Süddeutsche Zeitung

DFB-Team kommt in Polen an:Weit entfernt von Häme

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Joachim Löw und sein Team haben bis zur Ankunft im EM-Quartier viele Konflikte abgeschliffen. Der Bundestrainer mag sich vor manchem Schrecken fürchten, aber ganz gewiss nicht vor einem Rauswurf durch den DFB-Präsidenten.

Philipp Selldorf

Zehn Minuten nach dem erneut ziemlich dürftigen Testspiel gegen Israel stand auf einmal der Präsident in der Kabine der deutschen Nationalmannschaft. Fußballtrainer haben Grund, solche Momente zu fürchten: Taucht der Präsident in der Kabine auf, verheißt das häufig nichts Gutes. Als jetzt jedoch Wolfgang Niersbach, der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), seine Grundsatzrede ans Team richtete, brauchte sich Joachim Löw nicht zu sorgen. "Es macht mich stolz, wie ihr euch präsentiert, und welchen super Teamgeist ihr habt", schwärmte der 61-Jährige den Spielern vor, die sich wahrscheinlich fragten, womit sie solches Lob verdient hatten.

Joachim Löw mag sich vor manchem Schrecken fürchten, vor grauen Haaren oder einem akuten Defekt der Espressomaschine im Mannschaftshotel, aber ganz gewiss nicht vor einem Rauswurf durch den DFB-Präsidenten. Das Verhältnis zwischen Löw und Niersbach ist unkompliziert und mittlerweile auch recht eng; die strukturellen Konflikte haben sich längst abgeschliffen.Die einst umkämpfte Autonomie der Abteilung Nationalmannschaft wird im DFB anerkannt, sie ist den Beteiligten keinen Streit mehr wert. Verbandspolitisch herrscht für Löw vor der EM arkadischer Frieden. Mit seinem Arbeitgeber hatte er sich zwar schon versöhnt, als der noch nach Altendiezer Art von Theo Zwanziger geführt wurde.

Den Vertragsverlängerungen bis 2012 bzw. bis 2014 gingen jedoch schwere Irritationen voraus, die Löw und seinen Stab bei der WM 2010 in Südafrika auf Schritt und Tritt begleiteten. Damals war die Beziehung so schwierig, dass Löw mit einem auslaufenden Arbeitsvertrag angereist war, was große Debatten in der Öffentlichkeit bewirkte.

Bis zum Abreisetag wusste er selbst noch nicht, ob er weiterhin dieser Firma angehören wollte, in der es gelegentlich ziemlich intrigant zuging. Oliver Bierhoff, der Teammanager, hatte bereits mit seinem Job abgeschlossen. Nun hat aber auch Bierhoff, der früher nahezu mutwillig Kritik und Häme auf sich gelenkt hat, seine Ruhe gefunden. "Ich merke, dass die Arbeit im Verband sich sehr stark entspannt hat", bemerkte er vorige Woche in einem Interview. Ähnliches lässt sich über sein ehedem durchaus heikles Verhältnis zum vormaligen Generalsekretär Niersbach sagen.

Es ist schon lange her, dass ein deutscher Bundestrainer von spontanem Rausschmiss bedroht war, der jüngste Fall liegt mehr als sechs Jahre zurück: Jürgen Klinsmann war im Frühling vor der WM 2006 durch das schockierende 1:4 der Nationalelf in Italien unter Druck geraten, und weil er mit seiner kompromisslosen Art im Verband und in der Bundesliga genügend Leute gegen sich aufgebracht hatte, gab es einige Herren im Präsidium, die auf seine Dienste gern verzichtet hätten. Zumal da der DFB soeben zu Klinsmanns Ärger Matthias Sammer engagiert hatte, der außer als Sportdirektor auch als Schatten-Bundestrainer fungierte. Klinsmann hielt ihn während der WM konsequent fern vom Nationalteam, im Schlosshotel in Berlin hatte er quasi Hausverbot.

Sammer ist bekanntlich immer noch Sportdirektor des DFB, sein Vertrag wurde bis in den Sommer 2016 verlängert, der imaginären Perspektive als Nationalcoach entsagt er aber in einer Weise, als ob er ein Gelübde der Enthaltsamkeit ablegen wollte. In öffentlichen wie nicht-öffentlichen Unterredungen schwört Sammer, dass für ihn der Posten als Bundestrainer niemals (mehr) in Frage komme. Selbst ein weltliches Traineramt in der Bundesliga hält er für höchst unwahrscheinlich, "der Job des Sport- direktors ist meine absolute Erfüllung".

Auch als Sportdirektor hatte Sammer dem Führungsstab der Nationalmannschaft, namentlich Löw und Bierhoff, einige Debatten und Scherereien bereitet. Beide Seiten haben Jahre gebraucht, um sich miteinander zu arrangieren. Man stritt sich in der Sache, zum Beispiel wegen des Zugriffs auf das U21-Nationalteam, und man stritt sich aus Gründen von Eitelkeit, Misstrauen und Abneigung. Die WM 2010 in Südafrika verfolgte Sammer aus dem Fernsehsessel in München-Grünwald. Der DFB wollte seinen Sportdirektor nicht bei dem Turnier sehen, weil man fürchtete, dass die Fotografen ihn auf der Tribüne abbilden könnten. Das hätte angesichts von Löws ungeklärter Vertragslage ein Politikum bedeutet.

Jetzt wurde Sammer von Niersbach dazu ermuntert, die Nationalelf zu den Vorrundenspielen in die Ukraine zu begleiten. Niemand muss deswegen mehr ein Problem befürchten. Sammer sagt stattdessen Sätze wie diesen: "Jogi muss so lange Bundestrainer bleiben, wie er möchte. Er hat der Mannschaft eine wunderbare Handschrift gegeben." Auch Präsident Niersbach hat Löw schon vor Wochen eine Arbeitsplatzgarantie gegeben, unabhängig vom sportlichen Ergebnis.

Vielleicht darf Sammer ja sogar mal vorbeischauen im Hotel hinter der Danziger Ostseeküste, welches das Nationalteam am Montag bezogen hat. Wie in Südafrika wohnt die DFB-Delegation, der außer Niersbach unter anderen Uwe Seeler und der Liga-Vertreter Peter Peters angehören, zwar einige Ecken entfernt vom Mannschaftsquartier. Aber es wird sicher mal, wie in Südafrika, eine Audienz im Hause Löw geben.

Niersbach ist als Besucher ohnehin willkommen, dank seiner Freundschaft mit Franz Beckenbauer und seinen Erfahrungen als Pressechef während der neunziger Jahre gilt er als Mann, der die Fußballer versteht. Theo Zwanziger wurde hingegen eher als Funktionärstyp betrachtet, zudem hatte er eine ganz andere Auffassung seiner Amtsherrlichkeit als der Nachfolger.

Wolfgang Niersbach ist nicht der Mensch, der Arm in Arm mit der Bundeskanzlerin in die Kabine geht. Der wird die Kanzlerin zuerst gehen lassen", hat Bayer Leverkusens Manager Wolfgang Holzhäuser, der viele Jahre mit Niersbach beim DFB gearbeitet hat, die Unterschiede kürzlich hervorgehoben. Mit Angela Merkel versteht sich Löw übrigens auch sehr gut.

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SZ vom 05.06.2012
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