Die Elf der WM-Hingucker:Über allen schwebt Andrea Pirlo

Italiens Spielmacher wandelt über den Kraftprotzen, Folterknecht Pepe liefert sich eine Keilerei und Fred wird zum Symbol einer schwächelnden Seleção. Ein Glück, dass zumindest die Österreicher den Humor nicht verlieren. Die prägenden WM-Figuren.

Von der SZ.de-Sportredaktion

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Die Elf der WM-Hingucker:Pepe

Germany v Portugal: Group G - 2014 FIFA World Cup Brazil

Quelle: Getty Images

Italiens Spielmacher wandelt federleicht über all den Kraftprotzen, Folterknecht Pepe liefert sich eine herzerwärmende Keilerei mit einem Streithansel und der Brasilianer Fred wird zum Symbol einer schwächelnden Seleção - ein Glück, dass wenigstens die Österreicher den Humor nicht verlieren. Unsere elf WM-Lieblinge.

Pepe: Verdammte Axt, dieser Pepe! Warum war er diesmal nur so kurz dabei? Pepe ist die Gruselorgel des Fußballs, der fieseste Grobian, das ultimative schlechte Gewissen des Sports - und doch muss man diese wandelnde Vernichtungsmaschine irgendwie mögen. Seinen größten und einzigen relevanten Auftritt hatte Portugals Verteidiger im ersten Vorrundenspiel gegen die Deutschen. Die Episode hieß: Pepe gegen Thomas Müller. Und was für eine Keilerei es wurde! Der oberbayerische Streithansel piesackte den ohnehin gereizten Portugiesen, er stocherte, wuselte und ackerte - da packte Pepe die Keule aus. Er wischte dieser deutschen Nervensäge eine an die Backe. Müller fiel, Pepe plusterte sich auf, dann stubste er Müller vor den Kopf und beide brüllten sich an. Es gab Rot, es war herrlich, endlich normale Leute! Ach Pepe, Du herzallerliebster Haudruff. Wir freuen uns schon auf's nächste Mal bei Dir in der Folterkammer, até logo!

(jbe)

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Die Elf der WM-Hingucker:Andrea Pirlo

World Cup 2014 - Group D - Italy vs Uruguay

Quelle: dpa

Andrea Pirlo: Mamma mia, Andrea Pirlo! Darf es so zu Ende gehen? Der bedeutendste italienische Architekt seit Andrea Palladio, soll er so seinen letzten Bauplan im Weltfußball gezeichnet haben? Einen wie Dich, es gab ihn sonst nicht bei dieser WM. Einen der kämpfte, ohne zu beißen, einen der ackerte, ohne zu wühlen. Einen, der schwebte. Über stolpernden Engländern, über Kraftprotzen aus Costa Rica, über den Bestien aus Uruguay sowieso. Nur Deine Mitspieler, sie schwebten nicht mit Dir. Und sie ackerten und wühlten und bissen auch nicht. 2006 lernten wir, Dich zu fürchten, 2012 hassten wir es schon, Dich zu lieben - und nun haben wir verstanden, was es bedeutet, Dich zu vermissen. Den letzten Feldherrn, der kein Blutvergießen braucht. Darum bitten wir Dich, Andrea, komm' noch einmal zurück - und weise den Wühlern und Beißern den Weg aus dem Dunkel ins Licht.

(jom)

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Die Elf der WM-Hingucker:Benedikt Höwedes

World Cup 2014 - Final - Germany vs Argentina

Quelle: dpa

Benedikt Höwedes: Helmut Rahn. Gerd Müller. Andreas Brehme. Benedikt Höwedes. Lediglich die Winzigkeit von zwölf Zentimetern verhindert im WM-Finale gegen Argentinien, dass sich der Schalker als Siegtorschütze anstelle von Mario Götze in den deutschen Geschichtsbüchern verewigt. Sein Kopfball kurz vor der Pause prallt an den Pfosten. Der Treffer wäre so verdient gewesen. Benedikt Höwedes, geboren am 29. Februar 1988 im westfälischen Haltern, ist ein Held, ein würdiger Weltmeister, der beste Linksverteidiger dieser Weltmeisterschaft.

Vor dem Turnier hatte das nur einer gewusst: Joachim Löw, der ihn kurzerhand vom Innen- zum Linksverteidiger umschulte. Höwedes ist nicht besonders schnell, der Ball verspringt ihm das eine oder andere Mal. Und auch seine Flanken fliegen manchmal arg ins Leere. Aber Höwedes, der wie Neuer und Lahm keine WM-Sekunde verpasste, hat Herz, Leidenschaft, Mut - und keine Angst. Er grätscht, fliegt, rennt - wenn es sein muss 120 Minuten lang. Krämpfe scheint er nur von seinen Mitspielern zu kennen. Höwedes kennt jetzt die ganze Welt. In Brasilien nannten sie ihn "Howetz".

(schma)

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Die Elf der WM-Hingucker:Granit Xhaka

Switzerland's Granit Xhaka, Valon Behrami, Josip Drmic and Xherdan Shaqiri celebrate after winning their 2014 World Cup Group E soccer match at the Amazonia arena in Manaus

Quelle: REUTERS

Granit Xhaka: Grundsätzlich kann Granit Xhaka seinen Torjubel gestalten wie er will. Es gibt aber einen Moment im Spiel, wo so ein Jubel einer festen Choreografie folgen sollte: Wenn die eigene Mannschaft katastrophal gespielt hat, unerreichbar zurückliegt und in den letzten Minuten doch noch einen Treffer erzielt. Dann hat der Schütze kurz die Faust zu ballen, den Ball aus dem Tor zu fischen und damit zurück an den Mittelkreis zu joggen. Nicht so der Schweizer. Der feierte sich und sein Tor gegen Frankreich, als hätte er gerade den späten Siegtreffer erzielt - inklusive Herz-Geste und euphorischem Ballwegkicken. Leider war es nicht der Siegtreffer. Es war das 2:5. In der 87. Minute. Damit aber nicht genug, der Gladbacher versah sein Tor auch noch mit einer Widmung: Für alle, die an ihn geglaubt hatten! Wer ein solches Selbstvertrauen hat, braucht den Bundesliga-Alltag nicht zur fürchten. Dort schießt er zwar selten Tore - er könnte aber bald seine unzähligen gelben Karten jemandem widmen. Allen, die an ihn glauben, zum Beispiel.

(abb)

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Die Elf der WM-Hingucker:Tim Krul

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Quelle: AFP

Tim Krul: Im Elfmeterschießen kann ein Torhüter nur gewinnen. Hält er einen Ball, wird er zum Helden. Es ist wohl kein Fall in der Fußballhistorie überliefert, in dem ein Keeper für seine Leistung im Shoot-out kritisiert worden wäre. 1990 zum Beispiel wurde Bodo Illgner von Stuart Pearce mehr angeschossen, als dass er parierte. Trotzdem rannten ihn seine Teamkollegen vor Freude über den Haufen. Ein Schütze MUSS treffen, dieser psychologische Vorteil war dem holländischen Schlussmann Tim Krul bewusst, als er sich im Viertelfinale vor Costa Ricas Spielern aufbaute, rumfuchtelte und seinen Trashtalk von sich gab ("Ich weiß, wohin du schießt...").

Der Schiedsrichter unternahm wenig bis nichts dagegen - leider. Ob es an seinen Mätzchen lag, dass die Mittelamerikaner zweimal an Krul scheiterten, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Doch "in ihre Köpfe", wie er es nach dem Sieg nannte, hatte er es geschafft. Im Halbfinale schieden die Holländer im Elfmeterschießen gegen Argentinien aus. Ron Vlaar und Wesley Sneijder hießen diesmal die unglücklichen Elfer-Verfehler. Und draußen saß Tim Krul, der nichts dagegen tun konnte. Irgendwie gerecht.

(mane)

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Die Elf der WM-Hingucker:Luis Suárez

Luis Suarez

Quelle: AP

Luis Suárez: Soll man Leute treten, die schon auf dem Boden liegen? Luis Suárez ist ein begnadeter Fußballspieler, Torschützenkönig der Premier League noch dazu, und auch bei dieser WM traf der Uruguayer zweimal. In Brasilien hat er sich trotzdem keine neuen Freunde gemacht. Erst versuchte er, dem Italiener Giorgio Chiellini ein Stück Fleisch aus der Schulter zu beißen, und dann brauchte er fast eine Woche für die Entschuldigung. Der Eindruck eines Dreckskerls entstand - und der wird andauern.

Die Konsequenzen: Die Fifa verhängte gegen Suárez eine Sperre von vier Monaten Fußball und neun WM-Spielen. Seine Karriere stand auf dem Spiel. Dass sich dann der FC Barcelona erbarmte und Suárez trotz seiner Sperre für kolportierte 75 Millionen Euro gekauft hat, fällt nun kaum noch ins Gewicht. Dieser Mann ist gestraft. Dreckskerl hin oder her: Er hat unser Mitleid.

(fued)

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Die Elf der WM-Hingucker:Vahid Halilhodžić

World Cup 2014 - Round of 16 - Germany vs Algeria

Quelle: dpa

Vahid Halilhodžić: Von Vahid Halilhodžić wird jenes Bild bleiben, wie er mit leerem Blick am Seitenrand steht, den Kopf gesenkt und die Arme verschränkt. Seine Algerier hatten den Deutschen im Achtelfinale gerade alles abverlangt, nach großem Kampf waren sie schließlich ausgeschieden. Und dann stand er da, Halilhodžić, der kühle Bosnier, und starrte ins Leere. Bald fing er an zu weinen, obwohl er mit diesem algerischen Team ohnehin mehr erreicht hatte, als irgendjemand verlangen konnte.

Vahid Halilhodžić, der coolste Hund bei dieser WM, steigerte seine Sympathiewerte am Ende noch dadurch, dass er die Pressekonferenz nach dem Deutschland-Spiel einfach schwänzte. Schließlich legte er auch sein Amt als Nationaltrainer nieder, selbst der algerische Staatspräsident konnte Halilhodžić nicht mehr umstimmen. Er hatte den heimischen Medien die Anfeindungen vor der WM nicht verzeihen können, also ging er. "Ich bin stolz auf meine Bilanz", sagte Halilhodžić zum Abschied - und alle durften ihn gern haben.

(fued)

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Die Elf der WM-Hingucker:Österreichischer Humor

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Quelle: Gabriel Bouys/AFP

Österreichischer Humor: Eine WM ohne Österreicher darf es allein schon deshalb nicht geben, weil keiner das Tragische und das Komische so herrlich unter einen Hut kriegt wie unsere Nachbarn. Da hatte das Gastgeberland Brasilien tagelang geheult, gezetert und gehadert, weil es beim 1:7 gegen Deutschland in ein nationales Trauma geschleudert wurde. Und was machen die Österreicher? Natürlich, einen Schmäh - und was für einen! Im Netz findet sich dieses humoristische Kleinkunstwerk, in dem weinende Fußballer der Seleção auf österreichisch zu Wort kommen. Auszug: "Ja, hallo. Oiso, i bin der Fred. Und mia is gestern mei Tippzettel aafganga." Es sei an dieser Stelle dringend empfohlen, sich dieses Filmchen mehrfach anzusehen, immer wieder, jeden Tag! Denn Lachkrämpfe sind garantiert. Wer diese Österreicher nicht urleiwand findet, der muss ein Herz aus Schnitzelpanade haben.

(jbe)

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Die Elf der WM-Hingucker:Juan Camilo Zúñiga

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Quelle: AFP

Juan Camilo Zúñiga: Juan Zúñiga sieht aus, als könnte er zu Hause in Kolumbien locker eine Anaconda erwürgen. Oder ein Krokodil. Oder beide gleichzeitig. Ein Mensch mit eckigen Schultern, eckigem Kinn und einem Hals so dick wie eine Litfaßsäule. Juan Zúniga ist der Bösewicht dieser Fußball-WM. Der 28-Jährige hat die einzige Hoffnung Brasiliens aus dem Turnier befördert. Durch einen brutalen, unüberlegten Stoß mit dem Knie brach er Neymar einen Lendenwirbel. Drei Tage lang berichteten die Medien im WM-Land über fast nichts anderes mehr. Dann verlor die Seleção 1:7. Für viele ist der Teufel Zúñiga daran schuld.

Der Kolumbianer ist sicher kein ausgesprochen fairer Spieler, doch die Umstände, die zu diesem Foul führten, sollten beachtet werden. Weil der Schiedsrichter während der gesamten Spielzeit zahlreiche böse Fouls nicht ahndete, breitete sich bald eine Atmosphäre der Anarchie auf dem Platz aus. Es wird getan, was erlaubt ist. Vor allem in einem WM-Viertelfinale. Zwei Minuten vor Schluss attackierte Zúñiga Neymar. Die Absicht, den Gegner zu verletzen, kann nicht nachgewiesen werden. Zúñiga bekommt inzwischen Polizeischutz, so viele Drohungen sind bei ihm eingegangen. Dabei ist die Strafe für ihn schlimm genug. Zúñiga, der Name wird auf ewig in Erinnerung bleiben. In diesem Sinne erhält er lebenslange Haft.

(hum)

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Die Elf der WM-Hingucker:Cesare Prandelli

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Quelle: AP

Cesare Prandelli: Die Trainer dieser WM boten einen Querschnitt durch die männliche Erdenbevölkerung. Da war der entfesselte Miguel Herrera, der Opportunist Felipe Scolari, der höfliche Herr Löw, der stolze van Gaal. Am meisten beeindruckte allerdings Cesare Prandelli. Würde es mehr aus seinem Holze geben, die Welt wäre ein gutes Stück netter. Nach dem Aus seiner Italiener in der Vorrunde übernahm er als Trainer erst die Verantwortung und trat zurück. Um seinem Land sogleich schonungslos die Leviten zu lesen.

Etwas, was eigentlich Politiker tun sollten, aber die treten selten zurück. Und finden noch seltener einen neuen Job in der Türkei. Prandelli sagte: "Wir haben keinen Sinn für Patriotismus. Wir wurden mit einer Aggressivität kritisiert, als wären wir eine politische Partei." Er beklagte, dass die italienische Gesellschaft unsolidarisch geworden sei, jeder sein eigener "Shareholder". "Es gibt so viele unterschiedliche Interessen da draußen, jeder denkt nur an seine eigene Sache, uns ist der Gemeinschaftssinn abhanden gekommen." Es war eine mutige, große Rede. Schade, dass die Debatte um den bissigen Luis Suárez an diesem Tag in Recife alles übertönte. Sogar den mutigen, großen Cesare Prandelli.

(hum)

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Die Elf der WM-Hingucker:Fred

World Cup 2014 - Brazil - Germany

Quelle: dpa

Fred: Auf den Straßen und Stränden Brasiliens tummeln sich die jungen Fußballbegeisterten, doch sind sie mit dem Ball am Fuß keine kleinen Jungen mehr; mit dem Ball am Fuß sind sie Pele, sie sind Romário und Ronaldo, seit Neuestem sind sie auch Neymar. Und nach dem Confed Cup 2013 waren einige, vielleicht die Bescheideneren, möglicherweise sogar Frederico Chaves Guedes, kurz: Fred. Fred hatte sich mit seinen fünf Treffern im Aufwärm-Turnier erfüllt, wovon die Jungen auf den Straßen träumten: bei einer WM für die Seleção zu stürmen. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an den Fluminense-Stürmer.

Doch Fred fand nicht ins Turnier, erst im letzten Gruppenspiel gegen Kamerun gelang ihm sein erster und einziger Treffer. Gegen Chile tauchte er unter, gegen Kolumbien lief er nebenher und gegen Deutschland verhöhnten ihn die eigenen Fans als Seuchenvogel einer durchweg enttäuschenden Mannschaft. Es war traurig anzusehen, vor den Augen von Millionen Zuschauern mutierte Freds Traum zum finstersten aller Alpträume. "Für mich ist es vorbei in der Seleção", sagte er - bei seinem Klub hat er sogar um eine Auszeit gebeten. Nein, Fred will in diesen Tagen in Brasilien wohl niemand mehr sein, am wenigsten Fred selbst.

(jom)

© SZ.de/jbe
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