Süddeutsche Zeitung

Djokovic-Sieg bei Australian Open:Der Herrscher von Melbourne

Novak Djokovic überwindet seine Verletzung, öffentliche Kritik, junge Herausforderer - und gewinnt zum neunten Mal die Australian Open. Sein großes Ziel rückt wieder etwas näher.

Von Gerald Kleffmann

Es waren erst 90 Minuten gespielt in diesem Finale, das doch so sehr zum Clash der Generationen stilisiert worden war. Daniil Medwedew nahm Platz auf seinem Stuhl , und diesmal zertrümmerte er nicht seinen Schläger, wie Ende des zweiten Satzes. Medwedew fing zu reden an, mit sich selbst. Während sein Blick irgendwohin ins Nichts wanderte in dem mächtigen Stadion, brabbelte er vor sich hin. Es ist davon auszugehen, dass er nicht romantische Gedichte Alexander Puschkins rezitierte, sondern sich einer kritischen und realistischen Selbstbetrachtung unterzog. Schimpfen kann dieser Medwedew ganz gut, was zwar selten vorkommt, weil er meist keinen Anlass dazu hat. Aber wenn, dann ist klar, wie es um ihn steht.

Eine Viertelstunde später war es Novak Djokovic, der mit einer Geste seinen Gemütszustand offenbarte. Nach einem langen Ballwechsel, den er, natürlich, mal wieder für sich entschied, fuhr er den Zeigefinger aus und tippte sich mit diesem an die rechte Schläfe. Der Besitzer der besten Rückhand der Tenniswelt, der Schweizer Stan Wawrinka, der 2014 hier auch schon reüssiert hatte, hält eigentlich das Patent auf diese Geste, die schlicht zum Ausdruck bringt: Ich habe mit Hirn gespielt!

Wer mochte Djokovic widersprechen, in jenem Moment, als er 7:5, 6:2, 5:2 führte - und kurz darauf seinen ersten Matchball zum 6:2 verwandelte mit einem artistischen Überkopfschlag. Später machte dieser dünne, durchtrainierte 33 Jahre alte Serbe dem Publikum bei der Siegerehrung klar, wie er zu dieser Arbeitsstätte steht: "Zum Schluss möchte ich diesem Platz danken. Ich möchte der Rod Laver Arena danken", hob er an, "ich liebe dich. Die Liebesaffäre wird immer größer." Wie zum Beweis stemmte er dann auf einer Runde den Norman Brookes Challenge Cup in die Höhe, der inzwischen umgetauft werden müsste - auf den Namen Djokovic Trophy.

Sein Finalsieg gegen den Weltranglisten-Vierten war sein neunter bei den Australian Open und sein 18. Grand-Slam-Titel insgesamt. So wie die French Open in Paris Rafael Nadal gehören, der dort unfassbare 13 Mal triumphierte, so wie Wimbledon mit Roger Federer stets in Verbindung gebracht wird, der im All England Club achtmal siegte, so sehr gehört das Grand-Slam-Turnier in Melbourne Djokovic. Der harte Kunstbelag, der entgegen seiner blauen Oberschicht GreenSet heißt, kommt seinem Spiel am besten entgegen, das hat er schon 2008, 2011, 2012, 2013, 2015, 2016, 2019 und 2020 erklärt.

Wie das aussieht, hat kürzlich der Tennisstatistik-Guru Craig O'Shannessy treffend erklärt: "Novak in Topform will, dass du den Ball verfehlst. Und wieder verfehlst. Und noch mehr verfehlst. Er zieht an dir wie ein Puppenspieler an den Fäden. Er schüttelt aus dir Fehler, als wärest du eine Stoffpuppe." O'Shannessy, der auch schon mit Djokovic zusammengearbeitet hat, stuft ihn gar als "Meister-Manipulator von Zeit und Geschwindigkeit ein". Als könnte der Weltranglisten-Erste, der im übrigen am 8. März Roger Federer als längste Nummer eins ablösen wird mit dann 311 Wochen an der Spitze, Naturgesetze aushebeln.

Der 25-jährige Russen Medwedew, der sich mit der Empfehlung von 20 Siegen in Serie berechtigte Hoffnung auf seinen ersten Grand-Slam-Titel in seinem zweiten großen Finale nach den US Open 2019 machen durfte, hatte jedenfalls wenig entgegenzusetzen. Selbst eine Bauchmuskelverletzung konnte Djokovic nicht auf dem Weg in sein 29. Grand-Slam-Finale (das der deutsche Schiedsrichter Nico Helwerth, 35, gut leitete) aufhalten, Alexander Zverev hatte er im Viertelfinale bezwungen. Seine wahre Dominanz aber zelebrierte der Serbe mental. Weil er, so wirkt es beizeiten, Dinge persönlich nimmt - und zurückschlägt, erst recht.

Als Djokovic ein ziemliches Geheimnis aus der Art seiner Verletzung gemacht hatte, war von einigen Experten, etwa Patrick Mouratoglou, Coach von Serena Williams, die Schwere des Gebrechens angezweifelt worden. Danach wirkte es, als fühle sich Djokovic wie so oft in die Ecke getrieben. Für die Gegner auf dem Platz ist das selten folgenlos. Als vor dem Finale Medwedew vielerorts nicht nur als Außenseiter gesehen wurde, gewährte Djokovic dem englischsprachigen Eurosport-Kommentator Mats Wilander einen Einblick in seine Kampfesgier: "Ich werde ihm nicht den Pokal per Hand überreichen", sagte er: "Ich werde mir den Arsch aufreißen."

Das sah im Finale im Übrigen dann keineswegs immer spektakulär aus, er kroch vielmehr in den Kopf Medwedews, mit seiner größten Gabe. Noch mal O'Shannessy: "Novak in Topform bringt dich dazu, dich unwohl bei Schlägen zu fühlen, bei denen du dich normalerweise gut fühlst." Medwedews schachartiges Spiel hatte er tatsächlich komplett amortisiert.

Bei der Sieger-Pressekonferenz stieß Djokovic mit einem Glas Champagner (das er nicht trank) mit Turnierdirektor Craig Tiley an und gab zu verstehen, dass ihn die Kritik, die immer wieder mal auf ihn einprasselt, schon nahegehe. Er hätte sich aber eine "dicke Haut" zugelegt. Der Schweiß darauf war kaum verflogen, da klang er schon wieder siegeshungrig. Er wolle jetzt schlau entscheiden, welche Turniere er spiele. Ihm ginge es um eines: "Ich will zur richtigen Zeit in Topform sein." Zwei Grand-Slam-Trophäen mehr, und er hätte Federer und Nadal eingeholt. "Solange sie spielen, spiele ich auch", sagte der Serbe schließlich. "Es ist ein Wettbewerb in allen Bereichen. Wir treiben uns alle gegenseitig an." Djokovic, der Herrscher über Zeit und Tempo, hat früh in dieser Saison Witterung aufgenommen.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Danii Medwedew habe gesagt, Novak Djokovic würde dem Gegner "Zeit zum Nachdenken" geben. Tatsächlich meinte er mit dieser Aussage Rafael Nadal. Wir haben den Fehler korrigiert.

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