WM-Affäre:DFB setzt Detektive aufs Sommermärchen an

Blatter, Beckenbauer und Radmann

Welche Geheimnisse birgt die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland (hier lächeln v.l.: Fifa-Boss Sepp Blatter, WM-Chef Franz Beckenbauer und dessen Helfer Fedor Radmann)? Der DFB nimmt sich der Frage noch mal an.

(Foto: Walter Bieri/dpa)

Letzter Anlauf zur Selbstaufklärung: Nach SZ-Informationen soll eine Berliner Detektei den Merkwürdigkeiten rund um die WM 2006 nachgehen - im Auftrag des DFB.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt

Ende April war da wieder dieses vertraute Bild: Die Führung des Deutschen Fußball-Bundes gab sich total zerknirscht. Das Schweizer Strafverfahren zur Millionen-Schieberei rund um die Fußball-WM 2006 war verjährt, ergebnis- und erkenntnislos - und aus der Frankfurter Verbandszentrale wurde der Flop mit Worten des Bedauerns untermalt. "Es ist höchst unbefriedigend, ja frustrierend, dass wir noch immer kein abschließendes Bild rund um die infrage stehenden Abläufe der WM 2006 haben", sagte DFB-Präsident Fritz Keller. Damit werde er sich nicht abfinden: "Es ist mir ein persönliches Anliegen, innerhalb unserer Möglichkeiten alles für eine Aufklärung zu unternehmen!"

Das wirkte eher ulkig. Der DFB ist seit Ausbruch der "Sommermärchen"-Affäre vor bald fünf Jahren schließlich nie wirklich als Aufklärer aufgefallen. Und nun soll sich noch einmal etwas tun? Vielleicht tatsächlich. Nach SZ-Informationen soll nun eine Berliner Firma namens Esecon im Auftrag des DFB den Merkwürdigkeiten rund um die WM 2006 nachgehen.

Das ist eine Detektei, die seit fast zehn Jahren unter wechselnden Namen ihre stillen Dienste anbietet. Am Dienstagnachmittag bestätigte der DFB offiziell den Einsatz. Zum Profil gehört ausweislich Handelsregister "die Erstellung von journalistischen und forensischen Datenanalysen und deren Beschaffung". Hochrangige frühere Polizei-Ermittler sind mit ihr verbunden. Öffentlich in Erscheinung tritt die Firma nur selten; 2015 war sie mal in den Schlagzeilen, weil der MDR sie zur Aufklärung eines Skandals um den Kinderkanal heranzog - und dafür fast sieben Millionen Euro zahlte.

Die Kanzlei Freshfields kassierte zwar Millionen, lieferte aber nur Stückwerk ab

Eine Anfrage über Details der Zusammenarbeit - etwa, wer genau wann die Firma auswählte oder wie viel Honorar sie erhält - wollte der DFB "vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Generalinventur" nicht beantworten. Bei Esecon hieß es am Montag zur SZ, man beantworte grundsätzlich keine Anfragen. Nach SZ-Informationen aber ist die Detektei bereits seit vergangenem Jahr für den Verband tätig, mindestens ein Ex-Funktionär sagt, er sei 2019 von Esecon-Mitarbeitern befragt worden. Auslöser für die Zusammenarbeit war demnach ein mutmaßlicher Betrugsfall bei der Bandenwerbung für Länderspiele. Im Fokus standen in jenem Fall (und stehen immer noch) die Beziehungen von DFB-Leuten zur schillernden Rechteagentur Infront, die ihrerseits eine Schlüsselrolle in der WM-2006-Affäre spielt.

Als Fritz Keller im Herbst 2019 an die DFB-Spitze rückte, kündigte er eine Generalinventur an. In dieses Opus Magnum werden nun auch die Geheimnisse um die WM 2006 und Franz Beckenbauer integriert. Etwa der Kredit über 6,7 Millionen Euro, den Beckenbauer 2002 zu ungeklärtem Zweck vom früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus erhielt - und der drei Jahre später durch eine verschlungene Zahlung getilgt wurde, aber nicht von Beckenbauer, sondern vom DFB über den Weltverband Fifa zurück an Louis-Dreyfus.

Es ist die letzte Chance des DFB. Bisher versandeten alle Bestrebungen, Aufklärung rund um die einst so gefeierte Heim-WM zu leisten. Die Kanzlei Freshfields hatte 2016 einen hohen siebenstelligen Millionenbetrag kassiert, lieferte aber nur merkwürdiges Stückwerk ab - das in den absurd wirkenden Schluss mündete, es gebe keinen Beleg für einen gekauften WM-Zuschlag (den dann alle mit demonstrativer Erleichterung aufnahmen, allen belastenden Indizien zum Trotz). Das Strafverfahren in der Schweiz geriet zur Verschleppungs-Farce, der oberste Ermittler Michael Lauber torpedierte den Fall gleich selbst. Zwar ist vor dem Landgericht Frankfurt noch ein weiteres Verfahren anhängig: Verdacht auf Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe bei den drei früheren DFB-Funktionären Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger sowie Ex-Fifa-Generalsekretär Urs Linsi, weil die Rückzahlung des 6,7-Millionen-Kredits zu Unrecht als Betriebsausgabe geltend gemacht worden sei. Aber auch dieses Verfahren sieht nicht so aus, als würde es die große Aufklärung bringen; im Kern geht es um Steuerfragen.

Eine Generalinventur wäre dringend nötig

Kommt jetzt wirklich die Generalinventur? Es wäre dringend nötig. Die Liste der unaufgeklärten Vorgänge allein zur WM 2006 ist lang. Es beginnt beim Verwendungszweck für Beckenbauers Millionen-Kredit, wo die heißeste Spur ins Rechtegeschäfte führt, konkret zur Infront-Gründung 2002 - also just in das Themenfeld, das Esecon im Vorjahr von einer anderen Seite aus zu beackern begann. Auch steht weiter der "Warner-Vertrag" im Raum: Vier Tage vor der WM-Vergabe schloss Bewerberchef Beckenbauer einen haarsträubenden Kontrakt mit dem karibischen Skandalfunktionär Jack Warner, der diesem einfach mal so Leistungen im Wert von zehn Millionen Mark versprach. Und Warner, das weiß nicht nur die US-Justiz, die seine Auslieferung aus Trinidad und Tobago fordert, war nicht der Mann, der sich auf luftige Deals einließ, ohne diese mit Macht einzutreiben. Zudem ist in einem Sitzungsprotokoll des damaligen Organisationskomitees vermerkt, dass Beckenbauers langjähriger Intimus Fedor Radmann beauftragt sei, einen persönlichen TV-Rechte-Wunsch des katarischen Fifa-Vorständlers Mohammed bin Hammam zu erfüllen. Das war wiederum der Mann, der drei asiatische Voten für die deutsche Bewerbung bereitstellte.

Diese Vorgänge reichen alleine aus, um einen schwerwiegenden Stimmkauf-Verdacht zu begründen. Aber auch die WM 2006 selbst birgt massiven Sprengstoff: etwa die große Ticketaffäre rund um die eigens für den Verkauf der VIP-Pakete gegründete Agentur ISE und den Kartenhändler Eventim. Zehntausende, womöglich Hunderttausend Tickets verschwanden auf dem Schwarzmarkt, es ging um einen dreistelligen Millionenbetrag - und auch hier liefen langjährige Strafermittlungen ins Leere. Und schließlich türmen sich auch abseits der WM 2006 die offenen Akten und die Fragen zu manchen Finanzströmen: Es geht etwa um langjährige Infront-Deals und etwaige Nutznießer mit klingenden Kicker-Namen, es geht auch um Nebenverträge von DFB-Präsidiumsmitgliedern oder um die merkwürdige Vorherrschaft eines großen Sportausrüsters im deutschen Fußball.

Schon 2012 gab es einen diskreten Gesprächsfaden zu wichtigen DFB-Akteuren

Es gibt also viel zu tun für Esecon, und manchem Altvorderen dürfte es gar nicht gefallen, wenn die Berliner jetzt ihre Arbeit vertiefen. Womöglich beginnen die neuen Detektive dabei gar nicht so ahnungslos. Denn ihre Beauftragung hat eine spannende Vorgeschichte. Nach SZ-Recherchen gab es schon frühzeitig einen Gesprächsfaden zwischen hohen DFB-Akteuren und dem Umfeld der Firmenbetreiber - im Sommer 2012. Damals war das Fußballgeschäft in Aufruhr geraten, weil ein Schweizer Gericht die Publikation der ISL-Verfügung erlaubte. Die Rechteagentur ISL war über Dekaden die wohl größte Schmiergeldstation im Weltsport gewesen, mindestens 141 Millionen Schweizer Franken wurden allein zwischen 1989 und 2001 diskret an Sportfunktionäre ausgereicht.

Nun lagen konkrete Zahlungsströme vor, und mancher frühere DFB-Macher hatte Angst, dass etwas hochkochen würde. Auch der frühere Verbandschef Theo Zwanziger war angesichts der beeindruckenden Zahlungen aus der Schmiergeldagentur im Umfeld der WM-2006-Vergabe nervös geworden. Deswegen trommelte er im Herbst 2012 die anderen ehemaligen OK-Mitglieder Beckenbauer, Radmann, Schmidt und Niersbach zu einem Krisentreffen zusammen. Ein Versuch, der aber nirgendwo hinführte.

Damals hatte beim DFB noch die alte Garde das Sagen, Niersbach war just Präsident geworden. Aber nach SZ-Informationen gab es zu jener Zeit auch Kontakt zwischen Funktionären der zweiten Ebene und Mittelsleuten der Forensiker, die vorgaben, mehr zum Thema ISL eruieren zu können. Anfang August 2012 soll ein Treffen mit wichtigen DFB-Vertretern der damals zweiten Ebene am Flughafen Hannover stattgefunden haben. Zu den Eingeladenen zählten der damalige DFB-Schatzmeister und Compliance-Beauftragte Reinhard Grindel, später für kurze Zeit selber Verbandschef, sowie Rainer Koch, damals wie heute Vize-Präsident Recht. Über Monate zog sich das Thema mit den angeblichen Informanten, Anfang 2013 wurde es beendet. Laut den Unterlagen gab es eine entsprechende Nachricht von Horst R. Schmidt, damals Schatzmeister. "Ich habe hausintern das Thema angeschnitten, jedoch keine Zustimmung einer weiteren Verfolgung in dem von Ihnen vorgestellten Sinn erhalten", heißt es darin. Der DFB dementierte auf SZ-Anfrage zu Kochs Rolle weder das Treffen 2012 in Hannover noch Kochs Anwesenheit. Allerdings sei es dabei nicht um die WM 2006 gegangen - "und darüber hinaus ging es auch nicht um ISL", ergänzte der Verband. Schmidts Anwalt wollte eine Anfrage zu dem Vorgang nicht beantworten. Worum ging es dann damals, als im DFB erstmals helle Aufregung um einen möglichen WM-Stimmkauf herrschte? Vorläufig nicht auszuschließen, dass dieser letzte Anlauf zur Selbstaufklärung des DFB seit vielen Jahren überfällig sein könnte.

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