Im Handball sind unerwartete und überraschende Dinge passiert, denn die Spieler der Topklubs sind – tatsächlich! – reihenweise verletzt von den Olympischen Spielen heimgekehrt. Ein paar Vereine hat’s besonders schlimm erwischt, beim SC Magdeburg sind vier Spieler malad aus Paris zurückgekommen, der schwedische Rückraumspieler Felix Claar und Rechtsaußen Tim Hornke fallen mit Fußverletzungen sogar mehrere Monate aus. „Ein Worst-Case-Szenario“, schimpfte Trainer Bennett Wiegert. Auch beim THW Kiel ist die Krankenstation gut gefüllt, sechs Verletzte hat der Rekordmeister aktuell zu beklagen, darunter drei Rückraumspieler. Filip Jicha, der Trainer, bezeichnet die Lage als „sehr kompliziert“.
Dass sich Handballer verletzen (oder zumindest nicht fit sind), kommt in Wahrheit alles andere als überraschend. Das Programm von 70 bis 80 Pflichtspielen pro Kalenderjahr fordert in diesem körperlichen Spiel gerade die Spitzenakteure über alle Maßen; besonders schlimm wird es, wenn alle vier Jahre, wie in diesem Sommer, zum ständigen Wechsel zwischen Welt- und Europameisterschaften noch Olympische Spiele dazukommen. Das macht drei große Turniere binnen zwölf Monaten. Für viele Profis fiel die dringend benötigte mehrwöchige Regenerationsphase weg. Nur eine Woche Urlaub hatten die meisten deutschen Nationalspieler nach dem verlorenen Olympia-Finale gegen Dänemark.
Da muss sich was ändern, rufen einige in der Branche. Nur ist die Debatte um die Reduzierung des Pflichtspielprogramms im Handball fast so alt wie die Sportart selbst – stets mit dem Ergebnis, dass am Ende alles so bleibt, wie es ist.
Und doch gibt es Vorschläge, die nicht nur radikal (und teils abenteuerlich) anmuten, sondern sich auch diametral gegenüberstehen. Dass sich Vertreter von Liga und Nationalmannschaft schwer einig werden, wo genau das Programm reduziert werden soll, davon war auszugehen – die einen möchten weniger Spiele in der Liga erreichen, die anderen weniger Auftritte der Nationalteams. Beide Seiten haben sich schon etwas bewegt, die Liga hat das beliebte All-Star-Game gestrichen, der Deutsche Handballbund (DHB) auf Lehrgangstermine verzichtet. Aber was DHB-Präsident Andreas Michelmann dieser Tage in der Handballwoche formulierte, war ein Angriff auf das bestehende Ligasystem.
Der Handball benötige „fundamentale Änderungen“, sagt Michelmann
Michelmann, der nicht immer unumstrittene deutsche Verbandschef, hatte salopp eine Art Super League ins Gespräch gebracht. Die Topspieler seien schließlich parallel in zwei Wettbewerben gefordert: in der Bundesliga und im Europapokal. Das sei zu viel. Warum also nicht „ein länderübergreifendes Ligasystem entwickeln, das die Konkurrenz zwischen Champions League und Bundesliga auflöst?“, fragte Michelmann. Der Handball brauche „fundamentale Änderungen“ und müsse „spürbar ran ans Programm“. Sonst bestehe die Gefahr, „dass sich unser Sport selbst auffrisst“. Auch eine Schrumpfung der Bundesliga auf weniger als 18 Klubs sei ein denkbares Szenario.
Das klang schwer nach der gescheiterten Idee einer Super League im Fußball, die heiß diskutiert und nie eingeführt wurde. Und rüttelte die deutsche Handballliga pünktlich zum Start der neuen Bundesligasaison an diesem Donnerstag durch. Eigentlich sollte der Sport im Vordergrund stehen, die Freude über Olympiasilber, die Rückkehr von Weltklassespieler wie Andreas Wolff (beim THW Kiel) oder Kentin Mahé (beim VfL Gummersbach) oder der mit Spannung erwarteten Drei- bis Vierkampf um die Meisterschaft zwischen Magdeburg, Berlin, Kiel und Flensburg. Doch dann stellt der DHB-Präsident mal eben den Status der Bundesliga infrage.
Frank Bohmann, der Geschäftsführer der HBL, ist entsprechend wenig amüsiert. Der Gedanke an eine Super League sei eine Idee „ohne Aussicht auf Erfolg“, sagte Bohmann der SZ: „Die Geschichte ist auch null Komma null zu Ende gedacht.“ Die Einführung einer Super League sei für die Vereine überhaupt nicht attraktiv: „Nicht ein Klub würde das wollen.“ Auch die Reduzierung der Liga auf weniger Vereine sei kein Thema, da seien sich alle 18 Bundesligaklubs im Übrigen einig.
Natürlich lechzen sie in Kiel, Magdeburg und Flensburg auch nach großen internationalen Spielen gegen den FC Barcelona oder Paris Saint-Germain – aber die Klubs sind zu einem großen Teil tief regional verwurzelt. Ausverkaufte Hallen, die einen Großteil des Jahresetats erwirtschaften, haben die Teams in der Bundesliga – und nicht in der Vorrunde der Champions League. Jenseits der Königsklasse ist der Europapokal für die Vereine oft sogar ein Zuschussgeschäft.
Bohmann selbst hatte kürzlich eine – ebenfalls recht radikale – Idee verbreitet, wie man die Zahl der Spiele reduzieren könnte: In einem Jahr mit Olympia solle man auf die sechs Monate später stattfindende WM verzichten, um den Spielern zumindest eine anständige Winterpause zu ermöglichen. Dies stieß – wiederum wenig überraschend – auf Widerstand bei Michelmann. Er hält von dieser Idee wenig bis nichts, die Turniere der Nationalmannschaften seien „alles überstrahlende Leuchttürme“. An dieser Stelle dürfe das Programm nun wirklich nicht gekürzt werden.