DFB-Team:Löws Ruf könnte zum Problem werden

  • Joachim Löw hat der deutschen Mannschaft in seiner Zeit als Bundestrainer den Rumpelfußball abgewöhnt und damit geradezu die Bewunderung der Fußballwelt erworben.
  • Kein Ligamanager und kein Spielerberater spöttelte nach 2014 mehr über den überästhetischen Niveacoach.
  • Die Frage ist, ob das Scheitern von Kasan einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeutet

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf

Was macht im Moment eigentlich Joachim Löw? Das ist eine gute Frage, sie ist fast so gut wie die Frage, wer dieser Joachim Löw eigentlich ist. Löw kennt jeder, er könnte sich mit Zipfelmütze, falschem Bart und Schlabberpulli in einer Menschenmenge verstecken, und die Leute würden sagen: Das ist doch der Jogi mit Zipfelmütze, falschem Bart und Schlabberpulli. Wer dieser Löw aber tief drinnen ist, wie er so denkt und fühlt, was er liest und ob er überhaupt liest und was er übrigens in all den Monaten macht, in denen seine Nationalmannschaft nicht spielt, das ist bis heute rätselhaft geblieben - eine respektable Leistung dieses Bundestrainers im Übrigen, der sich in aller Öffentlichkeit ein Geheimnis bewahrt hat.

Manchmal wird dieses Geheimnis zum Problem. Im Sommer 2012 zum Beispiel hat sich Löw nach dem sogenannten vercoachten EM-Halbfinale gegen Italien wochenlang trotzig zurückgezogen, keiner wusste, ob dieser Bundestrainer jetzt überhaupt noch Bundestrainer ist oder sein will, am Ende hat Löw seinen Job dann natürlich behalten. Was keine sehr falsche Entscheidung war, wie man heute weiß, zwei Jahre später hielt er in Rio den WM-Pokal in den Nachthimmel.

Auf dem Weg zum Kauz ist Löw schon ganz schön weit gekommen, und natürlich kennt der Verband seinen Trainer und dessen Marotten. Im Moment ist die Lage aber zu ernst und die Geschichte zu groß für derlei liebenswürdige Schrulligkeiten, und so hat der DFB seinen Bundestrainer noch in Russland wissen lassen, dass sie diesmal bitte keine Vermisstenanzeige aufgeben wollen: "Eine zeitnahe Entscheidung" über Löws Zukunft sei zu erwarten, meinte ein Verbandssprecher auf dem Rückflug von Moskau nach Frankfurt, und dass so ein Wochenende doch eine prima Gelegenheit zum Überlegen sei.

Später präzisierte DFB-Präsident Reinhard Grindel, man sei an Bord übereingekommen, dass Löw und der Teammanager Oliver Bierhoff der Verbandsspitze in der kommenden Woche eine erste Turnieranalyse vorlegen werden. Und dann, sagte Grindel, rechne er auch damit, "dass der Bundestrainer sich zu seiner Zukunft äußern wird". Ein Bekenntnis zu Löw hatte Grindel bereits vor dem Südkorea-Spiel abgegeben, nach der Niederlage erneuerte er es sicherheitshalber. Entlassen wird der Verband diesen Trainer kaum: Grindel hatte Löw direkt vor der WM ja erst einen neuen Vertrag bis 2022 aufgedrängt.

Was meint Löw mit "tiefgreifenden Maßnahmen"?

Was denkt Löw jetzt also so in seinem Denkerstübchen? Löw wird sich übers Wochenende mit dem engsten Vertrauten besprechen, den er besitzt, das ist er selbst. Möglich, dass er weitere Empfehlungen einholen wird, von seinem Berater Harun Arslan oder seinem Guru Urs Siegenthaler, aber zu welchem Ergebnis Löw kommen wird, das vermögen selbst langjährige Begleiter nicht wirklich einzuschätzen.

Alle, die ihren Jogi gut kennen, sagen am Freitag im Grunde dasselbe: dass er sehr, sehr, sehr an seinem Bundestrainerjob hänge, der ja tatsächlich zu den drei besten der Welt gehört, wobei einem die anderen beiden gerade nicht einfallen. Dass er aber auch sehr genau auf Stimmungen achte und darauf, ob er noch genügend Rückhalt im Verband genießt, bei den Spielern, im Trainerstab und in der sogenannten Öffentlichkeit. So wird Löw also zur Kenntnis nehmen, dass er zwar heftig in der Kritik steht, dass die großen Boulevards ihn - bisher - aber schonen und keineswegs seinen Rücktritt fordern.

Was Löw-Kenner aber durchaus überrascht: sein Satz von den "tief greifenden Maßnahmen", die es nun brauche.

Das ist jetzt die große Frage: Meint der Bundestrainer mit seinen tief greifenden Maßnahmen das, was er immer meint, also den Sport? Meint er, dass man die Spieler anders ausbilden muss? Meint er eine Neuorganisation im Umfeld seiner A-Elf, nervt es ihn, dass es dauernd Marketingmaßnahmen und Sponsorentermine gibt, wo er doch viel lieber trainieren, trainieren, trainieren würde? Meint er die Mentalität seiner überversorgten und von ihren Umfeldern verherrlichten Spieler? Meint er Eingriffe in seinen Trainerstab?

Oder meint Joachim Löw mit tief greifenden Maßnahmen etwa Joachim Löw?

Löw kennt die Mängelliste

Selbstverständlich wird Löw bei seiner Eigenbefragung merken, dass diese WM-Kampagne eine einzige Fehleinschätzung war und dass viele dieser Fehleinschätzungen am Ende auf sein Ressort zurückfallen. Der Bundestrainer ist der politische Verantwortliche, wenn die Nationalspieler ohne die nötige Körperspannung in ein Turnier ziehen, wenn sie sich wie Weltmeister fühlen, aber nicht so spielen, wenn Mesut Özil am Medientag nicht sprechen mag und das genehmigt bekommt und jeder einfach macht, was er will.

Dem Gefühl, es werde aus Gewohnheit schon alles super, hat Löw nicht nur keinen Einhalt geboten. Er hat es befördert, weil er das ja auch selbst geglaubt hat: dass die gemeinsamen Trainingslager bisher immer hervorragende Turnier-Auftaktspiele hervorgebracht haben und dass das bestimmt wieder so kommt. Und dass es dann vielleicht auch wurscht ist, wenn man unmittelbar vor der WM nur ein wenig gegen Saudi-Arabien kickt statt gegen einen Gegner, der einen wirklich fordert und auf Turniertemperatur bringt.

Und ohnehin ist Löw der Verantwortliche, wenn die Mexikaner die Deutschen im Auftaktspiel taktisch überlisten; wenn er draußen steht und das Spiel an sich vorüberziehen lässt, ohne den irrlichternden Sami Khedira oder den querfeldein galoppierenden Joshua Kimmich einzufangen. Wenn er die Elf erst um- und dann wieder zurückbaut (Özil/Khedira erst raus, dann wieder rein), seine Weltmeister am Ende aber trotzdem Gruppenletzter werden.

Diese öffentliche Mängelliste kennt Löw selbst, er wird viele dieser Punkte auch anerkennen, und er wird auch nicht erwarten, dass man seine außerordentlichen Verdienste dagegenrechnet. Ohne Löw, das ist sicher, wäre der deutsche Fußball nicht auf dieser Höhe, Löw hat seine große Spielergeneration nicht nur zum ersten europäischen Weltmeister auf südamerikanischem Boden gemacht. Er hat Deutschland ganz grundsätzlich das Rumpeln abgewöhnt, Löws Deutschland hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht nur den Respekt, sondern geradezu die Bewunderung der Fußballwelt erworben: für eine gewinnende Art des Spiels, das die sogenannten deutschen Tugenden nicht mehr zum Selbstzweck machte. Sondern zur Grundlage eines Spiels, das weit über die Tugenden hinauswies, ohne sie zu vernachlässigen.

Löws umfassender Erfolg und sein damit erworbener glänzender Ruf könnten sich nun als Problem erweisen. Tatsächlich hat sich der Tonfall in der Branche nach 2014 ja völlig verändert: Kein Ligamanager und kein Spielerberater spöttelte mehr über den überästhetischen Niveacoach, im Gegenteil: Dieser - menschlich ohnehin sehr beliebte - Trainer wurde zur hoch respektierten, überparteilichen Instanz. Auch der Bundestrainer sagt . . . : So oder ähnlich begannen viele Sätze.

Die Frage ist nun also, ob das Scheitern von Kasan einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeutet. Ob das System Jogi noch funktioniert, wenn der identitätsstiftende Jogi plötzlich angreifbar ist; wenn sein lässiges Schweben über den Dingen nicht mehr als rechtmäßiger Ausweis seiner Heiligkeit wahrgenommen wird, sondern als realitätsferne Entrücktheit.

Ein langjähriger Vertrauter sagt, er halte es "für wahrscheinlicher, dass Jogi aufhört, als dass er weitermacht". Der Bundestrainer dürfte spüren, dass er unter den neuen Geschäftsbedingungen nächste Woche nicht einfach "Hallo, hier bin ich wieder" sagen kann. Tiefgreifende Maßnahmen: Das könnte auch bedeuten, dass Löw das Umfeld der A-Nationalelf neu ordnet, dass er sich von einigen Weggefährten trennt, von denen viele seit Jürgen Klinsmanns Zeiten dabei sind. Zuletzt sind die Begleitstäbe rund ums Team ja ins Unermessliche gewachsen, jeder neue Experte will seine Berechtigung nachweisen, jeder redet mit, jeder beeinflusst jeden, was zuletzt nicht zu mehr Führung, sondern eher zu einer Art Kakofonie führte.

Löw könnten am Ende Lust und Radikalität für solche Härten fehlen, meint der Vertraute. Aber wer weiß: Noch ist das Wochenende, an dem Löw über seine Zukunft nachdenken soll, ja nicht vorbei.

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