Leichtathletik:"Das vernichtet die Karrieren der Sportler"

Leichtathletik-WM

Gesa Krause - auf dem Weg zur WM-Bronzemedaille über 3000 Meter Hindernis.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Die Diamond League legt ihr neues, mit Spannung erwartetes Wettkampfprogramm vor - ohne Dreisprung, Diskuswurf, Hindernislauf und 200 Meter.
  • Viele Leichtathleten reagieren fassungslos.

Von Johannes Knuth

Als die Rede auf das Thema kam, gab Christian Taylor sich kämpferisch. Aber das zartbittere Vibrato in seiner Stimme legte schon nahe, dass er um die Aussichtslosigkeit seines Kampfes wusste.

Der Amerikaner war in Doha gerade Weltmeister im Dreisprung geworden, mit 17,92 Metern vor Landsmann Will Claye (17,74) und Hugues Zango aus Burkina Faso (17,66). Aber anstatt über den mal wieder packenden Wettstreit zu referieren oder seine bereits vierte WM-Goldmedaille, sprach Taylor über seine Ängste. Schon damals, Anfang Oktober, schwirrte das Gerücht durch die Szene, dass der Dreisprung bald aus der Diamond League fallen würde, der höchsten Meeting-Serie der Leichtathletik, und so setzte Taylor jetzt noch einmal zu einem Plädoyer für seinen Berufsstand an. Er führte das "unglaubliche Niveau" ins Feld, auf das er und seine Mitbewerber sich in den vergangenen Jahren gehoben hatten, die 18,14 Meter von Claye im vergangenen Sommer und seine 18,21 Meter, mit denen Taylor Jonathan Edwards Weltrekord atemberaubend nahegekommen war. "Wir gehören dorthin", schloss Taylor in seinem zartbitteren Ton, mit Blick auf die Diamantenliga.

Am Mittwochabend erhielten die Befürchtungen des 29-Jährigen dann Gewissheit. Da gaben die Macher der Serie bekannt, welche Disziplinen es nicht in das auf 24 Disziplinen gestraffte Programm für das kommende Jahr geschafft haben: 3000 Meter Hindernis, Diskuswurf, 200 Meter und der Dreisprung. "Unser Ziel ist es, eine schnellere und spannendere globale Liga zu schaffen, die das Schaufenster für unseren Sport sein wird", ließ sich Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, in einer Mitteilung zitieren. Den ersten Reaktionen aus der Szene nach drängte sich allerdings eher die Frage auf, ob die Macher mit ihrem Verdikt nicht das Gegenteil erreicht hatten.

Die verstoßenen Disziplinen sollen in einer zweitklassigen Meeting-Serie präsentiert werden

Die Leichtathletik bastelt bereits seit den Neunzigerjahren verzweifelt an einer Serie für ihren Sport, der mit seinen 24 olympischen Disziplinen im Grunde aus 24 verschiedenen Sportarten besteht. Zunächst gab es die "Golden Four", bald die Golden League, seit 2010 die Diamond League. Mal teilten sich die Gesamtsieger Goldbarren, mal wurden sie in einem finalen Meeting ermittelt. So richtig zündete das Format jedenfalls nie - zum einen, weil die Macher oft an den Regeln schraubten, zum anderen, weil viele Meetings aus sich selbst gewachsen waren, in diversen Biotopen. Dass die Reputation des Sports nach vielen Skandalen zuletzt schwer zerbeult war, war auch nicht gerade zuträglich.

Als der Brite Coe vor vier Jahren den Verband übernahm, um die Geister des Betrugs und der Verkrustung auszutreiben, war die Diamond League eines seiner Kernanliegen. Vier Jahre später glauben Coe und die 15 Chefs der beteiligten Meetings ein Format gefunden zu haben, das "die TV-Sender zeigen und die Fans sehen wollen", wie Coe sagt. Dazu habe man "repräsentative Online-Recherchen" in China, Frankreich, Südafrika und in den USA betrieben; man habe zudem Zuschauer befragt und analysiert, wie oft auf welche Videoschnipsel in den sozialen Netzwerken geklickt wurde. Die betroffenen Disziplinen rangierten dabei "in Richtung des unteren Endes" der Rangliste, wobei das nicht mal implizierte, dass sie auch die unbeliebtesten waren. Man wolle die Verstoßenen jedenfalls in der "Continental Tour unterbringen", sagte Coe, einer Art zweiten Meeting-Liga, in die schon die Hammerwerfer abgeschoben worden waren. Manche Diamantenmeetings würden die Disziplinen sogar weiter integrieren, im Vorprogramm, sagte Coe. Zu welchen Konditionen, sagte er nicht.

Warum die 200 Meter, eine der populärsten Disziplinen, wegfallen

Die Reaktionen der Verstoßenen schwankten zwischen Entsetzen und konstruktiver Widerrede. Die Amerikanerin Emma Coburn, in Doha zuletzt Hindernis-Zweite vor der Deutschen Gesa Krause, sagte, das Problem sei nicht die Vielfalt des Sports, sondern dessen Präsentation, mit hastigen Zusammenschnitten während der TV-Übertragungen etwa: "Unsere Rennen sind aufregend. Es ist die Aufgabe der Offiziellen, das zu zeigen." Taylor wies in Doha darauf hin, dass das Niveau im Dreisprung auch deshalb so hoch sei, weil man seit Jahren das vorlebe, was Coe jetzt fordert: "Du siehst oft, dass Athleten sich aus dem Weg gehen, das gibt es bei uns nicht. Wir verabreden uns für die Meetings, wir trainieren uns im Wettkampf." Ohne die Präsenz in der Oberklasse, fürchtete er, werde diese Expansion in große Leistungsbereiche leiden. Beatrice Chepkoech, die Hindernis-Weltmeisterin aus Kenia, fand gar: "Das vernichtet die Karrieren der Sportler."

Für einen Sieg in der Diamond League gab es zuletzt 10 000 Dollar, für den Gesamtsieg gar 50 000 - gerade US-Athleten, die ohne das Netz einer Sportfördergruppe wie in Deutschland auskommen müssen, sind auf derartige Zuflüsse angewiesen. Sie glaube jedenfalls nicht, sagte Emma Coburn, dass die neue Continental-Serie ihre Ausfälle aufwiegen werde.

Die Athleten selbst waren bei den jüngsten Umfragen offenkundig nicht konsultiert worden

Und etwas provozierte Fassungslosigkeit: Die 200 Meter, eine der populärsten Disziplinen in den Umfragen, fielen durch, weil das Programm sonst "zu verstopft" sei, neben den 100 Metern. Der Amerikaner Noah Lyles, einer der bekanntesten Gesichter der Post-Usain-Bolt-Ära, der sich auf den 200 Metern einen Namen gemacht hat, schrieb in den sozialen Medien nur: "Wow."

Das ist tatsächlich eine spannende Frage: Wie die neue Liga ein Schaufenster schaffen will, indem sie einige der bekanntesten Attraktionen aus dem Fenster nimmt. Der neunmalige Olympiasieger Carl Lewis empfahl den Athleten kurzerhand, eine eigene Liga zu gründen. "Es wird schwer, aber ihr werdet sehen, ihr habt keine andere Wahl", sagte er. Die Athleten selbst waren bei den jüngsten Umfragen ja offenkundig nicht konsultiert worden.

Christian Taylor nahm sich Lewis' Ratschlag übrigens recht schnell zu Herzen: Er kündigte am späten Donnerstagabend an, einen Athletenverein zu gründen, unabhängig von der Sportlerkommission des Leichtathletik-Weltverbands. Er habe es satt, dass seinem Sport das Herz rausgerissen werde, teilte Taylor mit: "Es ist Zeit für echten Wandel."

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