DFB-Pokalfinale: Milan Sasic:Herzensguter Bösewicht

Aus der Kreisliga ins Berliner Olympiastadion - und bald vielleicht in der Europa League: der Aufstieg des Duisburger Trainers Milan Sasic vom bierzapfenden Hobbytrainer zum Erfolgscoach der zweiten Liga.

Boris Herrmann, Berlin

Ein weit verbreiteter Irrglaube lautet, dass es ganz unten anders zuginge als ganz oben, dass in der Kreisliga B weniger professionell gedacht und gehandelt würde als in der Bundesliga. Die Saison 1993/94 zum Beispiel hatte gerade erst so richtig begonnen, da wurde beim rheinländischen Kreisligisten DJK Gebhardshain-Steinebach schon die erste Krisensitzung einberufen.

FSV Frankfurt - MSV Duisburg

Engagiert an der Seitenlinie: der Duisburger Trainer Milan Sasic.

(Foto: dpa)

"Wir wollten damals unbedingt aufsteigen", erinnert sich Bruno Siebert, der Vereinsvorstand: "Aber es fehlten die Punkte. Und da haben wir eben den Trainer entlassen." Ähnlich wie bei so manchem zeitgenössischen Bundesligisten hat sich die Krisensitzung damals aufgelöst, ohne dass es eine klare Idee gegeben hätte, wer die kriselnden Freizeitkicker fortan betreuen sollte. Ein paar Tage später trat der serbische Wirt des Vereinsheims an Siebert heran. Er sagte: "Ich habe da vielleicht jemanden, der euch helfen könnte." Dieser Jemand war Milan Sasic.

Der Serbe Sasic war gerade mit seiner kroatischen Frau, seinen Kindern und einigen Plastiktüten vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien geflohen. Jetzt stand er mitten im Westerwald, suchte einen Job und kämpfte für seine Aufenthaltsgenehmigung. Auf Fußball hatte er eigentlich keine Lust. Und das macht seine spätere Aufsteiger-Geschichte erst recht märchenhaft. Am Samstag trifft der ehemalige Flüchtling, Bauarbeiter und Kreisliga-Coach Milan Sasic, 52, mit dem MSV Duisburg im DFB-Pokalfinale auf Schalke 04.

Jovan Rokvic, so hieß der Kneipenwirt aus Gebhardshain, erzählt seine Geschichte von der Erfindung des Trainers Sasic mit Vergnügen, mit langen Girlanden und nicht ohne Stolz. Die beiden kannten sich, weil man sich als Fremde in einer 2000-Seelen-Gemeinde damals gar nicht verpassen konnte. Rokvic wusste, dass Sasic in den Achtzigern in seiner Heimatstadt Karlovac einen durchaus beachtlichen Zweitliga-Torhüter abgegeben hatte.

So einer, sagte er sich, müsse doch auch eine Gurkentruppe in der untersten Liga betreuen können. "Ich habe dem Milan damals natürlich etwas von einer höheren Spielklasse erzählt, sonst hätte er gar nicht angebissen." Rokvic japst heute noch vor Freude, wenn er sich daran erinnert: "Ich habe ihn betrogen, das können Sie ruhig so schreiben."

Eine Schwäche, die Milan Sasic (gesprochen: Schaschitsch) bis heute auszeichnet, ist, dass er zu seinem Wort steht. Als er feststellte, dass er sich auf einen bierseligen Kreisligisten eingelassen hat, hatte er bereits zugesagt. Danach war es dann aber vorbei mit den gemütlichen Tagen bei der DJK Gebhardshain-Steinebach.

Sasic erschien mit einer Trillerpfeife und zwei Stoppuhren auf dem Sportplatz. Er schockte sein Personal, indem er während des Trainings den Puls überprüfte. Seine Kabinenansprachen, so erzählt man sich bis heute im Dorf, konnte man auch bei geschlossenem Fenster prima draußen mithören. In der Umkleide wiederum wurde zum Entsetzen der Sportler der Genuss von alkoholischen Erfrischungsgetränken untersagt.

Milan Sasic: Autoritär, stur - und erfolgreich

Und Klubchef Siebert berichtet: "Im Trikot rauchen gab es für ihn nicht - selbst wenn das Spiel vorbei war." Am Ende der Saison ist die DJK Gebhardshain-Steinebach natürlich in die Kreisliga A aufgestiegen. "Sasic hat mit diesem Klub nie ein Spiel verloren", sagt Siebert. Sie hatten ein Trainerjuwel entdeckt.

MSV Duisburg's Sasic looks to the German soccer Cup during news conference in Berlin

Über den DFB-Pokal in die Europa League: Milan Sasic begutachtet erst einmal die Trophäe.

(Foto: REUTERS)

300 D-Mark monatlich hat Milan Sasic für seine heldenhaften Dienste in der Kreisliga bekommen. Tagsüber schuftete er zunächst im Straßenbau, später machte er eine Kneipe auf. Und selbst als es ihm in Gebhardshain zu eng wurde und er das Oberligateam des VfL Hamm übernahm, "hat er nach dem Training immer noch ein bisschen gezapft", erzählt Rokvic.

Wenig später nahm die Karriere dann aber doch keine Rücksicht mehr auf Sasics Thekennähe. Im Jahr 2002 wechselte er zum Oberliga-Konkurrenten TuS Koblenz. Auch dort verlor er nur wenige Spiele. Innerhalb von drei Jahren führte er den Klub in die zweite Bundesliga. Nach einem kurzen Intermezzo beim 1. FC Kaiserslautern gelangte er im Sommer 2009 schließlich zum MSV Duisburg. Und jetzt fehlt ihm nur noch ein Sieg, der Pokalsieg, und er spielt demnächst in der Europa League.

Es liegt auf der Hand, dass es manchem Mitstreiter schwindelig wurde, bei diesem rasanten Aufstieg. Sowohl in Koblenz als auch in Kaiserslautern und Duisburg ist Sasic für seine aufbrausende, autoritäre - manche sagen: tyrannische - Art bekannt. Am Betzenberg wurde er während einer relativ erfolgreichen Zweitliga-Saison entlassen, nachdem er sich mit der Mannschaft, vor allem aber mit seinem langjährigen Weggefährten, dem Manager Stefan Kuntz, überworfen hatte.

Selbst in Duisburg musste er sich Anfang des Jahres für seine mitunter grobe Wortwahl entschuldigen. Leute, die ihn länger kennen wie sein Freund Jovan Rokvic, beschreiben ihn als "ehrgeizig bis zum bitteren Ende" und als "einen herzensguten Menschen, der manchmal richtig böse werden kann".

Im Westerwald sehen sie ihm das nach. Und sie verzeihen ihm auch, dass er inzwischen eben eine Nummer zu groß und zu beschäftigt für sie ist. Sasic war ja in den vergangenen Wochen öfter mal in Gebhardshain. Der Westdeutsche Rundfunk hat dort ein Portrait über ihn gedreht, die Bild-Zeitung und der Kicker haben ihn in seiner alten Heimat mit einem Presslufthammer fotografiert.

Für einen Besuch in der alten Vereinskneipe hat die Zeit allerdings nicht gereicht. "Man kommt nicht mehr an ihn ran", hat Siebert festgestellt, aber er sagt dies ohne die Spur eines Vorwurfs. Denn sie wissen ja bei der DJK: "Wenn Duisburg am Samstag den Pokal gewinnt, dann gewinnen wir auch ein bisschen mit."

Gebhardshain-Steinebach spielt heute im Übrigen ganz unten, Kreisliga B. Als Milan Sasic ging, ist der Klub gleich wieder abgestiegen.

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