DFB-Sieg gegen USA:Zu früh zum Feiern

World Cup 2014 - USA - Germany

Für Joachim Löw ist mit dem Achtelfinaleinzug das erste Ziel erreicht. Mehr aber auch nicht.

(Foto: dpa)

Die Emotionen sind nach der Wasserschlacht von Recife sehr unterschiedlich verteilt: Klinsmanns US-Amerikaner machen trotz der Niederlage Party. Für die deutschen Spieler gerät das Feiern dagegen zur Pflichtübung - sie haben ihr Ziel noch lange nicht erreicht.

Von Thomas Hummel, Recife

Um 14:53 Uhr Ortszeit ging links die Party los. Auf der Anzeigetafel stand in diesem Moment: Portugal 2, Ghana 1. Das entscheidende Tor für Portugal schoss demnach Cristiano Ronaldo in der 80. Minute. Auf der Tribüne schrien die Menschen in den rot-blau-weißen Gewändern, unten umarmten sich die Spieler, Jürgen Klinsmann watete über den nassen Platz und streckte dem Dauerregen zwei Arme entgegen. Jubeld wedelte der Trainer der USA mit den Fäusten.

Es ist das Bizarre am Modus der Fußball-Weltmeisterschaft, dass eine Mannschaft zwar das dritte Gruppenspiel verlieren, es aber dennoch vor Freude kaum aushalten kann. "Heute haben wir verloren, aber es ist eine schöne Niederlage, jeder ist glücklich", erklärte Mittelfeldspieler Jermaine Jones nach der Partie. Das Team USA hat am letzten Spieltag der Gruppe G die K.-o.-Runde erreicht - auch dank des Ergebnisses aus der Begegnung des Spiels Portugal gegen Ghana. Obwohl Klinsmanns Team 0:1 verloren hatte, schallte am Donnerstagnachmittag ein lautes "U-S-A" durch die Arena Pernambuco in Recife.

Auf der rechten Spielfeldhälfte lief auch eine Party, aber wesentlich gedämpfter. Dort standen die Sieger und holten sich die Ovationen ihrer Anhänger ab. Doch selbst das Feiern geriet bei der deutschen Nationalmannschaft ein wenig zur Pflichtübung. So wie der gesamte Nachmittag in Recife ein Pflichtnachmittag war.

Deutschland gewann 1:0 gegen die USA, ist damit Gruppensieger und erwartet im Achtelfinale Algerien. Das Spiel trug allerdings wenig dazu bei, dass die Spektakel-Zuschauer zu Hause von den Sofas aufsprangen. Die hoch überlegene Mannschaft musste viel zu viel Aufwand betreiben, bis Thomas Müller nach 55 Minuten dieses eine Tor erzielte. Nach der Begegnung verließen die Spieler bald den nassen Stadioninnenraum und flüchteten sich in die trockene Umkleide. Mats Hummels kommentierte treffend: "Wir haben sehr konzentriert gespielt, sehr seriös, haben wenig Fehler gemacht, defensiv wenig zugelassen. Das ist das Wichtigste, um in solchen Spielen nicht in Verlegenheit zu kommen."

"Wenn ich schon dran denke, krieg ich Bauchschmerzen"

Diese WM in Brasilien ist nicht leicht zu fassen für die deutsche Mannschaft. "Grundsätzlich ist es ein komisches Turnier. Einige Mitfavoriten sind ausgeschieden, andere Mannschaften, mit denen man nicht gerechnet hat, sind qualifiziert. Muss man echt vorsichtig sein. Wir sind froh, dass es uns nicht getroffen hat", erklärte Manuel Neuer. Wobei er zwanzig Sekunden vorher gesagt hatte: "Es wäre eine Schande gewesen, wenn wir nicht ins Achtelfinale eingezogen wären. Wenn ich schon dran denke, krieg ich Bauchschmerzen."

Doch das Spiel gegen Algerien am Montag in Porto Alegre (22 Uhr MESZ) soll ja längst nicht das Ende der Reise sein. Viele Spieler sprechen selbst vom großen Ziel: Weltmeister werden. Nach den ersten drei Partien gehört Deutschland für einige Beobachter zu den Topfavoriten auf den Titel. Für andere ganz und gar nicht. Diese drei Spiele gegen Portugal, Ghana und die USA boten so viele Facetten, so viel Gutes wie auch Zweifelhaftes, dass an einem Tisch mit fünf Menschen derzeit sechs Meinungen herrschen, wie stark diese Truppe wirklich ist.

Einzig der Busfahrer verdiente sich an diesem Tag Lob von allen Seiten. In den Stunden vor dem Spiel war ein tropischer Regenschauer auf Recife niedergeprasselt, der die Kanalisation der Stadt überforderte. Ergebnis waren überflutete Straßen und Gehsteige, liegengebliebene Autos und nasse Füße. Die Fahrt zum Stadion glich einer Bootstour. "Wir hatten Angst, dass nicht gespielt werden kann. Um rechtzeitig anzukommen, sind wir früh losgefahren", erzählte Per Mertesacker. So erreichte die Mannschaft die Arena Pernambuco weit draußen vor der Stadt rechtzeitig. Und gespielt wurde dann auch, das Spielfeld besitzt offensichtlich eine sehr gute Drainage.

Es fehlte ein Mittelstürmer

Das relativ kühle Wetter samt Wassermassen, die vom Himmel fielen, nutzten die Deutschen. Nach dem lange Zeit trägen Auftritt gegen Ghana im heißen Fortaleza rannten sie los, als hätten sie unbegrenzte Kräfte. Mertesacker meinte: "Das Wetter war Gold wert. Wir haben darauf reagiert und intensiver gespielt." Zum ersten Mal bei dieser WM attackierte die DFB-Elf den Gegner vorne im Spielaufbau, die Abwehr rückte weit heraus, um das Pressing zu unterstützen. Das passte den Amerikanern gar nicht, sie konnten bis auf wenige Ausnahmen keinen ordentlichen Angriff zu Ende spielen. Die Deutschen waren fast über die gesamte Spielzeit hoch überlegen. Schossen aber nur ein Tor.

"Was uns ein bisschen fehlt, ist der letzte Pass. Wir hatten über 90 Minuten die Kontrolle. Aber der entscheidende Pass, der entscheidende Laufweg, da müssen wir besser harmonieren", erkannte Philipp Lahm. Dabei fehlte es weniger am entscheidenden Pass als am entscheidenden Spieler, der vor dem Tor den Pass erhalten soll. Dort, wo man in der Regel Tore erzielt, war nämlich häufig keiner: zentral vor dem Tor. Auch genannt: Mittelstürmer-Position.

Thomas Müller war dafür vorgesehen, doch der Münchner wich wie gefordert häufig auf die Seiten aus. Da aber Lukas Podolski links vorne klebte und Mesut Özil eher kein Mittelstürmer-Typ ist, blieb die Planstelle vorne drin häufig verwaist. Und wer vorne drin keine Spieler hat, kann kaum einen Treffer erzielen. Bundestrainer Joachim Löw erkannte das Problem und brachte in der Halbzeit seinen einzigen Stürmer: Miroslav Klose.

Die Amerikaner gerieten daraufhin noch mehr in Bedrängnis, das Tor von Thomas Müller (55.) hatte sich angekündigt. Mehr musste niemand tun. Weil Portugal gewann, kamen beide wunschgemäß weiter. Die USA hatten ihre einzigen guten Chancen in der Nachspielzeit. Einmal rutschte Lahm in einen Schuss, danach hielt Neuer einen Kopfball von Clint Dempsey. Das war's. Es folgte die Party auf beiden Seiten.

US-Team hat sein Ziel erreicht

Die deutschen Spieler waren trotz des zähen Kicks erfreut von ihrer Leistung. Sie hatten aus der wilden zweiten Halbzeit gegen Ghana ihre Lehren ziehen wollen, als das Hin und Her zwar die Zuschauer erfreute, die Spieler aber ob des Kontrollverlusts erzürnte. Deutschland will nicht mehr die Spektakel-Mannschaft sein. Das Team will in der Defensive gut arbeiten, als Mannschaft zusammenstehen und dem Gegner das Leben schwermachen. Lahm sagte: "Ich freue mich, wenn ich ein Tor verhindern kann. Ich krieg nicht gerne Gegentore. Es tut weh, wenn man welche kassiert."

Obwohl die Amerikaner das einzige Tor des Nachmittags kassiert hatten, war der Ärger darüber schnell verflogen. Sie feierten ihr Fortkommen, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Jürgen Klinsmann zelebrierte diesen kleinen Triumph und sagte: "Es ist phantastisch, dass wir weitergekommen sind." Es kam das Gefühl auf, dass dieses US-Team sein Ziel in Recife erreicht hatte.

Auf der anderen Seite stand Toni Kroos. Auf die Frage, was denn der deutschen Mannschaft noch fehle nach diesem Spiel, sagte er: "Grundsätzlich vier Spiele, die wir gewinnen müssen." Die Ziele und Emotionen waren in Recife völlig unterschiedlich verteilt.

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