Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf:Und wie gut ist man nun wirklich?

Siege gegen Armenien und Liechtenstein, Schwierigkeiten bei den Schwergewichten: Das 1:1 in Italien lässt Nation und Bundestrainer weiter darüber rätseln, welches Niveau die Nationalmannschaft aktuell hat.

Von Thomas Hürner, Bologna

Es heißt, in Deutschland gebe es 80 Millionen Bundestrainer, von denen jeder mindestens so viele Meinung zum Geschehen um die deutsche Nationalmannschaft habe. Das ist aber eher eine grobe Schätzung, denn die Meinungsforschungsinstitute haben bislang davon abgesehen, die These auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Was man daher auch nicht weiß: Zählen der echte Bundestrainer und die Nationalspieler da eigentlich auch dazu?

Wenn ja, hätte das Folgen für die These, dass mindestens so viele Meinungen wie Bundesbürger im Umlauf sind. Am Samstagabend, nach dem 1:1 in der Nations League gegen Italien, war die gesamte DFB-Delegation nämlich vor allem eines: Sie war sich einig.

"Für uns ist das zu wenig", sagte zum Beispiel der Torschütze Joshua Kimmich. Das fand auch Thomas Müller, der überdies den Anspruch formulierte, "dominanter und klarer" nach vorne zu spielen. Und dann war da ja noch Hansi Flick, der echte Bundestrainer. Flick sagte einiges, deshalb hier nur eine kleine Übersicht: Die Mannschaft habe "einiges nicht so gut gemacht, wie sie es eigentlich kann." Sie habe sich außerdem den "Schneid abkaufen lassen" und eine Leistung gezeigt, die keinesfalls den "Anspruch" der DFB-Elf darstelle. Was Flick außerdem vermisst hat: Tempo, Intensität, Ideenreichtum.

Es ist noch nicht ganz klar, in welcher Größe die DFB-Elf zur WM in Katar fahren wird

Das klingt erst mal so, als müssten sich die 80 Millionen anderen Bundestrainer ernsthafte Sorgen machen, dass die in sechs Monaten anstehende WM in Katar in einem gigantischen Debakel enden wird. Zur Beruhigung: Ganz so schlimm war es auch nicht, was sich in den historischen Gemäuern des Stadio Renato Dall'Ara in Bologna zugetragen hat. Das Spiel war mäßig, ein Debakel sieht aber anders aus. Und wenn man wollte, konnte man sogar eine erbauliche Botschaft aus den Aussagen der DFB-Delegation heraus destillieren. Im Subtext stand da geschrieben: Wir wissen, woran es gehapert hat. Und wir haben vor, uns baldmöglichst besser zu präsentieren.

Die Aufarbeitung des Spiels kann maximal zwei Tage in Anspruch nehmen, da die Nations League bereits am Dienstag gegen England (Anpfiff 20.45 Uhr, ZDF) in die nächste Runde geht. Für den Bundestrainer dürfte das aber genug Zeit zur Analyse sein. Er ist ein überzeugter Pragmatiker, der nichts davon hält, wenn Dinge unnötig verkompliziert und vermeintliche atmosphärische Schwingungen überbewertet werden. Flick weiß aber auch: Im Fußball sind die Gegner das Metermaß, mit dem die eigene Größe gemessen wird. Und je größer man zu einer WM fährt, desto größer werden auch die Erfolgsaussichten der eigenen Mannschaft.

Es diktieren noch zu häufig die Gegner, welche Art von Fußball gespielt wird

Noch ist unklar, wie groß die DFB-Elf sechs Monate vor dem Turnier im Wüstenemirat wirklich ist. Einerseits hat Flick keines seiner zehn Spiele als Bundestrainer verloren, doch andererseits hat diese Bilanz einen nicht ganz unwichtigen Schönheitsfehler: Siege gab es nur gegen die sogenannten "Kleinen" a la Armenien oder Liechtenstein, wohingegen ein Erfolg gegen eine sogenannte "große Nation" noch aussteht. 1:1 neulich gegen die Niederlande, 1:1 nun gegen die Italiener. Das waren zwei unterschiedliche Partien mit zwei sehr unterschiedlichen Problemstellungen. Als Stimmungsaufheller taugten aber beide nicht.

Das Spiel gegen die Niederlande war rasant und schnell, das Spiel gegen Italien hingegen fahrig und bisweilen auch etwas behäbig. Für die Gegner war das super, denn sie bekamen, was sie jeweils wollten. Für die DFB-Elf ist das nicht so toll. Denn es drängt sich der Eindruck auf, dass der Gegner noch zu sehr darüber entscheidet, welche Art von Fußball gespielt wird.

Flick möchte einen aktiven und intensiven Stil sehen, die Spieler kennen und mögen diesen Stil prinzipiell auch. Aber es scheint, als habe die Mannschaft noch nicht die nötige Betriebssicherheit erlangt, um selbst den stilbildenden Part einzunehmen. Das deutet auf einen eher mäßigen Entwicklungsstand einer Mannschaft hin, die eigentlich selbst vorgeben will, in welchem Tempo und Rhythmus ein Fußballspiel laufen soll. Und besonders mäßig sieht das aber aus, wenn man diesen Entwicklungsstand ins Verhältnis mit dem Gegner vom Samstag setzt. "Eingespielter" hätten die Italiener gewirkt, sagte Flick. Moment mal: Diese Italiener?

Aufgrund der verpassten WM-Qualifikation sieht der italienischen Nationalcoach Roberto Mancini die Nations League als kurze Teststrecke. Von den 2020er-Europameistern stand gegen Deutschland nur der Torwart Gianluigi Donnarumma auf dem Rasen, ansonsten: Alles neu in der Squadra Azzurra, es kamen allein gegen Deutschland sechs Spieler zu ihrem Nationalmannschaftsdebüt. Flick hingegen hatte seine Spieler extra mit ihren Familien für ein Kurztrainingslager in Marbella versammelt, danach ging es ins DFB-Quartier nach Herzogenaurach, um Spielsysteme durchzuproben und die Automatismen zu schärfen.

Sané war enttäuschend - aber auch nur ein bisschen enttäuschender als der Rest.

Das war ein immenser struktureller Vorteil, den die DFB-Elf da in der Theorie gehabt hätte, zumal Flick einen Bayern-Block mit sieben Münchner Spielern in seine Startelf gebaut hatte. Vor allem das Mittelfeld war deutlich rotgefärbt, es spielten im Zentrum Leon Goretzka und Kimmich und eine Reihe weiter vorn Serge Gnabry, Thomas Müller und Leroy Sané. Das ist eine Achse, die für solide Wertarbeit und kreative Momente steht, doch die Italiener verstrickten die DFB-Elf in viele Nahduelle und entzogen dem Spiel die Dynamik.

Insbesondere im Spiel nach vorn war deshalb ordentlich Sand im Getriebe, den Pässen fehlte die Präzision, für tiefe Tempoläufe fehlte der Raum. Das wurde vor allem Stürmer Timo Werner und Sané zum Verhängnis, die bauartbedingt ihre Sprint-PS auf den Rasen bringen müssen, um ihre Gegner zu stressen. Denn ansonsten steigt deren eigenes Stresslevel.

Vor allem Sané wurde mit jeder missglückten Aktion unsicherer, er kam nicht zurecht mit der Härte, die ihm die italienischen Verteidiger entgegensetzen. Damit war der Flügelspieler keine komplette Ausnahmeerscheinung. Aber seine Teamkollegen waren wenigstens ab und zu an Gefahrenmomenten beteiligt, wohingegen Sané folgerichtig als erster deutscher Spieler ausgewechselt wurde. Keine Frage, der Angreifer spielte enttäuschend. Aber er spielte auch nicht viel enttäuschender als die meisten seiner Offensivkollegen. Was Sané außerdem für sich reklamieren kann: Besser spielte die DFB-Elf hernach auch nicht unbedingt, das Spektakulärste war noch das Rumpeltor von Kimmich (73. Minute), mit dem er die italienische Führung durch Lorenzo Pellegrini im Handstreich wieder ausglich.

Auf einzelne Akteure wollte sich Flick ohnehin nicht kaprizieren. Er sehe nun die Mannschaft in der Pflicht, es besser schon bald besser zu machen, sagte der Bundestrainer. Eine Floskel, gewiss. Aber auch ein Satz, der auf große Zustimmung stoßen dürfte.

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