DFB in der Nations League:"Das geht mir auf den Sack"

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Erst Torschütze, dann Motzki: İlkay Gündoğan (Mitte). (Foto: AFP)

Die Nationalelf sammelt gegen die Schweiz das nächste ärgerliche Unentschieden - und muss obendrein erklären, warum sie zur Anreise von Stuttgart nach Basel das Flugzeug genommen hat.

Von Carsten Scheele

Diesmal gab Ilkay Gündogan den Motzki. Der bärtige Mittelfeldspieler stellte sich wenige Minuten nach dem Schlusspfiff vor die ZDF-Kamera, er sei "ein bisschen angepisst", gab Gündogan zu Protokoll. "Das geht mir auf den Sack", ergänzte der Nationalspieler, um seine schlechte Laune nach dem 1:1 (1:0) in der Nations League gegen die Schweiz noch nachdrücklicher zu hinterlegen.

Es gab einige Ärgernisse für die deutsche Nationalmannschaft rund um dieses Schweiz-Spiel. Das erste schon viele Stunden vor dem Anpfiff, dieser ordentliche mediale Shitstorm, weil der DFB-Tross die 180 Kilometer Luftlinie von Stuttgart (dem Spielort des vorigen Länderspiels) nach Basel nicht mit dem Zug (Umstieg in Karlsruhe), nicht mit dem Bus (230 Kilometer Autobahn), nicht mit dem Fahrrad, sondern tatsächlich mit dem Flugzeug zurückgelegt hatte.

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Einmal hoch, ein paar Minuten fliegen, sofort wieder runter - das darf aus ökologischen Gesichtspunkten durchaus hinterfragt werden, was den DFB in Person von Pressechef Jens Grittner nicht davon abhielt, das Vorgehen des Verbands zu verteidigen. Der Zug sei als Transportmittel nicht in Frage gekommen, wegen des Umstiegs und der geltenden Corona-Hygieneregeln. Die Fahrt mit dem Bus hätte vermutlich dreieinhalb Stunden gedauert, "das ist für Profisportler nicht das Ideale und unter Regenerationsaspekten nicht optimal mit solch einem Rhythmus", sagte Grittner.

Dem Eindruck, dass den Fußballnationalspielern mehr Luxus zuteil wird als vielen anderen Sportlern des Landes, trat der DFB damit eher halbherzig entgegen. Am Montagmittag gestand Nationalelfdirektor Oliver Bierhoff immerhin öffentlich ein, man könne "die kritischen Stimmen nachvollziehen" und werde sich hinterfragen, "wie wir künftig die wichtigen Aspekte Umwelt und Nachhaltigkeit stärker in unseren Planungen und Entscheidungen berücksichtigen können".

Ähnliche Symptome wie gegen Spanien

Und da war natürlich das Spiel, das nächste Unentschieden nach der Corona-Pause, die nächste verspielte 1:0-Führung in der Nations League, wie schon vor vier Tagen in Stuttgart gegen Spanien. Der später so genervte Gündogan hatte das Team nach 14 Minuten mit einem Abschluss, der eher an einen scharfen Flachpass erinnerte, von der Strafraumgrenze aus in Führung gebracht, ehe die Mannschaft beschloss, die knappe Führung zu verwalten, was dann auch schiefging, mehr noch: schiefgehen musste.

"Es hat komplett an uns selbst gelegen", ärgerte sich Gündogan: "Wir sind in einer guten Ausgangsposition, führen 1:0. Dann leisten wir uns einen Fehlpass, laufen in einen Konter und dann steht es 1:1." Auch Toni Kroos attestierte dem Team ähnliche Symptome wie gegen Spanien, als sich die Mannschaft in der Nachspielzeit noch den Ausgleich fing. "Wir müssen das hinten raus ein bisschen besser machen", forderte der Mittelfeldspieler von Real Madrid: "Wenn sechs Punkte zu verteilen sind und du zwei hast, das ist schon enttäuschend."

In der zweiten Saison steht das DFB-Team in der zwar ungeliebten, aber nicht ganz unwichtigen Nations League noch immer ohne Sieg da. Ein Umstand, der auch Bundestrainer Joachim Löw zu nerven beginnt. "Wenn man jetzt zweimal 1:0 führt und es dann nicht nach Hause bringt, das ist natürlich ärgerlich", sagte Löw in Basel, "wir schaffen es einfach nicht, aus den guten Möglichkeiten Kapital zu schlagen."

Löw weiß, dass sich seine Nationalelf optisch und qualitativ verändern wird, wenn die aktuell geschonten Nationalspieler aus München und Leipzig sowie der gerade zu Chelsea transferierte Kai Havertz zu den Länderspielen im Oktober und November wieder dazustoßen. Der Bundestrainer hat aber auch gesehen, dass die Weiterentwicklung seiner Elf mit den Vertretungskräften nicht so schnell vonstattengeht, wie er es sich ein Dreivierteljahr vor der Europameisterschaft wünscht. Um Europameister zu werden, braucht er ja nicht elf, sondern ein paar mehr Spieler, die das Niveau halten können.

Da war Timo Werner, der in der Offensive unzählige Sprints ansetzte, in seinen Aktionen aber auffallend wenig Glück hatte. Da war Julian Draxler, der auf der Zehn agierte, der mit manch schneller Körperdrehung verblüffte, sich dann aber wieder für 15 bis 20 Minuten in der Schweizer Abwehr versteckte. Da war Julian Brandt, zur Pause gekommen für den starken Leroy Sané, der den bösen Fehlpass vor dem Ausgleichstreffer (Silvan Widmer, 58.) spielte. In Löws Experiment des Abends, der Manndeckung quasi über den ganzen Platz, konnte Außenverteidiger Robin Gosens dem Schweizer Torschützen im entscheidenden Moment nicht mehr folgen.

"Wir haben in der Formation selten zusammengespielt", versuchte Thilo Kehrer eine Entschuldigung: "Wir müssen reifen, cleverer werden und widerstandsfähiger in den Zweikämpfen." Das sah der Bundestrainer nicht ganz so dramatisch. Er habe gute Ansätze gesehen, die Mannschaft sei "willig" gewesen, "die Spieler, die da waren, haben alles gegeben für den Zeitpunkt". Im Oktober, wenn er wieder "mit voller Kapelle" antreten dürfe, werde das Gesicht der Nationalelf ein anderes sein. Dann würden reifere Persönlichkeiten auf dem Rasen stehen, dann werde es auch lauter sein auf dem Platz, kurzum: "Dann werden wir die ersten Spiele gewinnen in der Nations League."

Im Oktober ist zunächst ein Test-Länderspiel gegen die Türkei (7. Oktober, Köln) geplant, dann folgen zwei Auftritte in der Nations League in der Ukraine und in Köln gegen die Schweiz. Für die Reise in die Ukraine ist das Flugzeug als Reisemittel vorgesehen, diesmal tatsächlich alternativlos.

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