll. Eben dort denken die Spieler in der Dokumentation über Männlichkeit nach. Darüber, wie man ein guter Vater ist. Ein Pulmon-Spieler beschreibt seine Gefühle bei der Geburt seiner Tochter: "ein ganz, ganz krasser Moment". Ein anderer hätte gerne Kinder gehabt, doch fand nie die passende Frau. Wann sie das letzte Mal geweint haben? "Wegen einer Frau, so liebeskummermäßig", "das stellt man so ab, als Mann", "in der Pandemie häufig, es hat mir richtig gutgetan", "als Union aufgestiegen ist", antworten die Kicker. Alles typisch männlich. Im Hintergrund baumeln Fußballschuhe.

Der Film zeigt, wie vielfältig Männlichkeit ist - auch im Fußball. Von Männlichkeiten sollte man sprechen, mindestens elf stehen in einer Mannschaft. Manche Spieler wüten, pöbeln, saufen und blutgrätschen, andere nicht. Und trotzdem finden sie auf dem Feld und abseits davon zusammen. Die häufig und häufig zu Recht gescholtenen Männergemeinschaften können auch schön sein. Am Ende des Films stellen sich die Spieler zu einem Mannschaftsfoto auf. Was es bedeutet, ein Mann zu sein? Ein Spieler hat eine einfache Antwort: "Ein Mann zu sein, heißt Teil von Pulmon Negro zu sein."

MANNSCHAFT (Deutschland 2023, Regie: Tobit Kochanek, 71 Minuten) Do. 2.5., 18 Uhr, HFF Kino 1; Fr. 3.5., 9.30 Uhr, Einstein 28; Di. 7.5., 18 Uhr, City 3, jeweils OmeU und mit Vorfilm 33' 66°. Online abrufbar zwischen dem 6. und 20. Mai für 5 Euro unter https://www.dokfest-muenchen.de/films/mannschaft

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

39. Münchner Dokumentarfilmfestival
:Was das Dok-Fest zu bieten hat

109 Filme aus 51 Ländern sind im Mai in München zu sehen, ein Großteil davon auch per Stream. Schwerpunkte der 39. Festivalausgabe sind der Zustand der Demokratie, Online-Überwachung, KI und Kulturthemen. Der große Überblick.

Von Bernhard Blöchl, Josef Grübl und Barbara Hordych

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: