Joachim Löw hatte nur Zeit für einen kurzen Plausch. Er müsse zum Bus, zu Hansi Flick, für eine kurze Unterredung. Er wirkte betriebsam, leicht gehetzt. Bis 24 Uhr am Dienstagabend musste der deutsche Trainerstab der Fifa den vorläufigen 30-Mann-Kader für die Fußball-WM melden. Und da gab es nach dem 0:0 beim Test-Länderspiel gegen Polen offenbar Gesprächsbedarf. "Wir haben ja noch die Möglichkeit, das ein oder andere zu verändern", sagte Löw. Geheimnisvoll, der Bundestrainer.
Noch in der Nacht zum Mittwoch, im Hamburger Hotel, wollte Löw seinen Spielern die Entscheidung mitteilen. 25 oder 26 Profis sollen mit ins Trainingslager nach Südtirol reisen, selbst diese genaue Zahl wollte (oder konnte) Löw nicht verraten. Für die anderen ist der WM-Traum bereits beendet. Im Laufe des Mittwochvormittags will der DFB diese Spieler auch in der Öffentlichkeit benennen.
Weil Löw absolut nichts preisgab, nicht einmal die kleinste Andeutung, waberten die Spekulationen durch das Hamburger Stadion. Haben sich Christoph Kramer oder Sebastian Rudy im defensiven Mittelfeld derart aufgedrängt, dass ihnen plötzlich eine WM-Chance winkt? Tendenz: Da Löw unverdrossen den Heilungsprozess von Sami Khedira lobt, ergibt sich auf dieser Position eigentlich kein Handlungsbedarf. Führt die mangelnde Torgefahr dazu, dass Löws Trainerteam in der Panik noch Pierre-Michel Lasogga hinzuholt? Tendenz: unwahrscheinlich.
Deutschland gegen Polen:Gefahrloses Wechselspiel
Beim Länderspiel gegen Polen lässt Bundestrainer Löw zwölf Neulinge debütieren. Die junge Mannschaft tritt souverän auf, lässt aber den Mut zum Risiko vermissen. Die Hoffnung, dass mancher davon für eine WM-Überraschung sorgt, hat das 0:0 nicht gerade beflügelt.
Disponieren die Trainer in der Frage nach der Zusammensetzung des Trainingslager-Kaders um? Tendenz: kann sein. Matthias Ginter bot in der Innenverteidigung eine herausragende Partie, so einen will eigentlich kein Trainer nach Hause schicken. Muss stattdessen der Schalker Benedikt Höwedes abreisen? Dazu lobte der Bundestrainer die "gute Ballbehandlung" des 18-jährigen Max Meyer. Doch im offensiven Mittelfeld herrscht nun wirklich ein Stau an Spielern mit guter Ballbehandlung. Löw könnte das Talent auch weggelobt haben.
Streichkandidaten sind wohl auch der in der Halbzeit verletzt ausgeschiedene Leon Goretzka oder sein Schalker Kollege Julian Draxler, auch wenn er mit 20 Jahren der jüngste Kapitän in der DFB-Geschichte war. Diese Kür ergab sich automatisch, weil er in seinem elften Länderspiel der mit Abstand erfahrenste in der Anfangself war.
Goretzka und Draxler zeigten in Hamburg wie Meyer ihre tollen Anlagen, doch am Schalker Offensiv-Trio lag es eben auch, dass die Polen eher Gefahr liefen, sich an diesem kühlen Abend eine Grippe einzufangen als ein Tor. Und mit Reus, Müller, Götze, Özil, Schürrle, Podolski, Kroos kommen auf ihren Positionen noch einige Schwergewichte dazu.
Neben der kuriosen Geheimniskrämerei wiesen Löw und Manager Oliver Bierhoff mehrfach darauf hin, dass dieses Länderspiel vor allem Erkenntnisse für die Zeit nach Brasilien gab. Der Bundestrainer hatte ja zwölf Debütanten in diesem einen Spiel gebracht und damit einen nationalen Rekord aufgestellt. Nie zuvor gab es das in der DFB-Geschichte, bislang lag die Messlatte bei elf Neulingen - 1908 im ersten Länderspiel des Verbands.
Löw öffnete der deutschen Fußball-Öffentlichkeit an diesem Dienstagabend das Fenster für einen Blick in die Zukunft. Es war ihm auch kaum etwas anderes übriggeblieben angesichts des mehr als seltsamen Termins eine Woche vor allerlei Pokal-Finals in ganz Europa. Und er versicherte dem Publikum, dass es sich um die Zukunft dieser deutschen Elf keine Sorgen machen müsse.
"Das war nicht der WM-Auftakt. Dieses Spiel lief unter einem anderen Gesichtspunkt", erklärte Löw. Es sei eher um die Perspektive gegangen und er könne mitteilen, dass er im Training schon das Gefühl gehabt habe, dass das Niveau sehr gut sei.
Löw habe die Partie dann auch sehr viel Spaß gemacht, "es war ein irgendwie unterhaltsames Spiel mit einer sehr hohen Intensität". Vor allem freute er sich darüber, dass alle gut zugehört hatten in der kurzen Zeit des Kennenlernens. Es wurde viel gelaufen, fast immer flach gepasst, das Zentrum kontrolliert. "Wir haben die Vorgaben, die der Trainer gemacht hat, schon umgesetzt", stellte Stürmer Kevin Volland fest.
Die Pfiffe am Ende der Begegnung ignorierte Löw, wollte sie nicht einmal gehört haben. "Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als dass das Publikum zufrieden war." 0:0 mit zwölf Neulingen gegen eine zweitklassige polnische Mannschaft - das Hamburger Publikum muss derzeit so manch skurrile Geschichte über sich ergehen lassen.