Fußball:Marco Reus muss endlich im DFB-Team ankommen

Northern Ireland v Germany - UEFA Euro 2020 Qualifier

Ein bisschen verzweifelt: Marco Reus im Spiel gegen Nordirland.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Nationalmannschaft hat nur noch wenige Führungsspieler - und Marco Reus füllt diese Rolle noch nicht wirklich aus. Dabei bräuchte das junge Team seine Präsenz.

Kommentar von Philipp Selldorf

Schon zu Zeiten, in denen er noch ambitioniert Profifußball spielte, erhielt Michael Ballack einen Beinamen, der ein endgültiges und unvorteilhaftes Urteil über seine Karriere in sich trug: Man nannte ihn "den Unvollendeten". Ballack hat mit dem FC Bayern und dem FC Chelsea einige Titel gewonnen, aber die unsterblichen Ehren blieben ihm unter immer wieder melodramatischen, sogar tragisch anmutenden Umständen versagt: ein Turniererfolg mit der Nationalmannschaft, ein Triumph in der Champions League und auch - als größtes Ding der Unmöglichkeit - der Gewinn der Meisterschaft mit Bayer Leverkusen, den er mit einem Eigentor gerade noch rechtzeitig zu verhindern wusste.

Wenn aber Ballack schon dieses Stigma verpasst bekam - was muss dann über Marco Reus gesagt werden? Dessen Karriere hat jahrelang einen fast zielsicheren Titelverhinderungskurs genommen, bis endlich mal der DFB-Pokal heraussprang. Oft waren die Umstände melodramatisch und tatsächlich tragisch, denn jene Verletzung, die Reus beim Testspiel am Vorabend des Abflugs zur WM 2014 erlitt, darf schon als Schicksalsschlag betrachtet werden.

Der junge Reus hat wegen wechselnder Krankheiten und Blessuren ein halbes Dutzend Anläufe gebraucht, um sein Debüt in der Nationalelf zu geben. Der heutige, mittlerweile schon recht alte Reus ist nun zwar immerhin regelmäßig mit der DFB-Elf im Einsatz - richtig angekommen ist er dort trotzdem noch nicht. Der diskrete Auftritt in Nordirland gab dafür ein weiteres Beispiel.

Die Führungsebene ist dünn besetzt im DFB-Team

In der Theorie ist Reus für das neue Nationalteam ein wertvoller und sehr wichtiger Spieler, denn zweifellos ist er "ein überragender Fußballer", wie ihn Bundestrainer Löw in Belfast jetzt wieder würdigte. Allerdings sollte es für Reus nicht genug sein, ab und zu hervorragend mitzuspielen. Er müsste mehr beitragen als ein paar Tore, Steilpässe und gelungene Dribblings. Dieses Nationalteam, dessen Führungsebene mit den beiden verbliebenen Weltmeistern Manuel Neuer und Toni Kroos sowie dem aufwärts drängenden Joshua Kimmich dünn besetzt ist, könnte eine weitere erfahrene Führungskraft gut gebrauchen.

Dabei geht es nicht darum, durch aufgeblasene Reden stereotype Erwartungen an einen sogenannten Leader zu erfüllen, es geht auch nicht um vage Hierarchie- und Machtfragen, sondern darum, dieser naturgemäß noch profillosen, unfertigen Mannschaft Präsenz und Ausstrahlung hinzuzufügen. In Belfast hatte Reus die Ausstrahlung eines Phantoms, was bei einem Angreifer natürlich hin und wieder, bei ihm aber zu häufig vorkommt - zuvor gegen Holland war es kaum anders.

Von den Spielern, mit denen Reus 2014 nach Brasilien hatte fliegen wollen, sind einige nicht mehr dabei: Reus hat Thomas Müller, Mats Hummels oder Sami Khedira überlebt, obwohl sie kaum älter sind. Er entstammt ihrer Generation, und es wird für ihn allmählich Zeit, sich entsprechend einzubringen, bevor man ihm noch ganz andere Titel hinterherruft als nur "der Unvollendete".

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