Dirk Nowitzki bei der Basketball-EM:An den Grenzen seiner Kraft

Die deutschen Basketballer stehen bei der EM in Litauen vor dem Aus. Dirk Nowitzki ragt zwar heraus, spürt aber die Folgen seiner Erfolgssaison in der NBA. Er muss mit seinen Kräften haushalten und kämpft gegen die teils überharte Verteidigung seiner Gegner - aber drücken will er sich nicht.

Andreas Burkert, Vilnius

Vom Buffet nimmt er eine Banane und Joghurt mit aufs Zimmer. Sportlernahrung für den Nachmittag. Dirk Nowitzki kann sie sicher gut gebrauchen. So eine Europameisterschaft mit sechs Spielen in der ersten Woche ist eigentlich keine große Sache für jemanden wie ihn, der 33-Jährige ist diese Inflation der Spiele gewohnt.

Deutschland - Spanien

"Mann, der Typ muss das Spiel lieben!": Der Franzose Nicolas Batum über Dirk Nowitzki.

(Foto: dapd)

Es ist seine sechste EM-Teilnahme, und für Dallas hat er diese Saison trotz Verletzungspause 94 Einsätze gehabt. In den Playoffs schrieb er Sportgeschichte, indem er die Mavericks zum ersten NBA-Titel führte. Keine drei Monate ist das jetzt her, und nur zwei Wochen Urlaub hat er gehabt, ehe sich Nowitzki rumreichen ließ, in den Staaten, dann in der fränkischen Heimat, bei der Politik in Berlin. Und bei Testspielen.

Sein Energiedepot müsste sich, sofern es sich bei ihm nicht um einen Roboter handelt, der Reserve nähern. Was ist also noch drin im Akku? "Der ist toppvoll!", ruft Nowitzki. Er grinst schelmisch.

Jetzt, da den deutschen Basketballern die vorzeitige Heimreise - Montagmorgen um 4 Uhr - droht, sind Fragen von Unkundigen zu vernehmen, weshalb der derzeit beste Basketballer des Planeten das nicht verhindern kann. Wieso er zum Beispiel beim unglücklichen 68:77 gegen Titelverteidiger Spanien am Ende nicht einfach den Ball nahm und mittels der neuesten Wurferfindung seines Privattrainers Holger Geschwindner, dem einbeinigen fadeway jumper, oder per Dreier von der Mittellinie die Iberer vor vollendete Tatsachen stellte. Nowitzki spiele "nach wie vor nicht in Topform", meldete eine Agentur. Nur, wie soll das gehen?

Nowitzki redet nicht über die Belastung. Dafür ist er zu anständig. Und auch Geschwindner versichert, es gebe "keinen physischen Faktor". Also lässt man vielleicht die Fakten sprechen, alles wird ja im Basketball statistisch erfasst. Und man trifft jemanden, der die Strapazen einer langen NBA-Saison einschätzen kann. Zum Beispiel Nicolas Batum.

Der Flügel der unbesiegten Franzosen hat seine dritte NBA-Saison mit Portland hinter sich: 86 Spiele, davon sechs in der ersten Playoff-Runde, wo Portland ausschied gegen, nun ja, gegen Dallas und Nowitzki. Das war Ende April.

Bei der EM präsentiert sich Batum gut erholt, 15 Punkte erzielt er im Schnitt. Aber wenn er auf die Saison zurückblickt, sagt der 22-Jährige. "Puh, ich bin müde - und ich bin ja noch jung! Ich habe echt Angst vor dem Alter, in dem diese tollen Jungs wie Dirk jetzt sind." Dass Nowitzki überhaupt in Litauen spielt, hat Batum erst nicht geglaubt. "Nach der Saison kommt er nicht, ,das ist gut für uns', dachte ich im Juli." Dann hörte er: Der Patriot Nowitzki kommt doch. "Und ich dachte: ,Mann, der Typ muss das Spiel lieben!' Er schert sich nicht ums Geld, und dass er überhaupt hier ist für sein Land - das ist unglaublich, das ist groß, groß, groß. Dirk ist mein Vorbild."

"Pfiffe kannst du hier nicht erwarten"

Das Idol ragt auch diesmal heraus: im Schnitt 20,2 Punkte, Sechster der Scorerliste. Er gibt für Olympia, was er hat. Und mehr geht nicht, nicht nach einer Saison, die er prägte und in deren Playoffs nur die drei großen Namen von Finalgegner Miami länger auf dem Feld standen, LeBron James (922 Minuten), Chris Bosh (834) und Dwayne Wade (828). Nowitzki spielte 826 von 1008 möglichen Minuten in 21 Partien, in denen er zur Legende aufstieg. Zwischendurch hatte er mal Fieber. Und war am Finger verletzt.

Sein Athlet sei fit, sagt Geschwindner trotzdem. Der kritische Begleiter der DBB-Auswahl benennt traditionell eine zu große Diskrepanz zwischen Nowitzkis Niveau und dem der übrigen Spielern. Geschwindner spricht dann von "unserem Hallenschach, wir müssen ja überlegen, wie wir den Ball über die Mittellinie kriegen". Er meint das gar nicht so abwertend, wie das bei ihm stets klingt. Doch der Gegner müsse "nur zwei Mann bewachen", Nowitzki und den eingebürgerten NBA-Center Chris Kaman. "Und die Schiedsrichter sind dann noch mal ein anderes Problem. Denn in Europa treffen ja zwei Sportarten aufeinander."

In der Tat ist Nowitzki gegen Spanien - als es minutenlang 63:66 stand und nur ein paar vergebene Dreier und späte Ballverluste entschieden - sichtbar verzweifelt. Die Spanier hingen zu zweit an ihm, manchmal zu dritt. Aber die Referees pfiffen einfach nicht mehr. Er wolle da keine Debatte anstoßen, sagt Aufbauspieler Heiko Schaffartzik. "Aber ich habe schon gedacht, dass Dirk bei der EM wenigstens Pfiffe kriegt, die jeder kriegt." Nowitzki wirkt genervt, wenn er über den physischen EuroBasket-Stil spricht: "Pfiffe kannst du hier nicht erwarten."

Sie schützen ihn selten, der Gegner stellt sich auf ihn ein, weil er unendlich aus dem Team herausragt (er hat bisher nur zwölf Dreier geworfen, bei sechs Treffern) und die Auslosung war mies, das sind Gründe, weshalb Dirk Nowitzki diesmal keine Wunderdinge verbringen kann. Bei der EM 2005, als er den Deutschen Silber gewann, war er mit 26,1 Punkten bester Turnierwerfer und zweitbester Rebounder (10,6), genau wie 2007: 24 Punkte, 8,7 Rebounds. In Litauen muss er mit den Kräften haushalten, das ist zu sehen. Gegen Spanien fing er im sechsten Spiel seinen ersten Offensiv-Rebound.

Er verstehe das, sagt Nicolas Batum und erinnert an Frankreichs überragenden Spurs-Profi Tony Parker, der wie er seit April freihatte. "Früher, wenn er mit San Antonio im Finale war, da kam Tony doch auch müde zum Nationalteam." Die Alternative wäre gewesen, ergänzt Geschwindner, "sich zu drücken, aber das hat keinen Stil". Dirk Nowitzki würde mit Stil gehen. Er ist halt etwas müde und ausnahmsweise nicht Superman. Keiner kann ihm deshalb einen Vorwurf machen.

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