Süddeutsche Zeitung

DFL:Post von Seifert

Aufruf zur Vernunft: Die DFL macht ihre Profiklubs schriftlich darauf aufmerksam, dass Meinungsvielfalt in der großen Krise keine Stärke ist.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) will vor der inzwischen auf den 23. April verschobenen Mitgliederversammlung verhindern, dass einzelne Vereine über möglichen Einstiegsszenarien der vorläufig bis Ende des Monats unterbrochenen Saison spekulieren. Solche Meinungsäußerungen, die als kontraproduktiv für ein gemeinschaftliches Vorgehen angesehen werden, sollen künftig unterbleiben. Am Dienstag hat DFL-Chef Christian Seifert sein Rundschreiben zu den Gründen der Verlegung der virtuellen Zusammenkunft mit dem eindringlichen Appell versehen, unüberlegte und unangemessene Meinungsbeiträge zu unterlassen.

Es gehe nicht darum, das Recht aufs Meinungsäußerung einzuschränken, sagte ein Vereinsvertreter, "sondern darum, dass Vielstimmigkeit jetzt gerade keine Stärke ist, weil es das Ergebnis verkompliziert". Die Profilierungssucht einzelner Protagonisten sei letztlich fürs Gesamtkonstrukt schädlich. Der Aufsichtsratsvorsitzende der DFL GmbH, Peter Peters (Schalke 04), hatte am selben Tag ebenfalls explizit die Vereine der ersten Liga ermahnt, sich mit Statements künftig zurückzuhalten. An die Klubs der zweiten Liga erging bereits am vergangenen Freitag ein PDF-Dokument mit ähnlichem Wortlaut vom DFL-Vize-Präsidenten Steffen Schneekloth (Holstein Kiel), der als Sprecher fürs Unterhaus fungiert. Die Vorgänge mit drei Schreiben gleichlautender Stoßrichtung zeigen, wie brisant Themen wie Saison-Fortsetzung, Insolvenz oder Kurzarbeit sind und wie wenig der DFL im "Überlebenskampf" (Seifert) abweichende Wortbeiträge gefallen.

Mehrere Klubvertreter sind offenbar irritiert, dass persönliche Eitelkeiten und Interessen selbst in der Pandemie im Vordergrund stünden. Viele hätten nicht verstanden, so heißt es, dass der deutsche Profifußball extrem viel Kraft und extrem viel Geld aus der Gesellschaft und Wirtschaft sauge und dass es jetzt bestimmt nicht darum gehe, den einzelnen Marktwert eines Klubs in Sicherheit zu bringen. Manche Wortmeldungen seien vielleicht boshaft, aber mindestens naiv gewesen. Auch deshalb hat die Bundesliga nun diese klare Warnung ausgesprochen.

Vor allem Klaus Hofmann (FC Augsburg), Dirk Zingler (Union Berlin) und Martin Kind (Hannover 96) dürften sich angesprochen fühlen. Augsburgs Präsident Hofmann hatte in einer Art Rundumschlag das Geschäftsgebaren mancher Klubs und deren Verhalten kritisiert. "Wenn ich lese, dass Fußball-Vereine, die ein paar hundert Millionen Euro Umsatz machen, ihre Geschäftsstellenmitarbeiter in Kurzarbeit schicken, fühle ich mich wie in einem falschen Film." Union-Präsident Zingler hatte auf der Vereins-Homepage über den Zeitpunkt der Saison-Fortsetzung folgenden Vorschlag gemacht: "Wir sollten einen Termin finden, der eine gesellschaftliche Akzeptanz hat. Die Kinder müssen erst zur Schule und vielleicht muss auch die kleine Kneipe mit 20 Plätzen erst wieder aufmachen, bevor wir Fußball spielen." Und auch Hannovers Patron Kind meldete sich natürlich zu Wort: "Ich hoffe, und das ist auch meine große Erwartung, dass die Politik jetzt im April das Szenario der Reaktivierung der Strukturen einleitet. Das ist zwingend notwendig."

In der DFL-Chefetage kamen all diese Äußerungen überhaupt nicht gut an. Deshalb ruft sie nun alle Beteiligten zur Räson. Für Seifert ist es gerade in der existenzbedrohenden Lage elementar, dass der deutsche Profifußball ein geschlossenes Bild abgibt. Es geht dabei auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der Pläne, die Saison in einer Art virenfreien Sonderzone noch zu Ende zu spielen. Seiferts Prämisse: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, der Fußball ignoriere in seiner Selbstbezogenheit die Realität." Der 50-Jährige will partout den Eindruck vermeiden, als beanspruche der Profifußball eine Sonderrolle.

Deshalb ist auch die Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb mit Nationalmannschaftsarzt Tim Meyer an der Spitze aufgerufen, öffentlich keine Wasserstandsmeldungen abzugeben. Schon das Thema der Coronatests, wofür Experten bei allen Beteiligten 20 000 Tests bis Saisonende veranschlagen, ist öffentlich umstritten.

Chefstratege Seifert verhandelt sowohl mit dem Bezahlsender Sky als auch mit verschiedenen Investmentbanken, damit der "Überlebenskampf" nicht dazu führt, dass erste Vereine im Mai oder Juni bereits Insolvenz anmelden müssen. Hinter den Kulissen sind zudem viele Profiklubs beim Thema Gehaltsverzicht gespalten, weil sich offenbar ganz unterschiedliche Ausprägungen gebildet haben. Offenbar handelt es sich mancherorts nur um Stundungen, die Beträge sind gestaffelt nach Szenario. Erst wenn die Saison wirklich abgebrochen wird, geht es den Profis an manchen Standorten tatsächlich an den Geldbeutel.

Axel Hellmann, Vorstand von Eintracht Frankfurt, hatte in einer Telefonschalte am Dienstagmorgen angemerkt: "Ich weiß, dass einige Klubs relativ schnell nach drei, vier Tagen große Verzichtserklärungen abgegeben haben. Da würde ich aber empfehlen, die Steine mal genauer umzudrehen." Hellmann sieht im deutschen Fußball einigen Aktionismus, "sein Gewissen reinzuwaschen".

Der hessische Bundesligist hatte über Ostern eine Kampagne ins Leben gerufen, bei der mehr als 100 000 Dauerkarten- und Tageskarten-Inhaber sowie 1000 Kunden im Logen- und Businessbereich statt Rückerstattungen bei Geisterspielen das Geld lieber an fünf Frankfurter Organisationen im Kampf gegen die Coronakrise spenden sollen. Eintracht-Boss Hellmann sagt: "Wir wollten keinen PR-Schnellschuss machen. Manchmal liegt das Gute nicht in der Schnelligkeit, sondern in der Gründlichkeit."

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SZ vom 16.04.2020
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