Süddeutsche Zeitung

Steuer-Razzien:Deutscher Fußball-Bund, oder auch: House of Eintrittscards

Trotz zahlreicher Skandale blieb beim DFB ein klarer Schnitt aus. Doch nun könnte den Verantwortlichen Übel drohen - und eine neue gesellschaftspolitische Ära anbrechen.

Kommentar von Thomas Kistner

Die Staatsgewalt kam mit schwerem Gerät. 200 Beamte waren letzte Woche zugange, manche trugen kugelsichere Westen und Maschinengewehre. Ob derlei erforderlich war für Steuer-Razzien bei gesetzteren Herren aus der Sport- und Wirtschaftswelt, wird sich noch weisen. Dem Fußballbetrieb sendet es jedenfalls klare Signale: Zum einen beendet so ein martialischer Auftritt die Schonzeit für die Sachwalter des zentralen Unterhaltungsgutes der Nation, organisiert im Deutschen Fußball-Bund. Zum anderen besagt es, dass die Justiz besonders gründlich hingelangt hat. So gründlich, dass sie im Fundus der konfiszierten Daten, Mails, Akten womöglich manches andere Geheimnis entdecken könnte.

Denn ausgeräumt wurde nicht nur die DFB-Zentrale, sondern auch Privatsitze von sechs Spitzenleuten; darunter drei aktuelle, die noch immer an den Schalthebeln des DFB sitzen. Formal unter dem neuen, 2019 gewählten Verbandschef Fritz Keller. Doch der Breisgauer Winzer und Quereinsteiger wirkt dem Eindruck, dass ihm im Hause DFB lediglich die Rolle als Empfangschef zugedacht ist, bisher eher erfolglos entgegen. Was sich in jüngsten Krisen-Statements wie jenem niederschlug, dass er sich erst mal einen Überblick verschaffen wolle. Diejenigen, die ihn haben, halten sich indes lieber bedeckt.

Der DFB kommt nicht aus den Schlagzeilen, wie auch. Zwischen all den Skandalen hat sich ja wenig verändert. Schon gar nicht personell. Nach Ausbruch der bis heute schwelenden "Sommermärchen"Affäre, die 2015 all die vertrauten, patriotisch aufgeladenen Lautmalereien um Kaiser und Lichtgestalten auslöschte, hat kein Schnitt stattgefunden. Das Geschäft übernahm einfach die zweite Reihe, die, will man die Dinge zu ihren Gunsten interpretieren, ihre Kompetenz zuvor dadurch bewiesen hatte, dass sie rein gar nichts mitbekam von alledem, was im Schatten der Ära von Franz Beckenbauer, Fedor Radmann und Wolfgang Niersbach ablief.

Sportverbände - einer wie der DFB zumal, mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern der größte der Welt - präsentieren sich gern aus einem Guss. Das erleichtert enorm die Amtsgeschäfte. Zugleich schafft es eine Kaste der Wissenden. Der große Rest hat alles abzunicken, so funktioniert Machtpolitik; vor allem im Sport, wo Wahlen oft Kulissentheater sind, weil alles vorab unter Kameraden geregelt ist. Und nun zeigt das Schweigen der Funktionäre, wie tief der Schuss sitzt. Keine der üblichen Zurückweisungen, keine Rechtfertigung. Soll die Justiz nicht noch weiter gereizt werden? Dass die DFB-Oberen nach Aktenlage selbstherrlich, klaren Warnungen des Fiskus zum Trotz, ihr Steuergebaren durchzogen, könnte manchem Verantwortlichen nun großes Übel bescheren: Es geht um 4,7 Millionen Euro angeblich hinterzogener Steuern, da wäre auch das Strafmaß kein Pappenstiel.

Ein Pulverfass mit der Aufschrift "WM-Affäre 2006"

Daneben könnten nun andere DFB-Szenarien als offenes Buch vor den Ermittlern liegen. Mysterien wie der Grundlagen-Vertrag, über den der DFB den in der Deutschen Fußball Liga organisierten Profiklubs eine Förderung "zu Lasten des Amateurfußballs" gewährt - so sieht es nicht nur die hessische Strafbehörde. Und dann ist da dieses Pulverfass, es trägt die Aufschrift "WM-Affäre 2006": Seit längerem betreibt der DFB eine weitere Untersuchung, laut Fritz Keller sollten bald neue Erkenntnisse vorgelegt werden. Das dürfte just die Frankfurter Justiz stark interessieren, sie führt ja noch immer ein Verfahren zum Thema. Leider steckt es fest, nun könnte es einen neuen Pusch erhalten.

Es brennt überall. Der neue ARD-Experte Bastian Schweinsteiger findet, das Publikum könne sich "nicht mehr hundertprozentig identifizieren" mit der Nationalelf. Deren Altvordere um Lothar Matthäus gehen auf die Barrikaden, beklagen Geringschätzung durch die Funktionäre, für deren Glanz ja sie in erster Linie sorgten. Und wenn all das jetzt noch die schneidende Stimme des Südens übertönt, die von Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern nämlich, der beim DFB jene Tugenden anmahnt, die bis vor kurzem just auf der Chefetage des Rekordmeisters mit der Lupe zu suchen waren - dann nimmt das Tollhaus filmreife Züge an.

House of Eintrittscards: Nur noch Geld, Vermarktung, Politik hätten Priorität im DFB, beklagt Rummenigge in der BamS. Das ist keck, zumal Steuerdelikte oder Uhrengeschenke keine DFB-spezifischen Phänomene sind; selbst die WM- 2006-Affäre prägt in Franz Beckenbauer eine Münchner Schlüsselfigur. Insofern ruft die Rüge des Bayern-Chefs nur die schlichte Grundordnung der Volksgaudi Fußball in Erinnerung: Der Siegreiche hat immer Recht! Das kennt auch der DFB, dessen Spieler schon öfter die Bundeskanzlerin in ihrer Kabine umtanzen durften. Nur: Bleibt der Erfolg aus, sollte man sich nicht erwischen lassen. Bricht da vielleicht eine neue gesellschaftspolitische Ära an? Sogar für den deutschen Fußball?

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SZ vom 12.10.2020
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