DFB-Team vor der EM:"Ein bisschen Demut steht uns ganz gut"

EM-Quali 2019: DFB-Spieler nach dem Spiel gegen Weißrussland

Applaus vor tausenden leeren Sitzschalen: Die deutschen Spieler nach dem Spiel gegen Weißrussland.

(Foto: AFP)
  • Die deutsche Nationalmannschaft sichert sich die EM-Qualifikation und kann unerwartet auch noch Gruppensieger werden.
  • Das Team weiß trotzdem nicht, wo es eigentlich steht und was man bei einer Europameisterschaft erwarten kann.
  • Die Fehler der Vegangenheit will man jedenfalls nicht mehr machen - und übt sich betont in Demut.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Vor der Partie gegen Weißrussland war landauf, landab die Rede von der gesunkenen Popularität der Nationalmannschaft und vom Verdruss des Publikums, das dem Stadion in zunehmender Zahl fernbleibt. Insofern war es beinahe verwunderlich, dass 33 164 Menschen den 4:0-Sieg im Borussia-Park erlebten. Diese Leute hatten sich nicht nur über die Gefahr hinweggesetzt, womöglich ganz allein auf der Tribüne zu sitzen und dort dann als Zurückgebliebene einer aussterbenden Art ausgestellt zu werden; sie hatten erkennbar auch den Willen mitgebracht, den Abend zu genießen.

Zwar ergab sich daraus nicht gerade die einst von Heribert Faßbender beschworene südländische Begeisterung, aber auf den Rängen regte sich immerhin so viel Emotion, dass Leon Goretzka während der zweiten Halbzeit innehielt und staunte, als wieder eine Welle durch das Stadion ging. Sehr erfreut reagierten die Spieler auch auf die Begleitmusik einer südbadischen Blaskapelle namens "Yetis Stockach", die der viel gescholtene Fanclub Nationalmannschaft an den Niederrhein gelotst hatte. "Ordentlich Rabbatz" hätten die fellgekleideten Yetis gemacht, lobte der Münchner Joshua Kimmich, sie dürften "gerne wiederkommen", regte Julian Brandt an.

Es herrschte nicht gerade Sektlaune, aber durchaus gehobene Stimmung im DFB-Lager nach dem letztlich befriedigend hergestellten Pflichtsieg, der die Qualifikation für die EM brachte und außerdem den Gruppensieg in Aussicht stellt, weil die Holländer in Nordirland lediglich ein 0:0 zustande gebracht hatten. Der Bundestrainer hätte dazu jetzt eine vergleichende Betrachtung anstellen können, sein Team hatte im September in Belfast 2:0 gewonnen und sich dabei - drei Tage nach dem stark kritisierten 2:4 gegen die Holländer - als widerstandsfähig erwiesen.

Ferner hätte Löw auch darauf hinweisen können, dass zum Beispiel der Weltmeister Frankreich große Mühen aufwenden musste, als er in der vorigen Woche 2:1 gegen Moldau gewann, aber für fachliche Belehrungen zum Zweck der Genugtuung ist zurzeit offenbar kein Platz im Diskurs. "Ich finde, ein bisschen Demut steht uns ganz gut", formulierte Julian Brandt das programmatische Motto.

Deutschland - Weißrussland

Der Filigrane mit einem robusten Abschluss: Toni Kroos (Dritter von rechzts) trifft nach einem kurzen Slalom zum 4:0.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Dass nun mit einem Sieg gegen Nordirland im abschließenden Match am Dienstag in Frankfurt Platz eins gesichert werden kann, das sei zwar geeignet, die Kampagne "mit einem schönen Gefühl" zu beenden, doch erinnerte er auch daran, dass man auf dem Weg zur WM 2018 jedes Spiel gewonnen hatte. Von der damals herrschenden Selbstüberhebung sieht man nun im neuen deutschen Team entschlossen ab. Toni Kroos beließ es beim vorsichtigen Befund, "dass schon vieles besser klappt als heute vor einem Jahr" - verbunden mit der Ansage, dass da noch viele Fortschritte folgen müssten.

Vorwürfe sind nicht angebracht

Ein Spiel gegen Weißrussland bietet naturgemäß allenfalls grobe Auskünfte über den Leistungsstand der Nationalelf. Als in der zweiten Hälfte die Wellen durch den Borussia-Park gingen, stellte sich schon lange nicht mehr die Frage, ob die Deutschen die Festung durchbrechen könnten, die der Gegner am Strafraum errichtet hatte. Das 1:0 durch Matthias Ginter fiel erst kurz vor der Pause und hätte, wenn er hier zuständig gewesen wäre, den Kölner Keller auf den Plan gerufen (der Schütze hatte im Abseits gestanden), doch Vorwürfe gegen die deutschen Profis waren nicht angebracht. Sie leisteten die Arbeit, die der Favorit gegen den Außenseiter tun musste.

Schon nach 20 Minuten hatten die Hausherren zehn Torschuss-Versuche abgegeben, es war eher der Übereifer als mangelnder Einsatzwille, der ein früheres 1:0 verhinderte. Am aufrechten Wollen und am Ehrgeiz dieser strebsamen und in Teilen gar streberhaften Elf braucht niemand zu zweifeln. Ob aber die Klasse des Kollektivs ausreicht, um mit Spanien, Frankreich, England oder Belgien mitzuhalten, das muss sich noch zeigen. Dass Manuel Neuer mehrmals Gelegenheit bekam, mit großen Paraden zum Unterhaltungswert beizutragen - unter anderem, indem er einen Elfmeter meisterte -, das erklärten die Beteiligten später routiniert mit Nachlässigkeiten und Konzentrationsschwächen.

In Wahrheit offenbarten sich darin substantielle Defizite. Probleme hat das deutsche Team nicht nur in der von vielerlei Abwesenheiten geprägten Innenverteidigung, sondern auch auf den Außenpositionen, die im heutigen Fußball ein hohes Anspruchsprofil erfüllen müssen. Die technischen und taktischen Beschränkungen des Linksverteidigers Nico Schulz lassen sich durch keine Redekunst bestreiten, Lukas Klostermann auf der anderen Seite veranschaulicht eine oft gehörte These des Bundestrainers: Ein guter Bundesligaspieler ist noch lange kein Auserwählter für internationale Spitzenpartien.

Zwischenzeitlich kam dann auch wieder die Sehnsucht nach dem schon lang vermissten Mittelstürmer auf. Kopfballgefahr entstand bloß dann, wenn Leon Goretzka in die Spitze vorstieß. Timo Werner hingegen ging mit seiner beinahe todsicheren Kopfballchance um wie ein Fußballer, der eine Zipfelmütze trägt. Andererseits ist der schnelle Angreifer mit seinen Begabungen ein typischer Vertreter dieses Ensembles, das noch lernt, die Generation der Weltmeister zu beerben. Versprechen werden daher nur unter Vorbehalt abgegeben: "Ich glaube", sagte Werner, "dass wir nicht mit stumpfen Waffen in die EM gehen."

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