Süddeutsche Zeitung

DFB-Reaktion nach Tod von Enke:Der Fußball braucht Zeit

"Das ist ein Moment, bei dem man auch im Fußball innehalten muss": Nach Stunden des Trauerns und Grübelns sagt der DFB das Test-Länderspiel gegen Chile ab.

Philipp Selldorf

Die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes hatte sich in ihrem Quartier am Bonner Rheinufer eine Nacht und einen Vormittag lang mehr oder weniger eingeschlossen. Journalisten, Kameraleute, Neugierige standen vor weiträumig gespannten Absperrbändern und warteten vergeblich auf Bilder, Zeichen oder einen Botschafter, der ihnen etwas sagen würde.

Am Morgen waren aus Frankfurt der DFB-Präsident Theo Zwanziger und der Generalsekretär Wolfgang Niersbach eingetroffen, Niersbach fuhr bereits am späteren Vormittag wieder ab, um in der Verbandszentrale die plötzlich dringenden Geschäfte zu erledigen. Und wenige Stunden später verließen dann auch die am Vortag angereisten Nationalspieler samt ihrer Taschen und Koffer das Hotel. In Taxis und Autos der Fahrbereitschaft traten sie den Heimweg an.

Der Zweck ihres Zusammenseins hatte sich erübrigt, nachdem die Verantwortlichen des Verbandes und der Mannschaft entschieden hatten, das für Samstagabend vorgesehene Testspiel gegen Chile unter den Bedingungen des Todes von Robert Enke nicht austragen zu wollen. Die Teilnehmer der fälligen Beratung brauchten keine unterschiedlichen Standpunkte zum Thema auszutauschen.

Im Video: Vor dem Stadion von Hannover 96 haben sich zahlreiche Fans versammelt, um an den verstorbenen Torwart Robert Enke zu erinnern.

Zwanziger und Niersbach, Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff sowie die Mannschaftsratsmitglieder Michael Ballack, Philipp Lahm, Miroslav Klose, Per Mertesacker und Bastian Schweinsteiger waren sich daher schnell einig. "In diesem Gespräch war für uns alle einvernehmlich klar: Wir können das Länderspiel in Köln gegen Chile nicht durchführen", erklärte Zwanziger am Nachmittag auf einer Pressekonferenz, die mit einer Schweigeminute und der Verlesung einer Trauerbotschaft begann.

"Es gab auch die Gedanken, das Spiel am Samstag als Abschiedsspiel für Robert zu machen", berichtet Bierhoff. Aber kein Profi hielt sich für fähig, mit dem nötigen Spaß am Sport Fußball zu spielen. "Niemand fühlt sich in der Lage, in dieser Situation einfach zur Tagesordnung überzugehen. Wir haben einen Freund verloren. Das ist ein Moment, bei dem man auch im Fußball innehalten muss", ergänzte Bundestrainer Löw in einer Stellungnahme.

"Alternativlos" sei der Entschluss zur Absage gewesen, fuhr Zwanziger fort, und wer für diese resolute Einschätzung eine Bestätigung suchte, der musste lediglich auf den neben Zwanziger sitzenden Oliver Bierhoff schauen, den eine Nacht des Trauerns und Grübelns ziemlich gezeichnet hatte. Tränen stiegen Bierhoff in die Augen, als er versuchte, den Verzicht auf Fußball aus der Sicht der Akteure zu begründen.

Um Worte ringend wandte er sich an die Reporter und sagte: "Der eine oder andere Journalist wird die Absage jetzt kommentieren, und das ist auch Ihre Aufgabe - aber Sie waren nicht im Kreis dabei. So wie ich jetzt fühle, so fühlen auch die Spieler." Bierhoff, Zwanziger, Löw und Ballack blieben bis zum Nachmittag in Bonn, dann flogen sie nach Hannover, um dort an einer ökumenischen Trauerandacht mit der Landesbischöfin Margot Käßmann teilzunehmen.

Am Sonntag werden die Spieler der Nationalelf wieder zusammenkommen, sie werden gemeinsam zur Trauerfeier für ihren Torwart gehen, und dann werden sie, wie ursprünglich einmal vorgesehen - in einem irgendwie ganz anderen Zeitalter des deutschen Fußballs -, ein Hotel in Düsseldorf beziehen, um sich auf die Begegnung mit der Elfenbeinküste am Mittwoch in Gelsenkirchen vorzubereiten.

Ob auch die zweite Testpartie zur Debatte gestellt worden war, dazu machten Zwanziger und Bierhoff keine Angaben. Anzeichen, dass auch für dieses Spiel eine Absage erwogen wurde, gab es nicht. Auf die "Ernsthaftigkeit" des Gesprächs mit dem Trainer und den Vertretern der Mannschaft sei er "sehr, sehr stolz", sagte der DFB-Präsident. "Ich habe Spieler erlebt, die ehrliche Trauer gezeigt und zum Ausdruck gebracht haben, dass Trauer Zeit braucht. Wir brauchen Zeit, um das zu verarbeiten und nicht oberflächlich damit umgehen. Wir müssen innehalten können."

Diese Worte haben einen so vernünftigen Klang, dass darüber schnell vergessen werden könnte, dass es keineswegs selbstverständlich war, die Veranstaltung in Köln zu stornieren. Der DFB ist Verpflichtungen eingegangen, nicht zuletzt verzichtet der Verband auf eine Einnahme von mindestens 2,5 Millionen Euro. Zwanziger wischte diesen Aspekt beiseite: "Die praktischen Dinge sind lösbar", sagte er. Der chilenische Verband, dessen Spieler am Montag in Leverkusen das Training aufgenommen hatten, akzeptierte die Gründe für die Absage.

Zwanziger stellte dann die Frage, die sich jetzt viele stellen, die Robert Enke in irgendeiner Form zu kennen glaubten: "Die Frage nach dem Warum begleitet uns. Warum ist er in einer so ausweglosen Situation?" Auch Bierhoff schloss sich dieser Suche an, aus Sicht des Mitspielers und Sportlers: "Bei uns herrscht Fassungslosigkeit und auch ein bisschen Hilflosigkeit, weil wir festgestellt haben, dass wir vielleicht nie unter die Oberfläche haben gucken können, wie es bei Robert wirklich ausgesehen hat."

Er führte Ballack als Beispiel an, der Enke kennenlernte, als er 13 war; Per Mertesacker, der mit dem Torwart in Hannover gespielt hatte; den Teampsychologen Hans-Dieter Hermann, der "seine Beobachtungen gemacht" habe. Aber, so fuhr Bierhoff fort: "Wirklich keiner hat es gewusst." Wie es tatsächlich um den Mann stand, den Bierhoff und alle anderen für so "gefestigt" hielten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.149480
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2009
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.