Djokovic vs. Kohlschreiber in Wimbledon:Nur die Blaumeise hat Spaß

Day One: The Championships - Wimbledon 2015

Der Favorit musste sich oft strecken - aber bei den wichtigen Punkten war Novak Djokovic gegen Philipp Kohlschreiber fast durchgängig erfolgreich.

(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Zum Wimbledon-Start fluten die Massen die heilige Anlage. Im Match des Tages hält Philipp Kohlschreiber mit - dann führt Novak Djokovic vor, warum er die Nummer eins ist.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Wesley wittert ab jetzt das große Geschäft, zehn Pfund will er für seine Gemälde haben, McEnroe mit Wuschelkopf, Scharapowa mit Divenblick, Agassi mit Racket. "Ich bin Illustrator und mache das aus Spaß", sagt er, während Horden von Menschen vorbeiziehen, im Stechschritt, geht ja gleich los, das Spektakel. "Drei Gemälde kosten nur 20", sagt Wesley zu einem Herrn, schon marschiert dieser weiter und biegt von der Church Road in den Weg ein, vor dem ein Schild steht: "The queue - no-ticket holders only".

Wer also keine Eintrittskarte hat, kann sich hier anstellen, bis zu 4000 warten bereits, kurz darauf eine Eilmeldung, auf der Turnierhomepage: "Die Schlange ist am Limit." Sieht man. Aber bald atmen die Ersten auf.

Einlass in die heilige Stätte

Sie dürfen den heiligen Grund betreten, mit ihren erbeuteten "Ground Tickets". Um Punkt halb elf schreiten die Sicherheitsleute in einer Reihe los, ein Seil quer haltend, "Rennen ist nicht erlaubt", erklärt Herbert Giorgio - der 71-Jährige mit der Knuddelnase ist honorary steward, er hilft, wo er kann, seit 26 Jahren. Tennis liebt er, klar. "Ich mach das, solange es geht", er lacht: "Ich darf auch nicht aufhören. Meine Frau erschießt mich sonst, wir kriegen Karten, jeden Tag." Giorgio entschuldigt sich, er schaut freundlich und doch streng in die Menge. Darf ja keiner rennen. Tag eins des ältesten Turniers beginnt in diesem Punkt ohne Vorfall. Britische Perfektion.

"Er trifft immer die Linie, und ich spiele einen Zentimeter daneben."

Der Zauber, für den die Veranstaltung im All England Lawn Tennis and Croquet Club bekannt ist, breitet sich rasch aus. Fröhlich singen Australier Lieder, zwei Dosen Bier pro Mann dürfen mitgenommen werden, "danke, dass ihr das erlaubt", sagt einer aus der Gruppe zu einem Reporter von Radio Wimbledon, und dann fluten sie alle die Anlage, viele haben sich verkleidet, beliebt ist das McEnroe-Kostüm. "Es gibt nichts Besseres als Wimbledon", sagt stellvertretend für die nach Tradition jauchzende Menge Dirk Hordorff, der schon ganz in Weiß gekleidet ist, auch so eine spezielle Regel hier. Sonst dürfte er nicht auf den Platz, und das muss er später noch. Hordorff managte und trainierte Rainer Schüttler, heute ist der ausgebuffte Strippenzieher Vizepräsident des Deutschen Tennis-Bunds, Coach des Serben Janko Tipsarevic - und ein wandelndes Museum. "Ich war hier englischer U14-Meister", erzählt der Bad Homburger, als Junge wurde er, nun 59, zum Englischlernen, nach London geschickt, so kam's. Hordorff hat sich seitdem auch etwas angewöhnt, "ich habe immer Handtücher gesammelt", von Wimbledon hat er jüngst eines von 1992 gefunden, "ich weiß nicht mal, was ich damit machen soll", sagt er grinsend. Er wird es ja nicht wegwerfen, nicht mit dem Aufdruck. "Schauen Sie", sagt Hordorff, "ich war mal in Indien, da wurden die Australier Woodforde/Woodbridge wie Stars gefeiert. Nur weil die oft im Doppel in Wimbledon gewannen und die Inder Wimbledon im Fernsehen sahen." Hordorff verabschiedet sich, seine Empfehlung für den Montag, 69 Matches sind angesetzt: "Ich würde mir Nole gegen Kohli ansehen, wenn ich könnte."

Um 13 Uhr betreten Nole und Kohli, also Novak Djokovic und Philipp Kohlschreiber, den Centre Court, dem Titelverteidiger aus Serbien gebührt die Ehre des ersten Matches auf dem Hauptplatz. Einen "tricky Gegner", so hat der 28-Jährige den 31-jährigen Deutschen mit der Schleudervorhand genannt.

Als der Weltranglisten-Erste und der -33. loslegen, ist die Anlage draußen voll, Überraschungen lassen noch auf sich warten, mal davon abgesehen, dass der noch an der operierten Schulter geplagte Tommy Haas den Serben Dusan Lajovic 6:2, 6:3, 4:6, 6:2 bezwingt. Und Kohlschreiber? Der verjagt erst mal eine Blaumeise, im ersten Satz. Und 12 000 Menschen schauen gerne zu. Dem Augsburger wurde viel zugetraut, nach dem ersten Satz sagt eine sehr gepflegte Dame, sie sitzt nur ein Stück schräg hinter der Grundlinie: "Amazing! Ich habe ihn noch nie gesehen. Er ist gut!" Das ist Kohlschreiber, davon zeugen acht Millionen Euro Preisgeld seit 2001. Viele Topprofis schätzen es, mit ihm zu trainieren, auch Djokovic, wie eine Gummiwand geht er jedes Tempo mit. Aber, sein Los, er ist oft genug der, der den einen Punkt nicht schafft. Womöglich ist er gar der Beste der Welt, der es nicht schafft, dauerhaft in den Top 20 oder höher zu stehen. Erster Satz, Break Djokovic zum 2:0, Rebreak, 2:2, alles offen, nur: Kohlschreiber nützt weitere Breakbälle nicht, er hat im ersten Durchgang sechs, Djokovic sieben. Im zweiten Satz hat er keinen, Djokovic nur einen, das reicht diesem für zwei Satzgewinne. "Es hätte auch in eine andere Richtung gehen können", wird Djokovic sagen, das war nett gesagt und nicht ganz verkehrt; im ersten Satz landeten einige von Kohlschreibers Bällen knapp im Aus. Einmal stöhnte Kohlschreiber zurecht: "Er trifft immer die Linie und ich spiel' einen Zentimeter daneben." Obwohl Djokovic im dritten Satz noch mal bei 3:1 den Aufschlag verliert, ist sein 6:4, 6:4, 6:4 nicht gefährdet. "Eine Ballmaschine", die "eiskalt" gespielt habe, so analysiert Kohlschreiber seinen Gegner, neidlos erkennt er an: "Er spielt brutal solide penetrierend." Und: "Er ist der weitaus bessere Tennisspieler." Gegen den er beinahe nicht hätte antreten müssen, was für eine Pointe. "Mir hat einer gesagt, 16 Minuten" - um diese Zeitspanne kam offenbar die Absage des verletzten und gesetzten Spaniers David Ferrer am Sonntag zu spät. Denn wäre diese Entscheidung vor Verkündung des Spielplanes für Montag gefallen, wäre Kohlschreiber als bester Nicht-Gesetzter gesetzt und im Draw versetzt worden. "Ich hatte mich mit der Auslosung arrangiert", sagt Kohlschreiber, eine Freude bleibt ihm ja, das Erlebnis, das erste Match des Turniers auf dem Center Court gespielt zu haben. "Ich hab's nicht als Titelverteidiger geschafft, ich hab's jetzt als Erstrundengegner geschafft." Da sollen die Briten noch sagen, Deutsche hätte keinen Humor. Djokovic indes darf auch weiterhin in der "Wiege des Tennis", wie er schwärmte, auflaufen, möglicherweise wieder zusammen mit der Blaumeise, die erstaunliche zwei Sätze lang Schabernack trieb. Vielleicht sollte Wesley, der Illustrator, darüber nachdenken, diesen putzigen Vogel ins Programm nehmen. Für zehn Pfund müsste der doch bestens vom Tisch gehen.

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