DFB-Verteidiger Holger Badstuber:"Mit mir kann man rechnen"

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Der DFB-Trainerstab schwärmt vom Münchner Abwehrspieler Holger Badstuber, von dem bei diesem Turnier eine Menge abhängen dürfte. Er selbst agiert gelassen in der beruhigenden Gewissheit, dass sein Spiel exakt so ist, wie es Joachim Löw liebt.

Christof Kneer, Danzig

Inzwischen denkt Holger Badstuber nicht mehr darüber nach, was in einem anderen Leben aus ihm geworden wäre. Wo er jetzt spielen würde, wenn ihm damals in München nicht dieser komische Kauz begegnet wäre. Vielleicht wäre Badstuber an den 1. FC Nürnberg ausgeliehen oder, was der Fußballgott verhindert haben möge, an Hertha BSC. "Es gab Momente, in denen ich überlegt habe, wo ich ohne Louis van Gaal spielen würde, er war für mich damals der richtige Mann am richtigen Fleck", sagt Badstuber, aber dann hört er dem Satz hinterher und schiebt sicherheitshalber einen weiteren Satz nach: "Aber ich hab' auch meinen Teil dazu beigetragen."

Stabilisierungsübungen: Holger Badstuber braucht einen Körper, der unangenehm ist für die Gegner. (Foto: dpa)

Es ist seine Art zu sagen: Das war übrigens nicht nur Glück. Das war schon auch ich.

Holger Badstuber war mal ein schüchterner Mensch, aber das ist eine Weile her. Schüchtern war er, als der furchteinflößende Koloss van Gaal ihn mit seiner Wertschätzung erdrückte und über Nacht ins Rampenlicht schob; schüchtern war er auch, als er 2010 ins WM-Trainingslager der Nationalelf nachreiste. Er war sehr lang, sehr schlaksig und sehr unscheinbar, und das Geheimnis, das in seinem Spiel steckte, wurde von einer gewissen Tapsigkeit überdeckt - oder von etwas, das nach Tapsigkeit aussah. Heute wirkt er immer noch zurückhaltend, wenn er in seinem Holger-Badstuber-Laufstil durchs Teamhotel schlakst, er trägt keinen Real-Madrid-Mittelscheitel wie Özil und Khedira, er albert nicht rum wie Podolski, er ist nicht so schön wie Mats Hummels. Aber schüchtern? Das wäre ein Missverständnis.

Badstuber sagt im Teamhotel Sätze wie: "Ich habe gezeigt, dass man mit mir auf dieser Position rechnen kann." - "Man spürt im Spiel, dass die Mitspieler was von einem halten, dass sie einem vertrauen." - "Das Champions-League-Niveau ist ja jetzt Alltag für mich, ich habe in drei Jahren zwei Finals bestritten." Und dann sagt er: "Vor allem in der Nationalmannschaft war diese Saison sicher eine Art Durchbruch für mich."

Holger Badstuber ist in den letzten beiden Jahren enorm, enorm gewachsen, wie Jürgen Klinsmann sagen würde. Genaugenommen hat er enorm, enorm zugelegt, er wiegt jetzt 84 Kilo, bei der WM waren es noch 78. "Ich hab' gemerkt, dass mir im Zweikampf noch was fehlt", sagt Badstuber. Er ist regelmäßig im Kraftraum, "Stabilitätsübungen", sagt er, "ich stemme keine Gewichte wie ein Bekloppter." Er will nicht nur diese scharfen Druckpässe spielen können, die Löw so liebt. Er weiß, dass er fürs höchste Niveau einen Körper braucht, den die Gegenspieler überhaupt nicht lieben.

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Als Joachim Löw am Donnerstag in Danzig vor die Presse trat, musste er seinen halben Kader durchdeklinieren, er musste die einen Sorgenkinder verwarnen, die anderen belobigen, der Name Badstuber fiel kein einziges Mal. Warum auch? Über Badstuber gibt es nichts zu diskutieren. Er ist mit einer fast schon spektakulären Eindeutigkeit gesetzt.

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Von Badstuber, diesem Spieler für den zweiten Blick, wird bei diesem Turnier mehr abhängen, als es der erste Blick vermuten lässt. In einer Abwehr, in der selbst Philipp Lahm gelegentlich die Rollen wechseln muss, ist er die einzige Positionskonstante. In vorauseilender Hysterie hat die Öffentlichkeit die Abwehr als Problembezirk ausgewiesen, aber Bad-stuber findet nicht, dass sich die Heimat besondere Sorgen machen muss um jenen Mannschaftsteil, dessen Chef er ist.

"Chef?" fragt Holger Badstuber, "das ist nicht so mein Wort."

Badstuber ist ein Chef ohne Titel. Er weiß, dass es nicht gut ankäme, wenn sich ein 23-Jähriger selbst zum Abteilungsleiter ernennen würde. Er braucht auch keine Dienstbezeichnung auf seiner Visitenkarte, er weiß auch so, dass der Trainerstab von ihm schwärmt wie sonst höchstens von Lahm, Özil, Neuer oder Khedira. "Holger kommt unserem Ideal eines Verteidigers sehr, sehr nahe", sagt Assistent Hansi Flick. Und Joachim Löw sagt trocken: "Holger ist auf dem Weg zu Piqué." Der Spanier Gerard Piqué, obwohl zuletzt nicht immer auf der Höhe seines Könnens, gilt als stilbildender Innenverteidiger der Moderne.

Der Unterschied zu Hummels

"Ich hab' so viel Wertschätzung erfahren, dass ich mit ganz anderem Selbstvertrauen in die Spiele gehe", sagt Badstuber. Er fühlt sich so gefördert und gewollt, dass ihm die selbstbewussten Sätze völlig selbstverständlich über die Lippen gehen. "Wenn ich das Spiel verlagern will, verlagere ich es", sagt er, "wenn ich es beruhigen will, beruhige ich es, und wenn ich finde, dass es schneller werden muss, spiele ich schneller."

Er weiß, dass er eine boatenghafte Neigung zur Grätsche in sich trägt, die es zu kontrollieren gilt, aber insgesamt agiert er in der beruhigenden Gewissheit, dass sein Spiel exakt zu Löws Weltanschauung passt. "Ich muss mich hier nicht umstellen, sonst würde ich vielleicht die falsche Entscheidung treffen", sagt er. Ein Satz, der an Bedeutung gewinnt, wenn man sich dabei den Dortmunder Mats Hummels vorstellt, dem man mitunter förmlich ansieht, wie er kurz nachdenken muss, welche Pässe ihm Löw jetzt noch mal erlaubt und welche nicht.

An Badstuber und Hummels lässt sich erkennen, was es ausmachen kann, ob man sich in einer Elf zu Hause fühlt oder nicht. Es ist ein unausgesprochener Konkurrenzkampf, Badstuber genießt jene Autorität, die der ebenfalls selbstbewusste Hummels aus Dortmund kennt und auch beim DFB gerne für sich reklamieren würde. Sie können auch nebeneinander spielen, aber natürlich wäre es Hummels, der seine Lieblingsposition (innen links) räumen müsste. Sie ist vergeben an den Abwehrchef, den man auf gar keinen Fall so nennen darf.

© SZ vom 08.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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