Süddeutsche Zeitung

Diskuswerfen:Erst werfen, dann sprinten

Schweden, Schweden, Österreich: Das Podium im Diskuswurf ist ein komplett anderes als 2016 - Daniel Jasinski und Clemens Prüfer müssen erkennen, dass ihnen für die Weltspitze noch eine entscheidende Fähigkeit fehlt.

Von Saskia Aleythe, Tokio

Es soll keiner glauben, dass man als Diskuswerfer nicht auch einen formidablen 60-Meter-Lauf überleben würde. Gut, Daniel Stahl musste schon ziemlich schnaufen, nachdem er mit hochgestreckten Armen, die schwedische Fahne hinter sich herziehend, seinen Jubellauf beendet hatte - aber wer würde das nicht mit 155 Kilogramm Kampfgewicht?

Es war ein schwedischer Abend, der in Tokio am Samstag über die Bühne ging, die Stadionregie spielte Abba ein, damit muss man als Olympiasieger aus Schweden leben. In der zweiten Medaillenentscheidung der Leichtathleten bei diesen Olympischen Spielen hatten sich gleich zwei Diskuswerfer im blau-gelben Dress die vordersten Ränge geschnappt. Stahl gewann mit den 68,90 Metern, die er im zweiten Versuch erzielt hatte, Kollege Simon Pettersson (67,39) übertrumpfte im vorletzten Durchgang noch Österreichs Lukas Weißhaidinger (67,07). Schweden, Schweden, Österreich - war Diskuswerfen nicht mal eine deutsche Disziplin?

Der Name Harting hatte die letzten Ausgaben der Spiele geprägt, 2012 der Triumph von Robert Harting, vier Jahre später der von Bruder Christoph. Und, auch das hatte sich ja in Rio zugetragen: Daniel Jasinski war Dritter geworden, nur ging dieser Erfolg völlig im Trubel um den Olympiasieger unter. Christoph Harting zog damals mit seiner Goldmedaille alle Aufmerksamkeit auf sich, mit der Siegerehrung, bei der er schunkelte und Faxen machte, was ihm vor den Bildschirmen viele krumm nahmen. Und dann reihten sich auch sportliche Enttäuschungen aneinander. Er scheiterte an der Norm für die WM 2017, in der Qualifikation bei der EM 2018, auch 2019 bei der WM in Doha verpasste er das Finale. Für Tokio war er nur als Ersatzmann vorgesehen, sollte sich jemand verletzen.

Das war nicht der Fall, nun war die Bühne frei für Jasinski, Clemens Prüfer und David Wrobel, doch keiner hatte mit den Medaillenrängen etwas zu tun. Wrobel schaffte es gar nicht erst in den Finaldurchgang. Nach den ersten drei Versuchen mussten sich dann auch seine Kollegen den Wettstreit der Besten von der Bank aus anschauen. Jasinskis weitester Wurf ging auf 62,44 Meter; im dritten Versuch hatte der Diskus zwar mit den 64 Metern geflirtet, doch der Fuß des Deutschen berührte die Kante des Rings - ungültig. "Das lief nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe", sagte er nach Platz zehn.

Dem Rio-Dritten Jasinski war die Enttäuschung anzumerken. "Der Diskus flog nicht, das ist manchmal so. Es ist ärgerlich, dass sowas bei Olympia passiert", sagte er. Ärgerlich vor allem, wenn man erst Ende Mai 67,47 Meter erzielen konnte, das wäre in Tokio Silber wert gewesen. "Ich denke, ich hätte schon in die Bereiche werfen können, die ich das ganze Jahr gezeigt habe. So war es aber nicht."

Platz elf sprang für Teamkollege Prüfer heraus, er kam nicht über 61,75 Meter hinaus. "Ich wollte zu viel. Da leidet am Ende meistens die Technik, wenn man versucht, alles zu geben", sagte der 23-Jährige. Auch ihm waren schon 67 Meter in dieser Saison gelungen. Aber, das ist dann der Unterschied zu den Schweden, wie er anmerkte: "So weit wie sie bin ich einfach noch nicht, dass ich 67 Meter werfen kann, wenn es darauf ankommt."

"2024 greifen wir dann richtig an"

Für Stahl war der Olympiasieg die Krönung nach überragenden Jahren. 2016 hatte er das Finale in Rio verpasst, danach aber bei allen großen Meisterschaften Medaillen abgeräumt. "Ich bin sehr glücklich. Dahinter steckt eine Menge Arbeit und Spaß", sagte Stahl, der mit Pettersson in derselben Gruppe trainiert. An den beiden sah man auch, dass im Diskuswurf unterschiedliche Typen weit kommen können: Als ehemaliger Zehnkämpfer bringt Pettersson nur etwas mehr als 100 Kilo auf die Waage, 20 mehr als bei seinem ersten Zusammentreffen mit Trainer Vesteinn Hafsteinssoni. Der Isländer war skeptisch, als er den schmächtigen Kerl zum ersten Mal traf. Doch die Silber-Medaille nun hat gleich noch ein paar Kräfte freigemacht: Im ersten Jubel hievte er Stahl in die Höhe.

Während Österreichs Weißhaidinger erstmal "zwei oder drei" Nächte schlafen musste, um den Gewinn von Bronze zu realisieren, richtete Clemens Prüfer den Blick schon in die Zukunft. Tokio sei für ihn ein Kennenlernen mit dem Großevent Olympia gewesen, sagte er, "2024 greifen wir dann richtig an". Das Selbstbewusstsein ist schon mal vorhanden.

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