Djokovic gegen Zverev bei den Australian Open:Reine Kopfsache

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Nächster Versuch: Bisher hat Alexander Zverev (rechts) noch jedes Match bei einem Grand-Slam-Turnier gegen Novak Djokovic verloren. (Foto: Daniel Pockett/Getty)

Das Halbfinale zwischen Alexander Zverev und Novak Djokovic wird nur zum Teil auf dem Tennisplatz entschieden. Die Partie zwischen den beiden Kontrahenten hat schon lange begonnen – mit Witz und mentalen Spielchen.

Von Jürgen Schmieder, Melbourne

Offiziell beginnt das Halbfinale zwischen Alexander Zverev und Novak Djokovic am Freitag um 14.30 Uhr Ortszeit (4.30 Uhr in Deutschland) – in Wahrheit läuft es bereits seit knapp zwei Wochen: Es startete am Freitagabend vor Beginn der Australian Open, also am 10. Januar. Zverev war beim Benefiz-Ballschubsen „A Night with Novak and Friends“ für den verletzten Nick Kyrgios eingesprungen, die beiden spielten einen Spaß-Satz. Zverev nahm Djokovic gleich den Aufschlag ab, was dieser im Interview während der Partie so kommentierte: „Sieht gut aus, was er macht: Guter Aufschlag, und er hat schon ein Break. Aber: Wir haben gerade erst begonnen.“

Hat Djokovic, der Mentalmeister dieses Sports, damit wirklich nur diese Partie gemeint – oder hat er tatsächlich schon weiter gedacht? Die Australian Open, die er bereits zehn Mal gewonnen hat, sind sein Turnier. Hier hat der Serbe die größte Chance, den 25. Grand-Slam-Titel zu holen, der ihn vor der Australierin Margaret Court (24 Grand-Slam-Titel) zum alleinigen Besten machen würde.

Eine Nichtigkeit waren dieses Benefizspiel und sein Ergebnis (8:6 im Tiebreak für Djokovic) vielleicht aber auch nicht. Wer Djokovic ein bisschen beobachtet hat in den vergangenen zwei Wochen, dürfte erkannt haben: Nichts ist nur eine Nichtigkeit für ihn, selbst wenn es nur eine despektierliche Aussage eines nachrangigen TV-Reporters ist: Der hatte Djokovic „abgehalftert“ und „überschätzt“ geschimpft; der Serbe verweigerte deshalb das übliche Interview auf dem Platz nach einem Match, sogar die serbische Botschaft schaltete sich ein.

Was gereicht hätte, um die Aussagen des Reporters zu widerlegen: das Halbfinale gegen Carlos Alcaraz. Da bewies Djokovic, dass er weder abgehalftert noch überschätzt ist: Er zeigte, dass selbst der beste Tennisspieler der Geschichte seinem Können noch ein paar Prozent hinzufügen kann. Nicht dadurch, dass Djokovic die Partie gewann, sondern wie er es tat. Er hatte sich im ersten Satz am Oberschenkel verletzt; und Alcaraz, der ohnehin in Bestform agierte, wusste das zu nutzen: Er streute Stopps ein und ließ Djokovic körperlich leiden. Was Djokovic danach tat, war ein Nachweis seiner Einzigartigkeit, seine Form des Rope-a-Dope, mit dem Muhammad Ali einst gegen George Foreman unsterblich geworden ist: Er änderte sein Spiel, agierte aggressiver und näher an der Grundlinie – wozu man technisch erst einmal in der Lage sein muss. Er erreichte damit zwei Dinge: Er nahm Alcaraz das taktische Mittel des Stopps, und er ließ nun den Gegner mehr laufen. Das Risiko zahlte sich aus: Alcaraz war verdutzt, und er gab danach zu, dass ihn das alles durcheinandergebracht habe im Kopf.

Es war so, wie Andy Roddick einmal sagte: „Erst nimmt er dir die Beine, dann nimmt dir die Seele.“ Alcaraz sah ein, dass er diesen mentalen Mount Everest selbst in körperlicher Bestform nicht würde besteigen können.

Djokovic und Zverev haben sich auf einem Flug mal stundenlang über das Weltall unterhalten

Bei Zverev ist es umgekehrt; Djokovic befindet sich seit zwei Wochen auf Seelenklau. Einen Tag nach dem Sieg beim Spaßduell platzte er in die Pressekonferenz des Deutschen und fragte: „Glaubst du, dass die Antwort, wie man einen Grand Slam gewinnt, vielleicht im Weltall liegt?“ Tatsächlich haben sich die beiden auf einem gemeinsamen Flug mal stundenlang übers Universum unterhalten (Zverev: „Ich bin ein Fan von Stephen Hawking, er von anderen Leuten“), aber natürlich kann man diese Frage auch auf andere Art interpretieren.

Die gar nicht so verdeckte Botschaft: Du tüftelst und tüftelst und tüftelst auf der verzweifelten Suche nach diesem so ersehnten Grand-Slam-Sieg – und hast es bislang immer noch nicht geschafft! Noch eine kleine Spitze, auf die Zverev witzig, aber doch auch ein wenig genervt reagierte: „Was willst du? Du wirst deinen 25. Grand-Slam-Titel gewinnen. Wir werden alle glücklich sein. Ja, Novak Djokovic, schon wieder.“ Schon am Vortag hatte er auf die Frage, wie er diesen Major-Titel gewinnen könne, zu Djokovic gesagt: „Indem du mich einen gewinnen lässt.“ Wieder: witzig. Aber auch das verbale Pfote-Reichen eines Hundes ans Herrchen.

Nun, vor diesem Halbfinale, sagte Djokovic: Ja, natürlich sei Zverev in Bestform hier in Melbourne – aber es gebe da doch diesen Deal: „Solange ich spiele, lässt er mich Grand-Slam-Matches gewinnen.“ Man kann all diese Begebenheiten freilich als irrelevant abtun vor so einem großen Spiel zweier erfolgreicher Tennisprofis und lieber eine Antwort auf die Frage fordern: Wie geht es dem Oberschenkel von Djokovic? Er hat doch weder am Mittwoch noch am Donnerstag trainiert. Kann der überhaupt antreten; wie fit wird er tatsächlich sein? Kann Zverev das taktisch nutzen?

Djokovic macht aus der Schwere der Blessur ein Geheimnis, es dringt nichts aus seinem Lager; selbst die serbischen Kollegen sind ratlos. Sicher ist nur: Djokovic tut das ganz bewusst. Er weiß: Diese Partie dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der körperlich, sondern der mental fittere Spieler gewinnen. Der mit allem umgehen kann, was in fünf möglichen Sätzen passieren wird. Zverev muss darauf vorbereitet sein, dass Djokovic die Taktik ändern wird, womöglich mehrmals, und er muss jeweils darauf reagieren können. Was Zverev vor allem bedenken sollte: Diese Partie beginnt nicht um 14.30 Uhr, nicht bei der Ankunft auf der Anlage und nicht bei der Begegnung mit Djokovic in den Katakomben. Sie läuft längst.

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