Um Mitternacht wollte Diego Costa nicht länger zusehen, wie sich die Abfahrt des Mannschaftsbusses verzögerte. Genervt von der Warterei riss Costa den Brandlöscher von der Wand und richtete die Düse auf Trainer Antonio Conte. Ihm missfiel, dass sein Chef die Gesprächsrunde mit den Medienvertretern einfach im Gang fortsetzte. Schließlich hatte Costa zuvor bereits die Pressekonferenz gestürmt, um Conte zum Ausgang zu zerren.
Gründe dazu glaubte er genug zu haben, der zweite Gewinn des Premier-League-Titels mit dem FC Chelsea binnen drei Jahren bot Anlass für eine ausgiebige Tour durch die besseren Diskotheken Londons. Wichtig war daher die rechtzeitige Rückkehr vom Auswärtsspiel in West Bromwich bei Birmingham. Allerdings schlug Costas Einsatz fehl - ein Teamkollege riss ihm den Feuerlöscher aus der Hand.
Mehrmals reizte Costa seinen Vorgesetzten
Die Aktion des Brasilianers mit spanischem Pass öffnete einen kleinen Blick darauf, wie herausfordernd es ist, mit diesem Stürmer auf täglicher Basis zusammenzuarbeiten. Mehrmals reizte Costa seinen Vorgesetzten. Bei einem Heimspiel im Herbst wollte er die eigene Auswechslung erzwingen. Und ein Krach mit dem Fitnesstrainer sorgte im Januar dafür, dass Conte den 28-Jährigen für ein Spiel aus dem Kader strich. Costa reicht es nicht, Tore zu erzielen, er spielt auch immer mit dem Feuer.
Am vorletzten Spieltag, beim 4:3 gegen den FC Watford drei Tage nach dem Vollzug der Meisterschaft, gab es die nächste Überraschung für Trainer Conte: Schon in der Halbzeitpause betrat Costa den Presseraum in Fußballschuhen und bediente sich am Buffet. Nach einem Blick auf den Käseteller und dem anfänglichen Verzehr eines Sandwiches entschied er sich für die japanische Zitrusfrucht Satsuma. Dies alles und noch viel mehr summierte sich zu einem Zerwürfnis, das in einem Chat auf dem Mobiltelefon eskalierte. Mit einer Textnachricht bat der arbeitssüchtige Italiener Conte seinen launischen Profi Costa, in guter Verfassung aus dem Urlaub zurückzukehren. Die Antwort Costas provozierte eine nächste SMS; laut der spanischen Zeitung As schrieb Conte: "Hi Diego, ich hoffe, dir geht's gut. Danke für die gemeinsame Saison. Viel Glück für die nächste, du spielst in meinen Planungen keine Rolle."
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Das kühle Ende dieser einjährigen Zweckgemeinschaft (Costa ist seit 2014 bei Chelsea, Conte seit 2016) hat den Sommerpoker auf dem Transfermarkt eröffnet. Der sich konkretisierende Abschied von Costa bestimmt nicht nur die Aktivitäten des FC Chelsea, sondern auch vieler anderer Spitzenklubs, die in der Transfer-Kette später an der Reihe sind. Klar ist, dass in Costa einer der charakterlich schwierigsten, aber auch weltbesten Mittelstürmer erhältlich zu sein scheint. Und die Auswahl an Stürmern von dieser Qualität ist begrenzt. Der internationale Offensivspielermarkt wird bis zum Transferfinale (31. August) die Schlagzeilen bestimmen.
In drei Jahren bei Chelsea steuerte Costa in 89 Premier-League-Spielen 52 Tore und 16 Vorlagen bei - damit gestaltete er etwa ein Drittel aller Treffer der Blauen mit. Über die Statistik hinaus hat er die übrigen Offensivakteure miteinander verknüpft und mit seiner kantigen Statur besonders dem quirligen Belgier Eden Hazard oft den Weg freigesperrt. Auf der Geschäftsstelle wie bei den Fans genoss Costa hohe Akzeptanz. Sein Arbeitsethos gefiel, obwohl er sich keine Mühe gab, seinen Grundwortschatz für eine Englisch-Konversation zu erweitern.
Durch das gezielte Lancieren der SMS-Interna an die Öffentlichkeit hat Costa seinen Arbeitgeber allerdings in eine fiese Position gebracht. Die Konkurrenz weiß nun um die Dringlichkeit eines Verkaufs, was den Transfererlös für Chelsea nach unten drücken dürfte. Der aktuelle Marktwert des spanischen Nationalspielers dürfte bei 50 Millionen Euro liegen, sein Vertrag läuft eigentlich noch bis Sommer 2019. Chelsea würde ihn wohl am liebsten nach China transferieren, auf Costas Gegenliebe stößt der Vorschlag nicht.
Denn im Hinblick auf die WM 2018 benötigt Costa regelmäßige Einsätze auf Topniveau. Seit Monaten ließ er, zum Ärger von Conte, keine Gelegenheit aus, mit einem Wechsel zu seinem Ex-Arbeitgeber Atlético Madrid zu kokettieren. Allerdings unterliegt Atlético einer Transfersperre, die verhindert, dass die Spanier neu gekaufte Spieler bis Dezember überhaupt einsetzen dürfen. Somit müsste Costa für die Hinrunde zunächst verliehen werden. Davon abgesehen, sind die offensiven Arbeitsplätze bei Atlético begrenzt, nachdem der Franzose Antoine Griezmann seinen Kontrakt nach kurzem Flirt mit Manchester United demonstrativ bis 2022 verlängert hat.
"Ja, Diego, ich liebe dich auch"
Chelsea hat sich derweil durch die Costa-Debatten unter Handlungszwang gesetzt. Durch die Zusatzbelastung in der Champions League, in der die Londoner in der vorigen Saison fehlten, sind künftig zwei starke Zentralangreifer von Nöten - ohne Costa hätten sie momentan keinen. Dessen vorgesehener Ersatz, der Belgier Michy Batshuayi, 23, kam in der Liga lediglich auf insgesamt 235 Einsatzminuten.
Von dieser Notlage profitiert der FC Everton, bei dem der Wunschkandidat Chelseas, der Belgier Romelu Lukaku, 24, noch zwei Jahre unter Vertrag steht. Offenkundig soll Everton nicht bereit sein, Lukaku für weniger als 100 Millionen Pfund zu verkaufen. Die Klubs in der Premier League bekommen aktuell zu spüren, was passiert, wenn Geld seinen Wert verliert. Durch die abstrus hohen Einnahmen über Investoren und die Fernsehvermarktung hat es bald kein Klub auf der Insel mehr nötig, Leistungsträger abzugeben.
Der bekannteste Leidtragende dieser Entwicklung ist der FC Arsenal. Die Gunners suchen verzweifelt nach Verstärkungen und laufen derzeit Gefahr, in zwölf Monaten, wenn die Verträge auslaufen, im Chilenen Alexis Sánchez und im Deutschen Mesut Özil ihre besten Spieler ablösefrei zu verlieren. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Manchester United nach einem attraktiven Angreifer fahndet. Dort geht die Zeit des am Kreuzband verletzten Zlatan Ibrahimovic, 35, zur Neige.
Aufgrund der Marktlage wäre Chelsea gut beraten, doch noch eine Versöhnung mit Diego Costa einzuleiten. Eine solche Aktion wäre für den Klub nicht neu - und traf bereits einige: John Terry, 36, der langjährige Kapitän, sollte 2016 gegen seinen Willen bereits verabschiedet werden. Über die Medien ließ er einen Fanaufstand inszenieren, am Ende gab es im Revier des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch eine Spielzeit obendrauf.
Beim stolzen Costa dürfte es schwieriger werden, da er sich durch Contes Manöver brüskiert fühlt. Schon auf der verspäteten Busabfahrt aus West Bromwich hatte Conte ihn ins Leere laufen lassen: "Diego liebt dich!", warf Costa seinem Trainer verbal zu. Zurück kam: "Ja, Diego, ich liebe dich auch." Aus Contes Tonfall war freilich keine Zuneigung herauszuhören, er klang genervt. Immerhin brach der Teambus endlich zur Disco auf.