"Die Finals":Zu den Zuschauern paddeln

In Berlin werden an diesem Wochenende Meistertitel in zehn Sportarten verteilt. Die Kanuten nutzen ihren Auftritt, um Wettkampfformen der Zukunft zu zeigen.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Auf der Spree an der Oberbaumbrücke in Berlin paddeln gehen? Jacob Schopf hat sich das schon häufiger vorgestellt, mit seinem Boot auch das Herz der Stadt zu erkunden, doch die Schifffahrtsgesetze gelten halt auch für Kanuten der Nationalmannschaft. Außer: an diesem Wochenende in Berlin. Da darf Schopf, der Weltmeister im Kajak-Vierer von 2018, dann auch mal an der East Side Gallery per Boot vorbeijagen, wo er sonst nur an Land "entspannt mit Kumpels chillen" konnte. "Es ist cool, dass man in der Stadt auch mal richtig paddeln kann", sagt der 20-jährige Schopf, "ich fahre sonst ja nur außerhalb in Grünau herum oder in Köpenick." Aus dem Rand hinein in die Stadt, das ist das Motto bei den Kanuten. Hin zu den Zuschauern, die in nicht-olympischen Zeiten aktiv gesucht werden müssen.

Nach diesen Zuschauern fahnden auch ARD und ZDF, die, angelehnt an die Wintersportübertragungen, auch gerne die Sommersportarten erfolgreich an das Publikum bringen würden. Was sich im vergangenen Jahr schon bei den European Championships bewährt hat, soll nun auch in kleinerem Rahmen gelingen: zehn Sportarten gebündelt in Sendeblöcken am selben Wochenende zu übertragen. Unter dem Namen "Die Finals" werden deutsche Meisterschaften in ganz Berlin ausgetragen, es messen sich neben den Kanuten auch die Leichtathleten, Schwimmer, Turner, Bahnradfahrer, Bogenschützen, die Modernen Fünfkämpfer ebenso wie die Athleten im Fahrrad-Trial und Triathlon. Die Boxer bestreiten schon seit Dienstag Vorkämpfe. Ein Mini-Olympia für die, die zwischen zwei Olympischen Spielen oft in Vergessenheit geraten. "Es ist eine ultragute Leinwand für unseren Sport und für uns selber, um uns mal zu zeigen", sagt Jacob Schopf.

Für die Schau kamen die klassischen Rennformate nicht in Frage

Einen wie Schopf soll man sich jetzt bereits merken, für Tokio in einem Jahr. Im Juni haben die Veranstalter den dreifachen Junioren-Weltmeister schon einmal an die East Side Gallery geladen, wo er zusammen mit Franziska John, geborene Weber, mit Blick auf die Spree für die Fotografen posieren durfte. Die 30-jährige Olympiasiegerin von 2012 ist zusammen mit Sebastian Brendel, dem dreifachen Olympiasieger, das Gesicht der Finals aus Kanu-Perspektive, doch Schopf gilt als Mann für die Zukunft. Und damit beschäftigt man sich viel im Deutschen Kanu-Verband.

'Die Finals ? Berlin 2019'

Nur 160 Meter – so kurz ist Sprintstrecke an der East Side Gallery, wie die Kanuten Franziska John und Jacob Schopf zeigen.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

In diesem Jahr konnte sich der Lehramtsstudent aus Köpenick für den Zweier mit Olympiasieger Max Hoff empfehlen, im Juni wurden sie Europameister über 1000 Meter. Eine Strecke, die allerdings nichts mit dem zu tun hat, was es nun in Berlin zu sehen gibt. Für die Schau auf dem touristisch beliebten Spreeabschnitt kamen die klassischen Rennformate nicht in Frage. Gefahren werden deshalb Parallelsprints über 160 Meter. "Bei mir beginnt ein Rennen bei 500 Metern erst richtig", sagt Schopf, "aber ich nehme das an". Die Freude, überhaupt eine Bühne zu bekommen, ist bei den Athleten ungetrübt. "Großen Sport" und "große Show" verspricht Präsident Thomas Konietzko, und gibt schon mal einen Ausblick in die Zukunft: "Irgendwann wird es vielleicht Olympische Spiele über 380 Meter geben, weil da irgendwo mittendrin in Los Angeles vielleicht ein kleiner See ist, wo die Leute am Wochenende hinströmen."

Tatsächlich arbeiten die Kanuten schon seit Jahren an einer Art Notfallprogramm. "Es kann sein, dass wir irgendwann wegmüssen von unserem traditionellen System mit neun Bahnen über 500 und 1000 Meter", sagt Konietzko, "weil es einfach zu teuer ist, bei zukünftigen sportlichen Großveranstaltungen solche Wettkampfstätten extra für Rudern und Kanu zu bauen." Deshalb möchte man etwas in der Hinterhand haben, "wenn diese Flexibilität nötig ist". Insofern sind solche Wettbewerbe wie die Finals am Wochenende in Berlin auch eine Vorbereitung auf die Zukunft. Der Potsdamer Kanalsprint diente dabei als Vorbild, schon seit 15 Jahren werden dort Parallelrennen ausgetragen. Auch auf der Binnenalster in Hamburg hat es 2015 schon einen internationalen Wettkampf gegeben. Man wolle "näher an die Leute rangehen", sagt Konietzko, "damit sie die Faszination unserer Sportart besser kennenlernen und dafür nicht auf Regattastrecken raus müssen".

"Für uns ist das in Anführungszeichen ein Spaßwettbewerb"

Dabei gilt es aber auch, die eigenen Athleten nicht zu verschrecken. Die haben schließlich ihr bisheriges Kanutenleben auf Strecken zwischen 200 und 5000 Meter ausgerichtet. "Deswegen möchten wir mit den traditionellen Strecken auch unbedingt weitermachen", sagt der Präsident.

Zwei Tage, 202 Entscheidungen

Premiere in Berlin: Am 3. und 4. August werden deutsche Meisterschaften in zehn Sportarten gebündelt: 3300 Athleten kämpfen in 202 Entscheidungen um Titel.

Die Sportarten: Bahnrad, Bogenschießen, Boxen, Kanu, Leichtathletik, Moderner Fünfkampf, Schwimmen, Triathlon, Turnen und Trial (Trial ist ein Radsport-Parcourwettkampf mit Hindernissen).

Die Wettkampfstätten: Die Titelkämpfe sind über die ganze Stadt verteilt: Leichtathletik beispielsweise findet im Olympiastadion statt; Bogenschießen und Fünfkämpfer in einem temporären Stadion nebenan; die Kunstturner gehen in der Max-Schmeling-Halle an die Geräte, Radsport ist im Velodrom, Kanu auf der Spree.

Fernsehen: ARD und ZDF berichten am Samstag und Sonntag 20 Stunden von den Finals.

In Berlin werden 28 Athleten in die Kajaks und Canadier steigen und sich von Vorläufen über Viertelfinals bis zu den Endläufen in K.o.-Duellen beweisen. "Für uns ist das in Anführungszeichen ein Spaßwettbewerb", sagt Max Rendschmidt, der Doppelolympiasieger von Rio, "aber hier will jeder in jedem Wettkampf vorne mitfahren."

Um die Motivation soll sich niemand sorgen. Der eigentliche Höhepunkt der Saison steht drei Wochen später in Ungarn an: Die Weltmeisterschaften, bei denen es vor allem darum geht, Quotenplätze für Olympia zu ergattern. Und Brendel, John oder Rendschmidt hat so mancher dann vielleicht noch von der Berliner Meisterschaft im Gedächtnis. Für Jacob Schopf geht es in Ungarn dann um sein bisher wichtigstes Rennen: Er soll zusammen mit Max Hoff die Tokio-Teilnahme sichern. 17 Jahre trennen den Neuling und den Routinier, "Generationenboot" hat der Verband das Duo getauft. Der "Papa", wie Schopf seinen Bootspartner selber manchmal nennt, bringt die Erfahrung und Rennhärte mit, er selber die Lockerheit. Und jugendliches Engagement, mit dem er aber manchmal noch haushalten muss. "Bei der Kraftdosierung, da gibt Max mir Hinweise, das ökonomisch gleich hinzukriegen", sagt Schopf. Jung lernt von alt, das ist ja auch eine Maßnahme für die Zukunft.

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