Süddeutsche Zeitung

DFB-Team:Alle wollen den Lehrer beeindrucken

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Das 6:0 gegen Norwegen bestätigt: Joachim Löw verfügt über einen Kader von begnadeten Strebern. Also alles gut? Nein, denn es gibt da noch dieses Lied von Oliver Pocher.

Kommentar von Philipp Selldorf

Die Leute glauben wohl, dass es dem Kritiker nach diesem Länderspiel schwer fallen muss, etwas zu kritisieren, aber die Leute liegen nicht richtig. Selbst nach einem 6:0, dessen Zustandekommen und dessen Begleiterscheinungen Jogi Löw mit Recht als "wunderschöne Geschichte" bezeichnet hat, bleibt ein Anlass zur Klage. Es geht um ein Problem, das der Bundestrainer und seine Spieler schon seit Jahren nicht in den Griff bekommen, immer wieder macht es sich mit schrecklicher Zuverlässigkeit und Gewissheit bemerkbar, und zwar umso aufdringlicher, je erfolgreicher die Nationalelf spielt.

Es belästigt die Menschen im Stadion und dringt bis in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer, und die Frage ist, was sich der DFB seit mehr als elf Jahren dabei denkt, nach jedem deutschen Heimspiel-Tor die sogenannte Fußballhymne "Schwarz und weiß (wir steh'n auf eurer Seite)" des fragwürdigen Oliver Pocher einzuspielen. Dass diese Zumutung einfach nicht aufhören will, belegt zweierlei: die Langlebigkeit von Plastikmüll; und den verhängnisvollen Musikgeschmack in der DFB-Zentrale.

Wenn Löw mal unzufrieden ist, folgt immer ein großes Spiel

Sowie dieses abscheuliche Lied zu hören ist, bildet sich durch einen pawlowschen Reflex im Hinterkopf die Erinnerung an die WM 2006. Man denkt dann an das junge Duo Poldi & Schweini oder an den Hahnenkampf der Torhüter Lehmann und Kahn, und gelegentlich auch an den damals noch schmalbrüstigen Assistenten des Ex-Bundestrainers. Dieser hat sich im realen Fußballleben als mindestens so unkaputtbar erwiesen wie die zur WM 2006 verfasste Pocher-Hymne: Immer noch ist Joachim Löw bei jedem Länderspiel gegenwärtig, doch das Erstaunliche ist, dass diese Gegenwart im Gegensatz zur Begleitmusik von damals immer zeitgemäß geblieben ist.

Am vorigen Freitag war mal wieder einer der eher seltenen Fälle eingetreten, in denen Löw ausdrücklich unzufrieden war mit seiner Mannschaft und sich selbst (denn sein Plan in Tschechien war nicht der richtige), woraus sich schlussfolgern ließ, dass die nächste Begegnung mit hoher Wahrscheinlich einen großen Fußball-Abend bringen würde. Diese Reaktionsweise gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Löw-Zeitalters.

Sie beruht sicher nicht allein auf der Autorität und der nicht nachlassenden Überzeugungswirkung dieses Trainers, aber auch nicht bloß darauf, dass dieser über einen Kader der Begnadeten gebietet. Was an der Nationalelf wenigstens so auffällt wie ihre Begabungen, ist die Beflissenheit ihrer Mitglieder. Wann immer sich am Montag Spieler wie Kimmich, Hector, Rudy, Werner oder Goretzka eifernd in Bewegung setzten - jedes Mal sahen sie irgendwie aus wie große Kinder, die es dem Lehrer besonders recht machen möchten. Und diejenigen wie Kroos oder Hummels, die dem Streberalter entwachsen sind, erledigten ihren Job auf lässige Weise seriös.

Der Gegner war Norwegen, der Anlass war undramatisch, und die Partie war niemals spannend, trotzdem hat Löws Nationalteam bis zum Schluss den hohen Schauwert gewahrt. Ein Montagsspiel, gegen das ausnahmsweise auch die Partei der fußballbibeltreuen Fundamentalisten nichts einwenden dürfte. Wenn nur nicht immer dieses Lied liefe.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2017
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