Distanzreiten bei der WM:Reiten bis zum Nierenversagen

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Seit Jahren tragen viele Reiter beim Distanzritt den Vorwurf mit sich rum, sie würden den Sieg über das Wohl des Pferdes stellen. (Foto: AP)
  • Schon vor der Weltmeisterschaft war die Kritik am Distanzreiten groß.
  • Nach zahlreichen Ausfällen von Pferden und dem Abbruch des Rennens wurde die Disziplin bei der WM in Tryon zum Desaster.
  • Es ist womöglich die letzte Ausrichtung der Distanz-Wettbewerbs gewesen.

Von Gabriele Pochhammer, Tryon

Ein totes Pferd, zudem sind mehr als die Hälfte der gestarteten Tiere in der Klinik - das ganze Ausmaß des katastrophalen Distanzreitens im Rahmen der Weltreiterspiele in Tryon (USA) kommt erst allmählich ans Licht. Und immer noch bleibt vieles im Dunklen, weil die Angaben der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) unvollständig sind oder bewusst zurückgehalten werden. Auch in den oberen Etagen des Weltverbandes werden die Forderungen lauter, das Distanzreiten aus den Weltreiterspielen zu verbannen.

Es dauerte eine Woche, bis sich die FEI bequemte, überhaupt Ergebnisse zu veröffentlichen. Das heißt: Richtige Resultate gab es nicht, weil der Ritt, der nach einem Fehlstart am frühen Morgen bereits von 160 auf 120 Kilometer verkürzt worden war, am Nachmittag vollständig abgebrochen wurde. Eine hohe Luftfeuchtigkeit mit Temperaturen jenseits der 30 Grad, die nach einem Platzregen teilweise sehr schlechten Bodenverhältnisse sowie das viel zu hohe Tempo, in dem manche Reiter ihre Pferde durch das bergige Gelände scheuchten, hatten zu dramatischen Szenen geführt. 53 von 94 Pferden mussten in einer Klinik am Ort behandelt werden, davon 52 Pferde wegen Stoffwechselproblemen, eines wegen Lahmheit.

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Das Gefühl, was man einem Pferd zumuten kann, ist vielen Reitern offensichtlich verloren gegangen

Weitere lahme Pferde wurden aus dem Rennen genommen, ohne dass sie in die Klinik mussten; andere waren einfach erschöpft und dehydriert. 32 Pferde erhielten Infusionen von 20 bis zu 40 Litern. Der 20-jährige Araber Barrack Obama der neuseeländischen Reiterin Jenny Champion musste wegen Nierenversagens zwei Tage nach der Prüfung eingeschläfert werden. Der Sieger mehrerer Distanzritte sollte nach der WM in Rente geschickt werden.

Aus den Zahlen, die die FEI erst jetzt veröffentlichte, ist das ganzen Elend nur zu erahnen. Als beschlossen wurde, die Prüfung abzubrechen, waren viele Pferde noch unterwegs auf der Strecke. Andere wurden bei der zweiten von fünf Veterinärkontrollen gestoppt, 15 waren bereits zur dritten Kontrollstation unterwegs. Nur bei einigen Pferden ist ersichtlich, in welchem gesundheitlichen Zustand sie sich befanden; bei vielen, die am zweiten Kontrollpunkt gestoppt wurden, steht nur die Abkürzung "DNF" für "did not finish". Übersetzt heißt das bloß: "hat den Ritt nicht beendet", weil eben abgebrochen wurde.

Das gilt auch für die Spitzengruppe, die naturgemäß das höchste Tempo vorgelegt hatte. Der bis dahin Schnellste, der Spanier Alex Luque Moral, hatte auf Calandria eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 18 Kilometern pro Stunde geritten; in welchem Zustand sein Pferd beim Abbruch des Rennens war, ist aus der Ergebnisliste nicht ersichtlich. Ein Protest der spanischen Mannschaftsführung, Moral zum Weltmeister zu erklären, wurde abgeschmettert, schon weil kein Reiter die volle Distanz von 120 Kilometern absolviert hatte.

Einen Bewerber für die nächsten Weltreiterspiele in vier Jahren gab es bisher nicht

Dass es auch anders ging, zeigten die beiden noch in der Wertung befindlichen Deutschen, Ursula Klingbeil und Bernhard Dornsiepen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Dornsiepen betrug nur 12,6 Kilometer pro Stunde, er war also viel langsamer geritten, sein Pferd war noch frisch. "Wir müssen wieder dahin kommen, dass sich jeder Reiter selbst für sein Pferd verantwortlich fühlt", sagte er. Doch das Gefühl, was man seinem Pferd zumuten kann, haben viele offenbar verloren, nicht nur die Reiter aus den arabischen Staaten, von denen am Ende nur noch ein Starter aus dem Oman im Rennen war. Alle Teilnehmer aus den Vereinigten Arabischen Emiraten waren ausgeschieden, auch Kronprinz Hamdan, der Sohn von Dubais Staatschef Scheich Mohammed bin Rashid al Maktoum, der über die ihm gehörende Unternehmensgruppe Meydan ein Hauptsponsor der Weltreiterspiele ist.

In Tryon wurde womöglich dem Distanzsport und damit dem gesamten Konzept Weltreiterspiele der Todesstoß versetzt. Einen Bewerber für die Spiele 2022 gibt es noch nicht. Abgesehen vom peinlichen Organisationschaos ist es vor allem die bedenkliche Entwicklung, die dieser Sport in der jüngeren Vergangenheit genommen hat. Seit vor allem Reiter aus den arabischen Staaten aufs Tempo drücken, werden immer mehr Pferde zuschanden geritten. Die Stimmen, die fordern, den Distanzsport ganz aus der FEI zu verstoßen, nehmen zu. Damit würde man allerdings den FEI-Hauptsponsor, ein Uhrenunternehmen mit engen Beziehungen nach Dubai, vor den Kopf stoßen. Der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Sönke Lauterbach, findet: "Da müsste man dann durch." Ohne das Korsett der FEI-Regeln würden die Pferde noch rücksichtsloser durch die Wüste gejagt als ohnehin schon. Ein gewisser Rest-Anstand gegenüber dem Pferd ist offenbar ein Luxus, den sich auch sehr reiche Leute nicht leisten wollen.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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