Die letzten Gegner des Abends waren rote und gelbe, in den Rasen gesteckte Figuren. Das 1:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Dänemark war vorüber, aber der Arbeitstag war noch nicht für alle Nationalspieler vorbei. Bundestrainer Joachim Löw ordnete gerade in der Pressekonferenz die Leistung im ersten und zugleich vorletzten Vorbereitungsspiel vor der Europameisterschaft ein, da trainierten im leeren Stadion in Innsbruck vor dem in der Nacht versunkenen Alpenpanorama noch die deutschen Ergänzungsspieler: den Ball in die Tiefe passen, flanken, abschließen. Es gibt schließlich noch einiges zu tun. Und dafür bleibt kaum Zeit.
In weniger als zwei Wochen trifft die DFB-Elf in München auf Weltmeister Frankreich, zum Auftakt von Löws letztem Turnier als Bundestrainer. In 15 Jahren hat er schon deutlich schlechtere Vorbereitungsspiele erlebt als jenes am Mittwochabend, 2018 war mal ein 1:2 gegen Österreich in Klagenfurt ein Indiz für die wenig später legendär schiefgegangene WM. Er habe "Licht und Schatten" gesehen, sagte Löw also nach diesem Unentschieden.

1:1 gegen Dänemark:Viel Schönes dabei
Der deutschen Nationalmannschaft merkt man beim Comeback von Hummels und Müller gegen Dänemark die frühe Phase der Vorbereitung an. Trotz des ärgerlichen Gegentores gibt es auch positive Ansätze.
"Licht" war einerseits eine Defensivleistung, die den Dänen weitestgehend nur jene Torchance zuließ, die Stürmer Yussuf Poulsen von RB Leipzig in der 71. Minute zum 1:1 nutzte. Ansonsten stand die Dreierkette um Rückkehrer Mats Hummels, Niklas Süle und Matthias Ginter sicher. "Wir haben uns vorgenommen, kompakter zu verteidigen. Das ist über weite Strecken gelungen", sagte Löw. Doch beim Gegentor, in seiner Entstehung ein recht simpler Gegenangriff nach Ballverlust, grätschten Süle und Hummels dann doch hinterher. Das, unter anderem, war der Schatten.
Zudem gab es ein paar ansprechende Ansätze in der Offensive: Der zweite Rückkehrer Thomas Müller lief in die Lücken und rief ständig in die Stille, wie man das von ihm beim FC Bayern kennt - Löw lobte später die Kommunikation auf dem Platz. Doch nicht immer wirkten die Spielzüge nach vorn so, als würden sie einem Muster folgen. Und die Verwertung der Chancen, von denen nur Mittelfeldspieler Florian Neuhaus eine zum Führungstor in der 48. Minute nutzte, ließ wie so oft in den vergangenen Monaten zu wünschen übrig: "Das Problem haben wir auf jeden Fall", sagte Löw.
Löw steht jetzt endlich der gesamte EM-Kader zur Verfügung
An diesem Freitag will der Bundestrainer im Trainingslager in Seefeld nach einem freien Donnerstag erstmals seinen gesamten EM-Kader versammeln. Ausgenommen den weiterhin an seiner Rückkehr nach einem Muskelfaserriss arbeitenden Leon Goretzka und womöglich den angeschlagenen Emre Can, sollen dann erstmals alle Spieler im Mannschaftstraining sein, auch die Champions-League-Finalisten aus London und Manchester.
Löw, dessen Aussagen in Österreich von einem für ihn nicht gerade typischen Pragmatismus gekennzeichnet sind, kündigte an, dass von nun an im Training - und somit auch im abschließenden Testspiel am Montag in Düsseldorf gegen Lettland - das Angreifen auf dem Plan stehe: "In der nächsten Woche werden wir uns noch mal eingehend mit der Offensive beschäftigen, mit dem Abschluss", sagte er, dann sind ja auch die Henkelpott-dekorierten Angreifer Kai Havertz und Timo Werner vom FC Chelsea dabei. Bislang, so Löw, habe die Arbeit an der Defensive im Vordergrund gestanden: das Verhalten bei gegnerischen Standardsituationen, das Anlaufen des Gegners, Pressing.

Es war etwas überraschend, dass der Bundestrainer gegen Dänemark eine Dreierkette aufbot, jene mutmaßlich für die starken Auftaktgegner Frankreich und Portugal gedachte, auf Sicherheit bedachte Formation. Er erklärte das damit, dass es zuletzt oft eine Aufstellung mit Viererkette gewesen war, in der die Abwehr dem Gegner große Lücken geboten habe, etwa beim desaströsen 0:6 gegen Spanien im Herbst. 16 Gegentore in acht Partien kassierte die DFB-Elf 2020. Für ihn sei es entscheidend, "dass die letzte Reihe gut steht", betonte Löw, und dass das Zentrum verschlossen bleibe. Der Trainer, sonst eher offensiver Feingeist, prognostizierte gar, es werde bei der EM "das Maß aller Dinge" sein, "dass wir in der Lage sind, zu null zu spielen". Die Dreierkette sei "eine Option".
Auf den Außenverteidigern lastet im System mit Dreierkette viel Verantwortung
Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, dass die Abwehr in der gleichen Besetzung wie gegen Dänemark auch zum EM-Start gegen Frankreich aufläuft. Süle, zuletzt wegen Formschwäche im freiwilligen Zusatztraining, spielte zwar ohne sichtliche Defizite, Ginter neben ihm war gewohnt solide und Hummels der erwartete Routinier für mehr Sicherheit, dem erst gegen Ende des Spiels leichte Knieprobleme zu schaffen machten. Einen von ihnen dürfte allerdings Champions-League-Sieger Antonio Rüdiger ersetzen, der am Mittwoch in Seefeld ankam.
Unabhängig von ihrer Besetzung käme eine Kette aus drei Innenverteidigern aber einer Art Eingeständnis gleich: lieber besonders schwer zu bezwingen sein, wenn es weiter vorne nicht gelingt, all die individuelle Klasse für mehr Torgefahr zu nutzen! Fünf Positionen in der Startelf würden in einer Dreierketten-Anordnung defensive Spieler besetzen. Den Außenverteidigern, nicht die renommiertesten Profis im Kader, käme viel Verantwortung im Offensivspiel zu. Am Mittwoch gelang das Robin Gosens (Bergamo) auf der linken Seite etwas besser als Lukas Klostermann (Leipzig) auf der rechten Seite.
Das Mittelfeld ist eh schon voll - nun überzeugt auch Neuhaus
Im zentralen Mittelfeld, hinter dem wohl gesetzten Müller, war in der Startelf gegen Dänemark nur für zwei Spieler Platz: Neuhaus und Joshua Kimmich. Bei der EM könnten allerdings auch Ilkay Gündogan von Manchester City, der nach einer Corona-Infektion noch fehlende Toni Kroos oder der für mehr physische Stärke im deutschen Spiel so wichtige Goretzka eingesetzt werden, wenn auch im Falle des Münchners womöglich noch nicht zum Auftakt. Dazu hat sich nun auch Neuhaus empfohlen, nicht nur wegen seines Tores, sondern auch mit vielen klugen Pässen und Laufwegen.
Der Gladbacher zog ein versöhnliches Fazit des Abends: "Ich glaube, man hat schon positive Dinge gesehen", sagte Neuhaus. Zwar fehle "teilweise noch die Feinabstimmung". Aber das sei für den frühen Stand der Vorbereitung normal.