DFB-Team beim Confed Cup:Stindl im Disneyland

  • Auch wenn es nur der Konföderationen-Pokal ist: Für den spät berufenen Mönchengladbacher Lars Stindl ist das erste Turnier mit der DFB-Elf ein großer Genuss.
  • Doch ihm geht es um etwas anderes als den zahlreichen jungen Debütanten.

Von Philipp Selldorf, Sotschi

Germany v San Marino - FIFA 2018 World Cup Qualifier

Kleiner Anlass, große Freude: Lars Stindl, 28, freut sich auf den Confed Cup mit der Nationalelf.

(Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Die erste Pressekonferenz der Nationalmannschaft in Sotschi am Freitagvormittag war geprägt von freundlichen Worten, die süßer nicht hätten klingen können. Der DFB-Manager Oliver Bierhoff sowie die Spieler Joshua Kimmich und Julian Brandt schwärmten von dem Ferienort im südlichen Kaukasus, als ob sie nun jedes Jahr mindestens zweimal wiederkommen wollten. Während Brandt "das Ambiente mit dem Meer" und Bierhoff "die vielen schönen Eindrücke" rühmten, hob Kimmich den herzlichen Empfang hervor, den eine lokale Folkloregruppe beim Eintreffen der deutschen Gäste geboten hatte. Der Vortrag, von Menschen mit Pelzmützen aufgeführt, habe "etwas von russischen Traditionen vermittelt", behauptete der 22 Jahre alte FC-Bayern-Profi.

Alles in allem also haben Bierhoff, Kimmich und Brandt zugunsten der deutsch-russischen Beziehungen sehr höflich und sehr zivilisiert geschwindelt - ungefähr so, wie man die Kochkünste des Gastgebers lobt, dessen Menü man gern an den Hund weiterreichen würde, wenn denn bloß einer unter dem Tisch säße. In Wahrheit blicken die Spieler der Nationalelf, sobald sie in ihrem Hotel die Vorhänge zur Seite ziehen, ja auf eine Szenerie, die mit Russland und seinen ehrwürdigen Traditionen gar nichts zu tun hat.

Unter anderem sehen sie in Serie produzierte Appartementbauten, einen Freizeitpark mit Achterbahn und Riesenrad, und ein Schloss aus Disneyland, das wahrscheinlich vollständig aus Plastik und Zuckerwatte errichtet wurde. Der Ortsteil Adler, eine halbe Autostunde vom eigentlichen Sotschi entfernt, ist eine Reißbrettfantasie, die zu den Olympischen Winterspielen 2014 verwirklicht wurde. Andererseits können die deutschen Fußballer aus ihrer Unterkunft aber auch das Stadion namens "Fisht" sehen, dessen gewölbtes Dach abends mit bunten Lichtern illuminiert wird, und diese Aussicht ist für die meisten der 21 Spieler im DFB-Kader allemal Grund genug, um diesen Ort wunderschön zu finden.

Am Montagabend steigt hier, eine Viertelstunde Fußweg vom Teamhotel entfernt, gegen Australien die erste Partie für die Deutschen im Confed Cup. Zu den Spielern, die diese Begegnung zu einem Höhepunkt ihres Berufslebens zählen, gehört der Mönchengladbacher Angreifer Lars Stindl, 28. Als ihn neulich der Bundestrainer anrief und fragte, ob er nach der Saison noch ein paar Wochen dranhängen wollte, war Stindl überrascht und erfreut. Die Einladung zur Nationalmannschaft hatte er sich immer gewünscht, aber richtig daran geglaubt hatte er nicht mehr, obwohl seine Karriere in all den Jahren immer ein Stück weiter vorankam, "ganz langsam und stetig in die richtige Richtung", wie er selbst sagt.

Dass er nun in Sotschi ist, nach einer Saison, in der er sich als tragende Kraft und Schützenkönig bei der Borussia bewährt hat, sei "eine ganz große Sache", und die Freude wird dadurch nicht kleiner, dass der Anlass ein Fifa-Wettbewerb ist, den selbst der Veranstalter bei nächster Gelegenheit abschaffen will. Doch Stindl vermag die Süchte der Fußballfans richtig einzuschätzen: "Natürlich wissen wir, dass das keine EM oder WM ist. Dennoch wird in den nächsten zwei Wochen die ganze Welt nach Russland schauen. Einerseits weil die Ligen pausieren, andererseits weil der Drang nach Fußball in der Gesellschaft riesig ist."

Während junge Kollegen wie Brandt und Kimmich darauf hoffen, beim Confed Cup die nächsten Fortschritte auf einer möglichst langen Laufbahn in der Nationalelf zu machen, genießt Stindl das Hier und Jetzt. Er denkt nicht darüber nach, ob er auch 2018 bei der WM dabei sein darf, sondern erfreut sich am Status Quo. Den Einsatz im Nationalteam betrachtet er als "Alleinstellungsmerkmal: Man bräuchte es eigentlich nicht, weil man schon eine Karriere hatte, die ganz ordentlich gelaufen ist. Aber wenn man diesen Moment dann doch noch erleben darf: die Hymne zu hören, das Trikot zu tragen, das Land zu vertreten - dann ist das was Besonderes."

Über den Bundestrainer heißt es unter den Insassen des Teamhotels, dass er nicht bloß entspannt sei, sondern "absolut tiefenentspannt". Mancher meint sogar, dass sich Joachim Löw vor lauter Gelassenheit und Leichtigkeit nur mehr schwebend fortbewege. Dies wurde zwar noch nicht durch Bildbeweise dokumentiert, ist aber glaubhaft. In den Anfängen des Turniers sieht es so aus, als ob Löw durch die Auswahl der Mitreisenden die unwillkommene Mission Confed Cup in einen schönen Ausflug verwandelt hätte. Stindl, nach Angreifer Sandro Wagner der Zweitälteste im Spielerkader, ist nicht der einzige, der sich schon jetzt auf die Erinnerungen an die Zeit in Russland und im Retorten-Stadtteil Adler freut: "Später", sagt er, "wird man gern auf all das zurückschauen."

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