Verstorbener Leichtathletik-Boss Diack:Pate des Weltsports

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Ein halbes Jahrhundert im Zeichen des Sports - und auch des Betrugs: Lamine Diack, hier im Jahr 2003 am Sitz des Leichtathletik-Weltverbands in Monaco. (Foto: Michael Steele/Getty)

Viele Wege führen zum Geld: Zum Tod des Sportfunktionärs Lamine Diack bei dem nicht nur die Millionen verschwanden, sondern auch die Dopingfälle.

Nachruf von Johannes Knuth

Zwischen all dem Schmutz, den gekauften Großereignissen, geschmierten Funktionären und vertuschten Dopingtests, für die der Sportfunktionär Lamine Diack nach Aktenlage verantwortlich war, blieb tatsächlich auch mal Platz für Heiterkeit. Palais de Justice, 32. Kammer des Pariser Finanzgerichtshofs, hier wurde im Sommer 2020 das Netz der Korruption verhandelt, das Diack einst über den organisierten Sport gespannt hatte. Sein Lebenswerk, wenn man so will. Aber all das streifte der Angeklagte in seinem Eröffnungsstatement eher am Rande, wobei Diack schon auch eine Fährte in die Gegenwart legte. Er sei in Dakar geboren, "150 Meter vom Stadion weg", sagt er, "und auf der anderen Seite, da war das Gefängnis".

Sport und Gefängnis, das bündelte Diacks Wirken recht gut, man muss es leider so sagen. Er war einst Weitspringer, rückte bald in die Nationalversammlung des Senegal auf, wurde Bürgermeister von Dakar. 1973 zog es ihn wieder in die Leichtathletik, als Präsident des afrikanischen Kontinentalverbands. Insider erinnerten sich oft und gerne, wie Diack es als einer der ersten afrikanischen Vertreter wagte, bei Sitzungen des Leichtathletik-Weltverbands das Rederecht zu ersuchen. Der Präsident der damaligen IAAF, der Brite Lord Burghley, tat so, als sei der Bittsteller gar nicht da ("Nächster Tagespunkt!", donnerte er). 1976 wurde Diack doch in den Rat der IAAF gewählt, er vergrößerte seinen Einfluss nach und nach: 1991 als Vizepräsident, 1999 als Nachfolger des Italieners Primo Nebiolo.

Es dauerte bis 2013, ehe Reporter und Ermittler das Netzwerk der Diacks entblätterten

Nebenbei fand Diack offenbar viele Wege, seine Verdienstmöglichkeiten zu vergrößern. Sein Name tauchte schon 1993 im trüben Licht der Schweizer Sportagentur ISL auf, die einst 142 Millionen Schweizer Franken Schmiergelder an Spitzenleute der Sportwelt ausgeschüttet hatte. 58 880 Franken flossen an Diack. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), dem Diack 15 Jahre angehörte, verwarnte ihn bloß. Es dauerte bis 2013, ehe Journalisten, Ermittler wie der damalige Münchner Polizist Günter Younger und die französische Staatsanwaltschaft das Netzwerk entblätterten.

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Seit 2013 ist Thomas Bach Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Nun steht die Wiederwahl an, und es wird deutlich, wie wenig unter ihm besser wurde: weder beim Umgang mit Russland, noch bei Korruptionsvorwürfen.

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth

Diack und sein Sohn Papa Massata, viele Jahre als Marketingberater der IAAF aktiv, pressten demnach aus so ziemlich allem Geld für sich heraus: von Athleten, vor allem russischen, die positiv getestet wurden und dank eines Ablasshandels weiter starten durften, über Funktionäre bis zu Sponsoren, deren Geld nicht beim Weltverband landete, den Diack senior bis 2015 lenkte, sondern im Sumpf der Gier versickerte. Millionensummen seien einfach "verdampft", sagte ein Anwalt des Weltverbandes bei Diacks Prozess in Paris.

Auch im IOC hinterließ der Senior tiefe Spuren. Er hatte den Wählerblock der afrikanischen Mitglieder offenbar fest im Griff, diese Stimmen konnte man wohl wie bei einem Bonusprogramm erwerben, über eine der Marketing-Agenturen von Diacks Filius. Sowohl aus Rio (Olympia 2016) als auch aus Tokio (2021) floss rund um die Spiele-Vergaben viel Geld an diese Agenturen, knapp 2,5 Millionen Dollar aus Tokio, rund 1,5 Millionen Dollar aus Rio - in Brasilien haben sie den Stimmenkauf längst eingeräumt. Brasiliens langjähriger Multifunktionär Carlos Arthur Nuzman wurde auch deshalb zuletzt zu 30 (!) Jahren Haft verurteilt.

Gab über viele Jahre den Takt vor, in jeder Hinsicht: Lamine Diack, hier während der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau. Dort starteten auch Athleten, deren positive Dopingfälle der Senegalese hatte vertuschen lassen. (Foto: Yuri Kochetkov/dpa)

Diack drückten die Richter in Paris zuletzt vier Jahre Haft auf, die er nicht mehr absaß; seine Berufung stand bis zuletzt aus, er hatte gerade eine Krebserkrankung überstanden. Sein Sohn, der sich bis heute im Senegal versteckt, wurde zu fünf Jahren in Abwesenheit verurteilt. Diack bestritt vehement, dass er sich je bereichert hatte, er räumte lediglich ein, dass er Dopingfälle vertuschen ließ - "zum Wohle des Sports". Am Ende stand sein Fall auch dafür, dass selbst Sportfunktionäre sich für ihre Taten vor Gerichten verantworten müssen. Wobei Günter Younger, der damals im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur ermittelte, im Gespräch einmal betonte, dass ähnlich prominente Fälle aus dem Sport oft versandeten: weil Paten wie Diack länderübergreifend aktiv sind, weil internationale Ermittlungen kompliziert sind und sich Behörden selten diese Arbeit aufladen wollen.

Vieles, vermutlich das Meiste, wird auch im Fall der Diacks verborgen bleiben, im Schattenreich des Sports. Ein zweites Verfahren, in dem es um die Stimmenkäufe von Tokio und Rio gehen sollte, stand in Paris noch aus. Und viele einstige Weggefährten wollen über all die Jahre nie etwas mitbekommen haben.

Sebastian Coe etwa, Diacks Nachfolger an der Spitze des Leichtathletik-Weltverbands, oder Helmut Digel, einst die deutsche Stimme im IAAF-Rat, der unter Diack über Jahre ein monatliches Salär einstrich, an allen Büchern vorbei (weil er so viel gearbeitet habe, beteuerte Digel später). Auch Thomas Bach, der IOC-Präsident, war nach Aktenlage erpicht, die Ermittlungen rund um die Diacks einzudämmen: Als das afrikanische IOC-Mitglied Frankie Fredericks vor vier Jahren in den Fokus rückte, warnte Bach den Namibier, lieber nicht nach Frankreich zu reisen, wo die Ermittlungen gerade an Fahrt gewannen.

In der Nacht zum Freitag ist Lamine Diack im Alter von 88 Jahren gestorben.

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