DFB: René Adler:Die neue Nummer eins

Lesezeit: 4 min

Die Frage, wer ein deutsches WM-Tor hütet, hat früher mal die ganze Nation bewegt. Nun legt sich Bundestrainer Löw für Südafrika auf René Adler fest. Und alles bleibt ruhig.

Thomas Hummel

An Philipp Lahm ging diese bedeutende Nachricht vorbei. "Ich muss zugeben, dass ich es noch gar nicht mitbekommen habe", sagte der 26-jährige Außenverteidiger. Das muss man sich einmal vorstellen, dass dieser Philipp Lahm, ja durchaus ein verdienter Nationalspieler, diese Entscheidung einfach nicht mitbekommt. Dass sich der Bundestrainer nun auf René Adler als Nummer eins für das deutsche WM-Tor festgelegt hat. Das hätte es früher nicht gegeben.

Damals, 2006, als sich der Bundestrainer Klinsmann auf den WM-Torhüter Jens Lehmann festgelegt hatte, ging die Nachricht schneller um die deutsche Fußballwelt als ein Sturmtief über das Mittelgebirge. Oder als der Teamchef Beckenbauer 1986 den WM-Ersatztorwart Uli Stein nach Hause schickte, Mannomann, da war was los! Die Deutschen und ihre Nummer eins, die Nummer eins der Deutschen, das war immer eine nationale Angelegenheit und dass sich da einfach ein verdienter Nationalspieler hinstellt und nichts weiß, das wäre ein Ding gewesen.

Nun sagt diese Geschichte viel über die aktuelle Unaufgeregtheit aus, die in diesem deutschen Lieblingsthema steckt. Genauso viel sagt sie über die Charaktere, die sich um diesen Posten bemühen. Der ruhige 25-jährige René Adler also soll in Südafrika die Nummer eins sein, er hat es "in der Hand, ob er bei der WM spielt", sagte Bundestorwarttrainer Andreas Köpke in München. Köpke sagte, er habe am Vormittag zunächst Mitkonkurrent Manuel Neuer von Schalke 04 informiert: "Das sind Gespräche, die nicht so angenehm sind. Manuel hat aber Verständnis gezeigt, auch wenn er nicht erfreut und logischerweise sehr enttäuscht war." Mit dem derzeit verletzten Tim Wiese (Werder Bremen) habe er noch nicht telefoniert. Auch mit Blick auf Neuer und Wiese betonte er: "Wir sind von den Torhütern, die wir haben, überzeugt." Es könne aber nur einer im Tor stehen.

Und das war ja immer das Problem, dass nur einer im Tor stehen kann. Dabei träumen seit dem "Teufelskerl" Toni Turek im Wunder-Finale von Bern 1954 so viele deutsche Torhüter davon, einmal im Nationaltor stehen zu dürfen. Und manche von ihnen können dann überhaupt nicht verstehen, warum es doch ein anderer schafft. Die Duelle Lehmann-Kahn, Kahn-Köpke, Schumacher-Stein bis zu Tilkowski-Fahrian haben deutsche Fußballzeitungen über Wochen alleine gefüllt.

Und nun verkündet Bundestrainer Löw über seinen Torwarttrainer Köpke, dass Manuel Neuer und Tim Wiese nicht im Tor stehen werden, wenn sich Kollege Adler nichts Schlimmeres zu Schulden kommen lässt oder etwa verletzt. Doch mit verbalen Attacken der Reservisten ist nicht zu rechnen. Auch nicht mit geballter Unterstützung Dritter, wie sie etwa der FC Bayern mit seiner geballten Kompetenz- und Medien-Macht für Oliver Kahn 2006 gegen Lehmann einsetzte. Und vielleicht führt auch der Tod des eigentlich favorisierten Robert Enke zu einer Versachlichung der bisweilen hitzigen Torwart-Diskussion.

Lesen Sie weiter auf Seite 2

Dabei gäbe es durchaus Ansatzpunkte für Kritik, denn René Adler ist ja nicht der fehlerlose Titan wie einst Kahn auf dem Höhepunkt seiner Kunst. Erst zuletzt in Bremen ließ er einen Freistoß von Naldo aus weiter Entfernung durch die Hosenbeine rutschen, das kostete Leverkusen am Ende den Sieg und nun auch die Tabellenführung. Doch Manuel Neuer, 23, ist nicht der Typ für einen Hahnenkampf unter Kollegen. Und bei Tim Wiese scheint es, als habe er seine Hörner zurechtstutzen lassen von der DFB-Crew, die verbale Querschüsse überhaupt nicht mag.

Immerhin haben Neuer und Wiese die Zusage, als Torhüter Nummer zwei und drei in Südafrika dabei zu sein. "Es gibt keinen Grund, derzeit noch einen anderen Torhüter ins Gespräch zu bringen", sagte Köpke.

Adler ist ja eine logische Wahl, die Löw und Köpke getroffen haben. Auch wenn dieser erste acht Länderspiele bestritten hat. Immer schon bewertet das DFB-Trainerteam starke Leistungen im Trikot der Nationalmannschaft als wesentlichen Grund für weiteres Vertrauen. Am deutlichsten erkennbar an der Treue zu Lukas Podolski, der in der Bundesliga kaum überzeugt, mit 24 Jahren aber schon 69 Länderspiele bestritten hat.

"Die Länderspiele, die er absolviert hat, hat er hervorragend gemacht. Deshalb war es für uns klar, dass René gegen Argentinien spielt", sagte Köpke. Im DFB-Trikot hat Adler in der WM-Qualifikation zwei Mal gegen den Hauptkonkurrenten Russland hervorragend gehalten und so das Direktticket zur WM stark mitverantwortet. So etwas vergisst Löw nicht. Da darf Adler gegen Bremen ruhig mal danebengreifen.

Der 25-jährige Leverkusener wird demnach auch am Mittwoch im Testspiel gegen Argentinien 90 Minuten im Tor stehen. Für Adler erfüllt sich damit der Wunsch der frühzeitigen Festlegung. "Generell ist es angenehmer, wenn man es vorzeitig weiß, damit man sich mental einstellen kann. Ich fände es deshalb besser, wenn da Klarheit herrschen würden", hatte er im Kicker gesagt. Bei der WM vom 11. Juni bis 11. Juli in Südafrika will er versuchen, "dazu beizutragen, dass wir ein großes Turnier spielen".

Und dass Adler bei der WM mit seinen Teufelskerl-Vorgängern Tilkowski, Maier, Schumacher, Kahn und Lehmann verglichen wird? "Es ist für mich keine Bürde, dass ich so große Vorgänger habe. Es ist in erster Linie eine Herausforderung für mich, für ein Land zu spielen, in dem es seit Generationen herausragende Torhüter gibt. Ich arbeite auch daran, dass ich ein großer Name werde."

Am Namen allein sollte es durchaus nicht scheitern, wenn jemand namens Adler im Tor steht. Wobei dieser René Adler einen ganz neuen Aspekt ins DFB-Tor bringt: Er ist der erste (und voraussichtlich letzte) in der ehemaligen DDR geborene Profi, der nach der Wiedervereinigung das gesamtdeutsche Tor als Stammkraft hüten wird. Und als Kind vielleicht nie etwas von Wunder-Torwart Toni Turek gehört hat.

© sueddeutsche.de/aum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: