Die deutschen Skispringer:Überleben im Nebel

Streit mit Herr, mangelnde Form bei den anderen: Skisprung-Bundestrainer Peter Rohwein steht vor einer schwierigen Saison.

Von den hohen Fenstern des Kongresszentrums geht der Blick hinaus auf eine Landschaft, die im Nebel verschwunden ist, und fast könnte man meinen, Rukas Wintersportzentrum, das Schmuckstück des nordfinnischen Landkreises Kuusamo, schwimme als einsame Insel in einem Meer aus grauer Leere.

Peter Rohwein, der deutsche Skisprung-Bundestrainer, hat auf dem Podium Platz genommen, und natürlich kommt er gleich auf das Wetter zu sprechen, das er während der letzten Vorbereitungen auf den Weltcup-Auftakt in Kuusamo am Freitag (17.20 Uhr MEZ, ZDF/Eurosport) als eine himmlische Verschwörung gegen seine Zunft verstehen konnte: In Oberstdorf war es zu warm, in Ramsau regnete es, in Kuusamo war zeitweise die prächtig präparierte Schanze gesperrt, was wohl am Tauwetter lag, aber in der Weltcup-Szene niemand so richtig verstand.

Natürlich macht Rohwein gute Miene zum eingeschränkten Training, aber sein erstes Fazit klingt auch ein bisschen bitter. ,,Wir kommen mit 20, 35 Schneesprüngen in den Weltcup.'' Als hätte er nicht schon genug Probleme.

Peter Rohwein hat diesen Winter wohl den unbequemsten Job in der nordischen Familie des Deutschen Skiverbandes (DSV), denn er muss einen Neuaufbau dirigieren und gleichzeitig die Überreste einer besseren Zeit verwalten. Die neue Olympiade hat begonnen, und weil die alte in Turin ohne Medaille endete, sein aktuelles Team zudem vor allem erfahrenere Athleten aufweist, ist der Bedarf an unverbrauchten Leistungsträgern groß. Doch die springen noch im Hintergrund und Rohwein ist sehr darum bemüht, die Hochbegabten aus dem DSV-Nachwuchs nicht voreilig als Heilsbringer zu feiern. Also muss er die Zeit bis zum Aufbruch überbrücken, mit einem Team, in dem es fast keinen Konkurrenzkampf gibt.

Seit sich Alexander Herr bei Olympia mit Rohwein überwarf, sind die ersten Vier so gut wie gesetzt - trotz mäßiger internationaler Erfolge. Der Olympia-Vierte Michael Uhrmann, 28, schwebt über allen, aber für einen echten Siegspringer liegt sein einziger Weltcupsieg in Zakopane ziemlich lange zurück; fast zwei Jahre. Georg Späth, 25, schwankt so konstant zwischen Welt- und Holzklasse, dass Rohwein seufzt: ,,Das ist unheimlich nervenaufreibend bei ihm.'' Michael Neumayer, 27, gilt vor allem als Kämpfer im gehobenen Weltcup-Mittelfeld und Martin Schmitt, 28, der viermalige Weltmeister aus einer anderen Zeit, arbeitet weiter an seiner eigenen Erneuerung.

Hohe Ziele

Dahinter haben sich der konvertierte Kombinierer Christian Ulmer, 22, aus Freiburg fürs Weltcupteam qualifiziert sowie der Oberhofer Jörg Ritzerfeld, der im Sommer noch die Folgen eines Kreuzbandrisses aufzuarbeiten hatte. Stephan Hocke, der Team-Olympiasieger von 2002, war den beiden vor Kurzem noch im Training voraus - bis er sich das Schlüsselbein brach. Und das ehemals gefeierte Talent Maximilian Mechler plagt sich immer noch mit den Folgen eines Sturzes vor zwei Jahren herum. ,,Ich weiß, dass das ein unheimlich schwerer Winter wird'', sagt Rohwein. ,,Wir müssen mit diesen Leuten erstmal überleben.''

Die Ziele sind trotzdem hoch, es geht nicht anders. Bei der jüngsten Cheftrainerklausur hat Rohwein seinem Präsidium eine durchwachsene Bilanz erklären müssen, da hat er den kalten Wind der DSV-Leistungsgesellschaft gespürt. Er mag es nicht, wenn man so tut, als könne man Erfolg produzieren wie Hosenknöpfe, er sagt: ,,Wir arbeiten mit Menschen, das ist doch noch ein bisschen was anderes.'' Aber er stellt sich. Eine Medaille bei der WM im Februar in Sapporo muss her, ,,weil das einfach die Zielvorgabe des Deutschen Skiverbandes ist. Wenn ich das nicht erreiche, werde ich auch nächstes Jahr nicht mehr Trainer sein''. Es ist nur so eine Ahnung. ,,Sowas wird ja nicht ausgesprochen'', sagt Rohwein. ,,Aber unsere Zielvorgaben sind dazu da, dass man sie erreicht.''

Er will standhaft sein im Spannungsfeld seines Amtes. Rohwein geht in seine dritte Saison als Chefcoach und er scheint sich zu fragen, ob er als Bundestrainer überhaupt noch Skisprungtrainer ist oder längst etwas anderes: ein Verwalter von Einzelinteressen, Expertenkritik, Manipulationsvorwürfen, wie sie der gefeuerte Herr vorbringt, oder sogar politischen Fragen. Die Probleme neben der Schanze sind doch recht zahlreich geworden und bringen ihn bisweilen in verfängliche Situationen. Zum Beispiel jenes um seinen Assistenten Henry Glaß: Kurz vor der Abfahrt zu Olympia erfuhr er, dass Glaß wegen seiner Stasi-Vergangenheit nicht nach Turin durfte. ,,Da bin ich erstmal im Auto gesessen und hab' geflennt wie ein kleines Kind.''

Jetzt ist Glaß zurück im Team, aber seine Stasi-Vergangenheit ja immer noch da. ,,Gut'', sagt Rohwein, ,,er sagt zu mir, Peter, das sind Kleinigkeiten, und wenn der Henry das sagt, muss ich das glauben, weil er einfach ein ganz feiner Kerl ist.'' Aber der Trainer Ingo Steuer vom Eiskunstlauf hat ja auch Probleme. ,,Der wird von der Bundeswehr entlassen. Die Bundeswehr ist sein Arbeitgeber, der DSV ist Arbeitgeber von Henry Glaß.'' Wie das endet? ,,Ich habe keine Information.'' Öffentlich hat der DSV ohnehin noch nichts dazu gesagt, auch auf Anfrage nicht. Und wieder könnte da ein Konflikt aufziehen, der viel größer ist als der Sport, dem der Trainer Rohwein sich eigentlich verpflichtet fühlt.

Es muss weitergehen, in der Hoffnung, dass sein Team doch noch Entspannung bringt durch Podiumsplätze im Weltcup, vielleicht schon auf dem gefürchteten Bakken am Rukatunturi. Erfolg bedeutet Ruhe. Und Ruhe bedeutet, dass man besser für den Erfolg arbeiten kann. Peter Rohwein hat letztere Erfahrung gemacht, als er noch nicht Skisprung-Bundestrainer war.

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