Süddeutsche Zeitung

Christian Seifert:Der mächtigste Mann des deutschen Fußballs geht

DFL-Chef Christian Seifert verkündet seinen Rückzug - zu einem Zeitpunkt, in dem sich der Fußball in einer sehr schweren Lage befindet. Wie seine Nachfolge geregelt wird, ist offen.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Spätestens der 13. März 2020 war der Tag, an dem Christian Seifert, 51, zum Gesicht des deutschen Fußballs wurde. Über Jahre war der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ein Funktionär gewesen, der ungeheuren Einfluss besaß und als mächtigster Mann des nationalen Ballbetriebs galt, der aber eher im Hintergrund und als Stratege wirkte. Aber an jenem 13. März musste die Bundesliga wegen der Corona-Pandemie vorläufig den Spielbetrieb einstellen - und fortan war Seifert nicht nur als oberster Krisenmanager der Branche unterwegs, sondern auch als der Funktionär, der den Fußball wie kein anderer nach außen vertrat.

Nun wird sich seine Rolle noch grundlegender ändern. Am Montagmorgen gab Seifert in einer persönlichen Erklärung bekannt, dass er die DFL, in der sich die 36 deutschen Profiklubs zusammengeschlossen haben, nach Ablauf seines Vertrages im Juni 2022 verlassen werde. "Dies sind anspruchsvolle Zeiten, die danach verlangen, Klarheit und Verlässlichkeit zu schaffen. Das gilt für die DFL als Ganzes und auch für meine beruflichen Ambitionen", so Seifert. In zwei Jahren wolle er "ein neues berufliches Kapitel aufschlagen".

Es war ein Schritt, den die Szene, vorsichtig formuliert, mit großem Bedauern aufnahm. Seiferts Rückzug wird für den deutschen Fußball in der Tat eine tiefe Zäsur. Seit 2005 ist er der Vorsitzende der DFL-Geschäftsführung. In dieser Zeit entwickelte sich die Bundesliga vor allem wirtschaftlich gewaltig. Die Einnahmen aus der TV-Vermarktung stiegen von zirka 300 Millionen Euro pro Jahr auf fast 1,5 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz aller 36 Profiklubs entwickelte sich von zirka 1,5 Milliarden Euro auf fast fünf Milliarden Euro. Entsprechend veränderte sich die Position der DFL innerhalb des deutschen Fußballs immens: War sie anfänglich eine Art kleine Schwester des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), erwies sie sich immer öfter als entscheidende Kraft - und auch als eine sehr stabile. In Seiferts Zeit als Liga-Geschäftsführer gaben sich beim DFB fünf Präsidenten, zwei Interimsführungen und vier Generalsekretäre die Klinke in die Hand. Dass im Vorjahr Fritz Keller neuer DFB-Präsident wurde, war auch maßgeblich auf Seifert zurückzuführen. Zuletzt jedoch zog er sich aus dem mächtigen Präsidialausschuss des DFB zurück. Dabei dürfte Seifert über die Jahre geholfen haben, dass er 2005 nach Stationen bei MTV und KarstadtQuelle von außen in die Branche gekommen war. 2016 machte er sich bei einer Pressekonferenz zwar einmal darüber lustig, dass er nach so langer Zeit in dem Job bisweilen immer noch als "Quereinsteiger" tituliert werde. Aber tatsächlich hat Seifert die Balance meist hingekriegt: die Entwicklung des Fußballs entscheidend zu prägen und die Distanz zum üblichen Branchengewese zu wahren.

Der jähe Rückzug erfolgt allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Fußball und insbesondere der Profibereich in einer sehr schweren Lage befinden. Corona und die Folgen setzen ihm in vielerlei Hinsicht zu. Der Fußball hat - nicht erst, aber besonders seit Ausbruch der Pandemie - Mühe, seinen Stellenwert zu behaupten. Viele Fans wenden sich ab ob der übergroßen Kommerzialisierung. Die Grenzen des finanziellen Wachstums scheinen erreicht zu sein, wie die neue Vergabe der TV-Rechte zeigte, nach der den Klubs in der Saison 2021/22 einige Hundert Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen werden als noch in der laufenden. Innerhalb der DFL streiten die 36 Klubs nun um eine neue Verteilung - aktuell bekommt der FC Bayern fast vier Mal so viel wie das Schlusslicht der Bundesliga. Und neben all diesen wirtschaftlichen Fragen tobt im DFB ein neuerlicher Machtkampf, in dem es um die aktuelle Steueraffäre, aber vor allem auch um den Umgang mit der Vergangenheit des Verbandes geht.

Geht Seifert im Juni 2022 - oder bereits vorher?

Für die DFL und die 36 Profiklubs ist daher die Frage, wie sie die Nachfolge Seiferts gestalten sollen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Peter Peters, bis zu seinem Ausscheiden im Sommer mehr als 25 Jahre Vorstand bei Schalke 04, sagte, sein Gremium werde die Neubesetzung "ohne Zeitdruck professionell angehen und hierzu einen umfassenden Prozess aufsetzen". Angekündigt ist Seiferts DFL-Abschied zwar für den Juni 2022, aber möglicherweise wird diese Zeit ja nicht ausgereizt.

Dabei dürfte die Debatte auch um einige strukturelle Änderungen kreisen. Denn Seiferts lange Zeit in der DFL war auch davon geprägt, dass die Organisation immer mehr auf ihn zugeschnitten wurde. In seinen ersten Jahren war er zwar der Vorsitzende der Geschäftsführung, neben ihm firmierten jedoch auch noch bis zu drei weitere Geschäftsführer. Erst seit 2015 ist er der einzige. Zudem hatte er meist einen Liga-Präsidenten über beziehungsweise neben sich. Aber als der Dortmunder Reinhard Rauball dieses Amt im Vorjahr aufgab, wählte die DFL keinen Nachfolger, sondern änderte die Statuten - und machte Geschäftsführer Seifert zum Präsidiumssprecher. Nun spricht viel dafür, dass sich die Macht wieder auf mehrere Schultern verteilt.

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SZ vom 27.10.2020/ebc
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