Die Schweiz nach dem 3:0:Seltsame "Secondos"-Debatte

Switzerland vs Estonia

Die Nachkommen der Einwanderer jubeln für die Schweiz: Xherdan Shaqiri (l.), Goekhan Inler (m.) und Granit Xhaka feiern einen Treffer gegen Estland.

(Foto: Laurent Gillieron/dpa)

Nati-Trainer Petkovic muss in einer schwierigen Frage moderieren: Es geht um die dominante Rolle der Nachgeborenen der Schweizer Einwanderer in seiner Auswahl.

Vladimir Petkovic wirkte total entspannt. Kein Wunder, die Auswahl des Schweizer Nationaltrainers hatte Freitagnacht gerade mit 3:0 (2:0) nach Toren von Fabian Schär (17.), Granit Xhaka (27.) und Haris Seferovic (80.) gegen Estland souverän gewonnen. Die Hälfte der zehn Qualifikationsspiele auf dem Weg zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich waren geschafft, Zeit für ein Fazit. Nach holprigem Auftakt mit zwei Niederlagen gegen Tabellenführer England (15 Punkte) und in Slowenien (9) stehen die Schweizer nach drei Siegen in Serie nun auf Rang drei der Tabelle (9). "Alles zusammen gesehen, ist das Glas nun halb voll", meinte Petkovic ruhig und fand: "Wir sind auf einem guten Weg."

Seit acht Monaten amtiert der vor 51 Jahren in Sarajevo geborene Mann als Trainer der Schweizer Nationalmannschaft. Nach der Ära von Ottmar Hitzfeld (2008 bis 2014) überraschte es viele Eidgenossen, dass die Wahl auf Petkovic fiel. Der grauhaarige Mann, der wie ein 1,90 Meter großer Lino Ventura des Fußballs aussieht, war einst als Spieler und Trainer in verschiedenen Schweizer Klubs tätig, bevor ihn schließlich bei Lazio Rom der Ruf des Schweizer Verbandes lockte. Petkovic kämpft nicht nur gegen den Schatten seines Vorgängers, mit dem zwei WM-Teilnahmen gelangen, er muss sich grundsätzlich erst die Anerkennung erkämpfen. Ohnehin ist die Euphorie um die "Nati" zuletzt abgeflaut. Zwar war das Stadion im schönen Luzern am Vierwaldstätter See am Freitagabend offiziell mit 14.500 Zuschauern ausverkauft, einige Plätze waren aber trotzdem leer geblieben. Vor dem Spiel gab es an den Ständen Raclette, während der 93 Minuten spielten die Marschkapellen ab und an den Klassiker "Sierre Madre", und die typische Anfeuerung "Hopp Schwiiz" kam nur selten lautstark zum Ausdruck - mit einem Satz: Die Stimmung war ausbaufähig.

Es begann mit der Ausbootung von Schwegler und Barnetta

Ob die fehlende Euphorie um die "Nati" daran liegt, dass immer mehr sogenannte "Secondos" in der Schweizer Mannschaft spielen, wurde in den Tagen vor dem Anpfiff gegen Estland in der Eidgenossenschaft lebhaft diskutiert. Secondos nennen die Schweizer die Nachgeborenen der Väter und Großeltern ihrer Einwanderer. Losgetreten hatte die Debatte Stephan Lichtsteiner in einer Medienrunde am Donnerstag. Der Rechtsverteidiger von Juventus Turin hatte die Nichtnominierungen von Pirmin Schwegler (Hoffenheim) und Tranquillo Barnetta (Schalke) kritisiert. "Es ist extrem wichtig, dass wir auf unsere Identifikationsfiguren aufpassen", meinte Lichtsteiner. Barnetta, der erst seit ein paar Wochen wieder regelmäßig beim FC Schalke spielt, hatte sich beschwert, nicht vom Trainer von seiner Nichtnominierung informiert worden zu sein; Schwegler, der auch unter Vorgänger Hitzfeld nur selten zum Einsatz kam, hatte gar verärgert seinen Rücktritt erklärt. Lichtsteiner sagte: "Mir geht es nicht um richtige Schweizer und die anderen Schweizer, sondern darum, dass sich das Volk weiter mit der Nationalmannschaft identifizieren kann."

Freitagabend standen acht sogenannte Secondos in der Startelf, neben Kapitän Gökhan Inler auch Johan Djourou, Granit Xhaka, Valon Berahmi, Xherdan Shaqiri, Ricardo Rodriguez, Haris Seferovic und Josip Drmic. Früher waren die Secondos in der Stammelf eine Minderheit, die Trennlinien innerhalb der Team-Hierarchie verliefen eher an den Sprachgrenzen zwischen den Französisch parlierenden Romands und den Deutschschweizern. Lichtsteiners Äußerungen befeuerten die Debatte um das Innenleben im Schweizer Team. Spieler wie der in Gladbach und im Nationalteam derzeit überragend spielende Granit Xhaka, 22, in Basel geboren und Sohn eines Albaners, oder Wirbelwind Xherdan Shaqiri, 23, im heutigen Kosovo geboren und in Basel groß geworden, steigen dank ihrer Leistung immer höher in der Teamhierarchie. Ihr Selbstvertrauen ist so groß wie ihr Ehrgeiz, in den nächsten Jahren mit der Schweiz erfolgreich zu sein. Xhaka erklärte am Freitag, er sei von der ganzen Diskussion überrascht. Ob Schwegler oder Barnetta spielten oder nicht, habe nichts mit den Secondos zu tun, erklärte er. Und ob einer eine oder zwei Heimaten habe, sei doch egal: "Wir sind Profis und wollen unseren Job machen."

Lichtsteiner holt sich einen Rüffel vom Trainer

Haris Seferovic, 23, von Eintracht Frankfurt, in Sursee geboren und bosnischer Abstammung, sagte, er wolle der Schweiz etwas zurückgeben. Ansonsten reagierte er genervt von der Diskussion, Lichtsteiners Aussagen seien ihm egal, recht patzig und erklärte in reinstem Schwiizerdütsch: "Es ist jedem seine eigene Sache, seine Meinung zu sagen, mehr gibt es dazu nicht zu sagen." Xhaka behauptete noch, in der Mannschaft sei das Thema kein Thema gewesen vor dem Spiel.

Wohl aber zwischen Lichtsteiner und Trainer Petkovic. Der Spieler habe seine Meinung zum falschen Zeitpunkt geäußert, rügte Petkovic, dies habe er Lichtsteiner in einem anderthalb Stunden langen Gespräch "über alle möglichen Themen" mitgeteilt. Unterschwellig stand in der Debatte auch Petkovic am Pranger, nach dem Motto, er bevorzuge Secondos. Allerdings goutierten viele Schweizer Experten die Nichtnominierungen Schweglers und Barnetta.

Für Petkovic war die souveräne Leistung beim Pflichtsieg gegen einen schwachen Gegner dann auch der Beweis, dass sich diese Mannschaft nicht habe provozieren lassen und Einigkeit gezeigt habe. "Die anderen haben ihr Ziel nicht erreicht", sagte Petkovic nebulös und meinte wohl die vor allem vom Schweizer Boulevard härter geführte Debatte. Und Stephan Lichtsteiner, vor 31 Jahren in Adligenswill geboren und seit fast vier Jahren bei Juventus Turin einer der besten Rechtsverteidiger Europas?

Es sei keine Kritik am Trainer gewesen, behauptete Lichtsteiner Freitagnacht frisch geduscht nach dem Abpfiff schließlich: "Das ist eine super Mannschaft. Die Jungs wissen, dass ich alles für sie mache. Und ich weiß, dass ich alles für sie mache." Seine Aussagen seien gegen niemand gerichtet gewesen und hätten intern keinen Wirbel verursacht. Die ganze Aufregung sei für ihn unverständlich, behauptete Stephan Lichtsteiner. Das gilt allerdings eher für seine Aussagen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: