Süddeutsche Zeitung

Reaktionen auf Djokovic-Ausweisung:Genervt, empört und fast erleichtert

Lesezeit: 4 min

"Hexenjagd" und "Lynchstimmung": Nach der Ausweisung von Novak Djokovic echauffieren sich serbische Politiker und Medien - und teilen mit rüden Kommentaren gegen die australische Politik aus. Auch einige Spieler äußern sich.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne/München

An den allerletzten Tagen, ehe eines der vier Grand-Slam-Turniere startet, findet stets das gleiche Ritual statt, in Melbourne, Paris, Wimbledon, New York: Bei den "Media Days" präsentieren sich einige der namhaftesten Tennisprofis und sprechen noch einmal über ihre Form, ihre Erwartungen und wie der Urlaub auf den Malediven war. Diesmal gab es aber kein Entrinnen für die Protagonisten, die nun vor den Australian Open vor die Sponsorenwand gesetzt wurden - natürlich war der Fall des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic das überbordende Thema. So saßen sie da, all die verschiedenen Charaktere, Daniil Medwedew, Alexander Zverev, Stefanos Tsitsipas, Garbiñe Muguruza, Naomi Osaka, Rafael Nadal oder Alex de Minaur, gaben geduldig ihre Antworten - und wirkten doch vor allem: genervt. Davon, dass sich alles seit eineinhalb Wochen um eine einzige Person drehte.

Die direkteste Abkürzung, das aus ihrer Sicht leidige Sujet zu umschiffen, wählte der Grieche Tsitsipas, der sofort kühl meinte: "Ich bin hier, um über Tennis zu reden, nicht über Novak Djokovic. Wir können fortfahren." Von dem Weltranglisten-Vierten weiß man ohnehin, was er denkt. Er hatte tags zuvor verlauten lassen, das Verhalten des serbischen Kontrahenten lasse "die Mehrheit wie Idioten aussehen". Die Spanierin Muguruza verwies darauf, dass sie nur das wiederholen könne, was sie schon beim Turnier in Sydney gesagt hatte: "Wir alle wollen, dass wir uns weiterbewegen" und "auf die coolen Aspekte, dass ein Slam startet, fokussieren". Der drahtige Australier de Minaur, ein ähnlicher Typ auf dem Platz wie der frühere Weltranglisten-Erste Lleyton Hewitt, der ihn auch protegiert, beklagte, die ganze Situation hätte "viel Scheinwerferlicht von uns Wettbewerbern weggenommen".

Recht deutlich für seine Verhältnisse wurde Nadal, der auch nach 20 Grand-Slam-Titeln zwar nicht das weltbeste Englisch beherrscht, aber dennoch die Kunst, so Kritik zu äußern, dass ihm niemand vorwerfen kann, jemanden persönlich angegangen zu sein. "Es ist ganz klar, dass Novak Djokovic einer der besten Spieler der Geschichte ist, ohne Zweifel", sagte der 35-jährige Mallorquiner, der selbst geimpft ist und vor Kurzem eine Covid-Infektion überstand: "Aber es gibt keinen Spieler in der Geschichte, der größer ist als ein Turnier, weil die Spieler kommen und gehen, und dann andere Spieler kommen. Niemand, nicht Roger, ich, Björn Borg, der damals so wunderbar war. Tennis geht weiter."

Alexander Zverev spielt am Montag nun in der Rod Laver Arena gegen Daniel Altmaier

Djokovic wurde auch in Schutz genommen, wobei der Deutsche Zverev, der sich nun noch größere Hoffnungen auf seinen ersten Grand-Slam-Titel macht, sich differenziert äußerte. Er hätte Verständnis für die "Perspektive der Australier und der Regierung". Gleichwohl hätte Letztere vorab mehr klar machen müssen. "Ich denke, es ist nicht sehr fair für eine Person, hierherzukommen und nicht spielen zu können", sagte Zverev, der offensichtlich auch seine Loyalität gegenüber Djokovic, mit dem er sich bestens versteht, zum Ausdruck bringen wollte. Er selbst ist am Rande von der Demission Djokovics betroffen, nun wurde sein Erstrundenmatch gegen den deutschen Kollegen Daniel Altmaier als letzte "Night Session" an diesem Montag in der Rod Laver Arena angesetzt. Die sind wohl um die Mittagszeit im deutschen Fernsehen zu verfolgen. Zverevs Ambitionen sind hoch: "Wenn man über die möglichen Sieger redet, muss man über Medwedew, Tsitsipas sprechen. Ich selbst habe in den vergangenen sechs Monaten auch gut gespielt."

Es gab aber auch Spieler, die Djokovic uneingeschränkt unterstützten, und damit ist nicht mal der sonderbare US-Profi Tennys Sandgren gemeint, der - ebenfalls ungeimpft - auf die Reise nach Melbourne verzichtete und unablässig gegen die Politik wetterte. Nick Kyrgios, kürzlich positiv auf Corona getestet, verfluchte regelrecht die Regierung seines Landes: "Wir behandeln ihn im Moment, als wäre er eine Massenvernichtungswaffe", sagte der 26-Jährige aus Canberra in einem Podcast. Djokovic hatte sich, wie bekannt wurde, mittlerweile sogar über einen kleinen Eintrag in den sozialen Medien bei Kyrgios für dessen Rückhalt bedankt. Eine erstaunliche Annäherung, früher hatte Kyrgios nicht immer gut über Djokovic geredet und sich über ihn lustig gemacht. In Serbien dürfte er mit seinen Attacken sicher gepunktet haben.

"In Melbourne geschah die größte Schande in der Geschichte des Sports!"

Wenig überraschend wählten die Medien in Djokovics Heimat, allen voran der Boulevard, rüde Worte, um ihrer Empörung Nachhall zu verleihen. Bezeichnend war der Kommentar vom Kurir: "In Melbourne geschah die größte Schande in der Geschichte des Sports! Schäm dich, Australien! (...) Das Recht hat verloren, die Politik hat gesiegt." Die obersten Staatsrepräsentanten spitzten ihren Unmut sogar noch deftiger zu. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic befand, Djokovic seien seit der Ankunft in Australien "nichts als Willkür und Schikanen" widerfahren, auch sprach er von einer "Hexenjagd" sowie einer von den Medien angefeuerten "Lynchstimmung".

Sein Fazit: "An Novak wollte man ein Exempel statuieren, wie die Weltordnung funktioniert." Zur BBC sagte er gar, man habe Djokovic "wie einen Massenmörder behandelt". Ministerpräsidentin Ana Brnabic griff ihrerseits den australischen Regierungsanwalt an, der im Verfahren das Argument hatte fallen lassen, weniger als 50 Prozent der serbischen Bevölkerung seien doppelt geimpft - eine "offene Lüge" sei dies, zürnte Brnabic. Djokovics Eltern und Brüder setzten schließlich am Sonntag noch ein Statement auf, in dem es unter anderem hieß: "Was wir alle, und vor allem wir als Familie, jetzt tun müssen, ist, ihn mehr zu unterstützen als je zuvor." Und weiter: "Wir werden da sein, um die Schläge, die ihm zugefügt wurden, mit ihm zu verarbeiten."

Die Aufarbeitung dieses Falles dürfte noch eine Weile andauern. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass nicht alle betroffenen oder mitfiebernden Lager (gerade in den sozialen Medien wurde teils schwer unter der Gürtellinie ausgeteilt) versuchen, so schnell einen Schlussstrich zu ziehen wie Tennis Australia. Der Verband, Veranstalter des Turniers, der mit der Vergabe der Ausnahmegenehmigung an Djokovic erst alles angezettelt hatte, teilte knapp mit, man respektiere die Entscheidung des Bundesgerichts - und betonte fast erleichtert: "Wir freuen uns auf wettbewerbsreiche und aufregende Australian Open 2022." Die Messlatte für Dramen liegt nach dieser Woche hoch.

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