Diskus-Gold für Robert Harting:Mit sieben PS und Schach zum Olympiasieg

Obwohl ihm der Wettkampf zwischendurch fast entgleitet, gelingt Diskuswerfer Robert Harting im vorletzten Versuch die größte Weite. Dann feiert er das erste Olympiagold der deutschen Leichtathletik seit zwölf Jahren. Womöglich ist der Berliner das deutsche Gesicht der Spiele. Es stellt sich jedoch die Frage, was bleiben wird von diesem Erfolg - vor allem für Robert Harting.

Jürgen Schmieder, London

Robert Harting hatte es eilig, sehr eilig sogar. Er war gerade Olympiasieger geworden und hatte, wie immer nach einem Erfolg, sich martialisch sein Hemd vom Leib gerissen. Er entdeckte, dass da auf der Tartanbahn ein paar Hürden aufgestellt waren für das 100-Meter-Finale der Frauen. Die Ordner winkten hektisch, doch Harting spurtete drauflos, er übersprang alle und wurde dabei von den Menschen im Olympiastadion angefeuert, wie sonst nur Briten angefeuert werden.

Nach handgestoppten 16 Sekunden war er im Ziel. "Die Sally Pearson stand da ja rum", sagte Harting später, "vielleicht hat sie was von meiner Technik gelernt." Harting ist eigentlich Diskuswerfer, ein herausragender sogar, er ist nun nicht nur Olympiasieger, sondern auch amtierender Welt- und Europameister. Er ist auch das, was gemeinhin "verrückter Hund" genannt wird - obwohl keiner so recht weiß, was so ein verrückter Hund den ganzen Tag macht. Harting lief noch zum olympischen Feuer, doch er wurde rechtzeitig aufgehalten: "Das Gas habe ich schon gerochen", sagte er später. Es wäre ihm durchaus zuzutrauen gewesen, dass er hochklettert und es auspustet.

Diskuswerfer, Hürdenläufer, Feuerauspuster - das alles reichte Harting an diesem Abend noch nicht. Er wollte zeigen, dass er eigentlich ein kompletter Sportler ist. Erst verglich er den Wettkampf zuvor mit Schach ("Da war auch viel Taktieren dabei"), dann seinen Arm mit der Formel 1 ("Sieben PS stecken da schon drin") und schließlich sich als Gesamtkunstwerk mit Wladimir Klitschko: "Der hält ja auch drei Gürtel, mir gehören nun die drei wichtigen Titel der Leichtathletik."

Harting war vor London in 28 Wettkämpfen unbesiegt geblieben. Nun ist er auch noch Olympiasieger, nachdem er sein Sportgerät im fünften Versuch 68,27 Meter weit geschleudert hatte.

"Das war ein verrückter Wettkampf, so was habe ich noch nie erlebt. Die ersten drei Versuche waren quasi weg", sagte er danach. "Beim ersten Versuch beginnt der 800-Meter-Lauf, danach läuft beim zweiten Halbfinale auch noch ein Brite mit, da war dann ja die Hölle los." Lärm sei gut, wenn man selbst gemeint sei - aber so habe es doch gestört: "Und dann kommt auch noch der Offizielle daher und will, dass ich mein Handtuch weg lege."

Harting lag lange auf Platz zwei, dann wuchtete Gerd Kanter (Estland) den Diskus auf 68,03 Meter. Harting war nur noch Dritter. "Da habe ich gemerkt, dass dieser Wettkampf ein wenig aus dem Ruder läuft und dass ich noch mal was tun muss." Beim fünften Wurf gelang ihm die Siegweite, der sechste war nicht mehr so weit: "Es ist dann nicht schön, wenn man nichts mehr tun kann und zusehen muss, wie der andere noch kontern kann." Der Iraner Ehsan Hadadi hatte noch einen Versuch, kam aber nicht so weit.

Harting ist der erste deutsche Leichtathletik-Olympiasieger seit Heike Drechsler und Nils Schumann vor zwölf Jahren in Sydney. Er ist nun einer der besten Leichtathleten überhaupt. Und er ist bislang das deutsche Gesicht dieser Spiele. Es bleibt dennoch die Frage, was bleiben wird von diesem Triumph - vor allem, was diesem Robert Harting bleiben wird.

Harting kritisiert geringe Entlohnung

Harting spricht gerne und viel über sich, er trägt sein Herz auf der Zunge und bisweilen auch noch weiter vorne - was ihm die einen als Offenheit auslegen und die anderen als Torheit. Er plaudert über seine schwere Kindheit, sein latentes Burn-out-Syndrom, seine Verletzungen am Knie, die seine Karriere beinahe beendet hätten.

Diskus-Gold für Robert Harting: Diskuswerfer wird Hürdenläufer: Robert Harting nach seinem Goldwurf.

Diskuswerfer wird Hürdenläufer: Robert Harting nach seinem Goldwurf.

(Foto: AP)

Er macht aber auch unbedachte und bisweilen skandalöse Aussagen wie bei der WM 2009 in Berlin, als er nach der Qualifikation sagte: "Wenn der Diskus auf dem Rasen aufspringt, soll er gleich gegen eine der Brillen springen, die die Dopingopfer hier verteilt haben. Aber ich bin kein Mörder, ich will nur, dass sie wirklich nichts mehr sehen." Die Dopingopfer der DDR wollten damals auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Harting wollte seinen Trainer Werner Goldmann in Schutz nehmen, dem eine Verwicklung im DDR-Dopingsystem vorgewurfen wurde. Kurz darauf gewann er Gold, der Erfolg glättete fast alle Wogen. Die Nachricht an Harting: Wer als Sportler erfolgreich ist, der kann sagen, was er will.

Nun ist dieser Robert Harting nicht nur Sportler - er möchte auch ein Athlet sein, der gut davon leben kann, dass er einen Diskus weit schleudert. Er studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste und zeichnet teils wilde Gemälde. Doch beschwert er sich auch offensiv über die Entlohnung von Sportlern, insbesondere von Leichtathleten, wenn sie nicht gerade Usain Bolt oder Jessica Ennis heißen.

"Der Olympiasieg wäre weniger wert als andere Erfolge", hatte er schon vor den Olympischen Spielen gesagt. Für den WM-Titel hatte er 60.000 Dollar brutto bekommen, als Olympiasieger wird ihn die Stiftung Deutsche Sporthilfe mit 15.000 Euro unterstützen. "Bosnien zahlt seinen Olympiasiegern 60.000 Euro, genauso wie Slowenien. Und Griechenland! Ich weiß nicht, wie sie das machen, aber die Griechen zahlen 150.000 Euro für einen Olympiasieg."

Wenn ein Sportler nicht von seinen Prämien leben kann, dann braucht er andere, die ihn unterstützen - und diese Sponsoren finanzieren nicht nur Erfolg, sie brauchen eine Marke. Freilich ist Harting ein charismatischer Typ, er ist der beste deutsche Leichtathlet derzeit - aber er ist bisweilen ein wenig zu martialisch, zu forsch, zu aggressiv. Manche Firma tut sich schwer mit einem, der einen Diskus nicht nur weit, sondern Menschen an den Kopf schleudern will.

"Ich habe meine Leistung gebracht, den Rest müsst ihr jetzt erledigen", sagte Harting bei der Pressekonferenz. In diesem Moment wird klar: Da oben auf der Bühne im Pressesaal des Olympiastadions saß einer, der anerkannt werden möchte für das, was er aus seinem Leben gemacht hat.

In dieser Nacht aber ging es auch darum, zu feiern. Denn "ein guter Sportler hat natürlich auch ein gutes Nachtleben". Als er das Stadion verließ, rief er seinen Freunden zu: "Wir sehen uns auf der MS!" Die MS, das ist das Schiff, das im Hafen auf deutsche Olympiasieger wartet. Ein guter Bootsfahrer ist er also auch noch, dieser Robert Harting.

Doch die Feier nach dem glücklichen Abend endete im Pech: Während seiner Party auf dem Kreuzfahrtschiff wurde Harting bestohlen. "Alle Akkreditierungen und Ausrüstung wurden mir geklaut", sagte er am Morgen danach der Bild-Zeitung. "Ich hatte sie abgelegt, als ich mich den Gästen gewidmet habe. Danach bin ich nicht mehr ins olympische Dorf gekommen. Ich habe nur eine Stunde in der Bahn auf dem Stuhl geschlafen." Auch seine Schuhe sind weg. Und das Trikot, das er aus Freude zerrissen hatte.

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