Süddeutsche Zeitung

Fußball:DFB-Ethiker treten zurück

Die Spitze des DFB provoziert durch die Wahl der neuen Ethik-Chefin quasi die Auflösung des Gremiums. Das kommt ausgerechnet Interimspräsident Rainer Koch zugute, mit dessen Verhalten sich die Kontrolleure zuletzt beschäftigten.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt

Im Kampf um die Macht hat das Spitzenpersonal des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um Interimspräsident Rainer Koch, 62, schon bizarrste Manöver hingelegt. Aber der aktuelle Eklat öffnet eine neue Dimension. Am Mittwoch hat die DFB-Spitze - offenbar bewusst - die Auflösung der unabhängigen Ethikkommission des Verbandes provoziert. Und das zu einem Zeitpunkt, da sich das Gremium gleich in mehreren Fällen mit Anzeigen gegen den Interimschef Koch zu befassen hat.

Am Mittwochmorgen kürte das Präsidium mit 7:5 Stimmen die Personalberaterin Irina Kummert zur neuen Chefin des Gremiums. Daraufhin erklärten die übrigen Mitglieder - der Jurist Bernd Knobloch, der seit Herbst als kommissarischer Chef fungierte, die Korruptionsexpertin Birgit Galley und der Theologe Nikolaus Schneider - mit klaren Worten ihren Rücktritt. Pikant: Knobloch und Galley hatten diesen Schritt DFB-intern bereits vorab angekündigt, falls Kummert gewählt werde. Diese sitzt sich nun nur noch selbst vor, das Gremium ist nur mit mindestens drei Mitgliedern handlungsfähig.

Der Vorgang könnte für den DFB dramatische Folgen haben. Er belegt, wie wenig Wert die Arbeit unabhängiger Kontrolleure just inmitten der größten Verbandskrise besitzt. Auch die Ermittlungsbehörden schauen immer interessierter zu - sie könnten registrieren, wie sich gewisse Verhaltensmuster der Spitzenleute verfestigen.

Knobloch erhebt in seiner Rücktritts-Mail an die DFB-Spitze, die der SZ vorliegt, schwere Vorwürfe. Die Entscheidung sei "der Gipfel einer seit Monaten laufenden Kampagne gegen mich als Vorsitzenden", schrieb er. Schneider teilte mit, Kummerts Kür zur Ethik-Chefin "und die Umstände dieser Wahl lassen für mich eine weitere Mitarbeit nicht zu". Galley schreibt, das Gremium habe stets gut gearbeitet, es benötige "auch zukünftig eine anerkannte Führungspersönlichkeit". Deshalb: "Ich bedaure Ihre Entscheidung."

Seit Herbst 2020 war der Jurist Knobloch der Chef - auf einmal stand er infrage

Dieser Eklat kommt nun dem Mann zugute, der den Verband interimistisch mit Liga-Vertreter Peter Peters führt: Multifunktionär Rainer Koch. Ihm waren die Ethiker zuletzt immer enger auf die Pelle gerückt. Aufgrund einer Anzeige der Frauen-Initiative "Fußball kann mehr" führten sie gerade Anhörungen durch. Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb hatte kürzlich berichtet, ihr sei aus dem DFB bedeutet worden, sich besser nicht an dieser Reformgruppe zu beteiligen; belegt sind überdies "irritierende" Telefonate mit Koch. Zudem liegt eine weitere Anzeige durch den nach Aktenlage aus dem Amt intrigierten Ex-Präsidenten Reinhard Grindel vor, in der es um die Umstände der Spiegel-Enthüllung zur Sommermärchen-Affäre im Herbst 2015 geht. Diese wurde aber noch nicht angegangen.

So wirkt die Sprengung des Ethikerstabs nicht zufällig, sondern wie Kalkül. Die Kommission war im Herbst 2019 vom DFB-Bundestag gewählt worden, den Vorsitz hatte SPD-Politiker Thomas Oppermann. Nach dessen Tod im Herbst 2020 vereinbarten die vier verbliebenen Mitglieder, dass Knobloch, der einzige Jurist, interimsweise übernehmen solle. Das hätte dann in eine offizielle Berufung münden sollen, teilt Knobloch mit.

Unter seiner Führung war das Gremium fortan in den Sümpfen des DFB-Machtkampfes unterwegs, der ebenfalls seit Herbst tobt. Dabei trafen die Ethiker Beurteilungen, die nicht jedem an der Spitze gefielen: etwa die, dass der Büroleiter des im Lager um Koch und Generalsekretär Friedrich Curtius ungeliebten Ex-Präsidenten Fritz Keller zu einer Aussage gegen den Verbandschef genötigt worden sein könnte, um seinen eigenen Job zu retten. Nun berichtet Knobloch von Störfeuer gegen ihn über die vergangenen Monate. Und mitten hinein in Befassungen des Gremiums mit Kochs Verhalten platzte nun der Vorschlag der neuen DFB-Spitze, das Präsidium möge doch den Ethikchef neu wählen. Dies habe natürlich nichts mit laufenden Verfahren zu tun, beteuert der Verband, vielmehr sollte es die Kommission "voll arbeitsfähig" machen.

Das Argument wirkte nicht nur deshalb schräg, weil die Ethiker allein im vergangenen Halbjahr rekordverdächtige 20 Fälle bewältigten. Nach Darlegung der düpierten Ethiker wusste die DFB-Spitze genau, dass sie das Gremium mit einer Berufung der umstrittenen Kummert arbeitsunfähig macht. Auch deshalb ist zu klären, was genau am Mittwoch ablief. Denn nachdem die DFB-Spitze die Vorsitzfrage überfallartig auf die Agenda gehievt hatte, standen bis zuletzt drei Mitglieder für den Chefposten bereit: Knobloch, Schneider und Kummert. Letztere war offenbar als Gegenkandidatin in Position gebracht worden - aber mit dem renommierten Theologen Schneider stand ein Mann des Ausgleichs bereit. Schneider war als Ratsvorsitzender der EKD über viele Jahre höchster Repräsentant der evangelischen Kirche in Deutschland, auch leitete er den DFB-Ethikstab schon einmal kommissarisch über Monate, nach dem Tod des früheren Außenministers Klaus Kinkel 2019.

Auf einmal stand der renommierte Theologe Schneider nicht mehr zur Wahl

Als es am Mittwoch an die Wahl ging, war Schneider nicht mehr zugelassen. Gründe dafür nannte der DFB auf Anfrage nicht. Das Präsidium, in dem neben Koch und Peter noch drei Liga- und sieben Amateurvertreter sitzen, hatte nur noch die Wahl zwischen Knobloch und Kummert.

Knobloch hatte schon vor der Abstimmung intern seinen Rücktritt angekündigt, falls er nicht im Amt bestätigt würde: So, wie ihm das zugesagt worden sei. Auch Galley hatte für den Fall ihren Rücktritt angekündigt. Koch und Peters ließen dazu nur erklären, mit ihnen habe Galley nicht geredet. Ob sie all diese Ansagen vor der Wahl ihren Präsidiumskollegen dargetan haben? Das beantwortet der DFB nur ausweichend: Den Präsiden hätten "sämtliche erforderlichen Informationen" vorgelegen.

Kummert sagte dem sid, sie freue sich auf ihre neue Aufgabe, "die es mir ermöglicht, weiterhin für die Wahrung von Ansehen und Integrität im Sinne des deutschen Fußballs zu wirken". Der DFB wiederum erklärte, der Ethiker-Stab solle in den nächsten beiden Wochen Vorschläge für die vakanten Stellen machen. Es dürfte wenig verwundern, wenn demnächst Personen in das Gremium einrücken, die an Kochs Verhalten wenig zu beanstanden haben.

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