DFB-Pokal:Schicksal aus zwei Welten

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Als Tröster gefragt: Florian Kohfeldt und Jean-Manuel Mbom (Foto: Cathrin Mueller/Reuters)

Während Julian Nagelsmann RB Leipzig zum Abschied den ersten Pokal bescheren könnte, hat Florian Kohfeldt in Bremen ganz andere Sorgen: Er erlebt, wie aufreibend es ist, vor dem Hintergrund großer Geschichte Krisen bewältigen zu müssen.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Es war ein bemerkenswerter Satz von Julian Nagelsmann nach diesem besonderen Spiel, vor dem sich alle Geschichten ausschließlich um die beiden Trainer gedreht hatten. Um ihn, Nagelsmann, den künftigen Chef auf der Bank des FC Bayern München und teuersten Trainer-Transfer der Fußballgeschichte. Und um Florian Kohfeldt, dem ultimativ die Entlassung drohte, je nachdem, was an diesem Abend im Weserstadion passieren würde. "Es gibt Momente als Trainer", sagte Nagelsmann, als der Vorhang gefallen war nach einer exzessiven Aufführung zwischen Werder Bremen und RB Leipzig (1:2 nach Verlängerung), "da solltest du dich nicht wichtiger nehmen, als du bist." Er hatte seine Mannschaft deshalb alleine den Einzug ins Pokalfinale feiern lassen, nur mal kurz in die Kabine gelinst, mehr nicht.

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In einem DFB-Pokalhalbfinale, das ein ausrastendes Weserstadion verdient gehabt hätte, unterliegt Werder dramatisch in der 121. Minute dem Favoriten aus Leipzig. Trainer Kohfeldt behält nach dieser Charakterleistung seinen Job in Bremen.

Von Ralf Wiegand

RB Leipzig hat noch nie einen Titel gewonnen, wobei "nie" eine Vergangenheit insinuiert, in der irgendetwas verpasst worden sein könnte. Das von einem Investor im Jahr 2009 in Sachsen angesiedelte Fußball-Unternehmen ist ja aber immer noch erst vor fünf Jahren in den Fußball-DAX aufgestiegen, in die Bundesliga. RB hat keine Vergangenheit, aus der irgendwelche historischen Pokale zu polieren wären, keine Geschichte, die es wiederholen könnte, es kennt nur eine Richtung, nach oben. Alles, was dort passiert, passiert zum ersten Mal. Nagelsmann könnte also jener Trainer werden, der zum ersten Mal einen bedeutenden Titel nach Leipzig gebracht hat, wenn er mit seiner Mannschaft das Endspiel in Berlin gewinnt.

Nach Hoffenheim und Leipzig wird sich Nagelsmann bei den Bayern erstmals in einem Umfeld behaupten müssen, in dem Emotion und Tradition als unberechenbare Faktoren eine solch ungeheure Kraft entwickeln können, dass ein Trainer dort sieben Titel gewinnen und trotzdem nicht bleiben kann. Er hat dort Guardiola und Heynckes als Ahnen und große Egos in der Führung über sich, die sich von seiner bisweilen breitbeinigen Art nicht beeindrucken lassen werden. So kann man den Auftritt des Leipziger Trainers in Bremen auch als Zeichen werten, dass er gelernt hat, wann er sich zurücknehmen muss. Sogar dezent gekleidet war er diesmal, kein kariertes Festtagsoutfit, nur Blouson und Jeans, nicht mal weiße Sneaker.

Die Mannschaft sei auch für ihn marschiert, sagt Nagelsmann

Nagelsmann ist erst 33, aber er führt seine Mannschaft mit der Autorität und Routine eines erfahrenen Trainers, dazu spricht er trotzdem eine Sprache, die unverbraucht und spontan ist. Nach dem Spiel in Bremen erzählte er, dass sich Hee Chan Hwang bei ihm für seine Einwechslung bedankt habe, jener Spieler, der mit seinem Treffer zum 1:0 in der 93. Minute die spektakuläre Verlängerung eröffnet hatte. "Das ist nicht normal für einen Spieler, dem ich so wenig Einsatzzeiten gegeben habe", sagte Nagelsmann, fast ein wenig beschämt, "normalerweise müsste es andersrum sein." Zwischen ihm und seinen Spielern sei nichts zerbrochen durch den verkündeten Wechsel des Trainers nach München, sie seien "auch für mich marschiert", sagte er.

Tatsächlich hatten die Leipziger das Angebot der Bremer angenommen, sich auf einen Kampf einzulassen, der nicht den gewöhnlichen Routinen entsprach. Werder-Trainer Florian Kohfeldt hatte angekündigt, seiner Mannschaft diesmal nicht die gewohnten Aufgaben vorzugeben, sondern nur an Leidenschaft, Wille, Einsatz zu appellieren, und die Spieler haben das auch eingehalten. Das war es, was die sportliche Führung sehen wollte, um mit dem Trainer auch in die drei verbleibenden Spiele in der Bundesliga zu gehen, in denen der Abstieg aus der Bundesliga verhindert werden muss. "Ich will die Sache hier erfolgreich zu Ende bringen", sagte Kohfeldt nach dem Spiel und klang dabei genau so, als sei das seine letzte Bremer Mission - bloß nicht absteigen.

Leipzigs Siegtor kurz vor Schluss: In der Nachspielzeit der Verlängerung schießt der Schwede Emil Forsberg sein Team artistisch ins Pokalfinale. (Foto: Cathrin Mueller/AFP)

An Werder Bremen und Florian Kohfeldt lässt sich exemplarisch studieren, wie aufreibend es ist, vor dem Hintergrund großer Geschichte Krisen zu bewältigen. Bei Werder stehen ja all die Pokale in der Vitrine, die Leipzig noch nicht hat, die Meisterschale, der DFB-Pokal, ein Europa-Cup. Für fast jede Situation findet sich eine Entsprechung in der Vergangenheit, selbst für den Fall von Kohfeldts Nachfolge stand in Thomas Schaaf eine romantische Variante aus eigener Manufaktur zur Diskussion, der Double-Trainer von 2004, der am Freitag 60 Jahre alt wurde. Kohfeldt, 38, musste nach dem "maximal bitteren Ende" gegen Leipzig, dem 1:2 in der Nachspielzeit der Verlängerung durch Emil Forsberg, nachdem zuvor Bittencourt ausgeglichen hatte (104. Minute), an die anderen unglücklich verlorenen Halbfinalspiele der jüngeren Zeit denken: 2019 beim 2:3 gegen die Bayern durch einen unberechtigten Elfmeter; oder 2016, als Werder in München nach großem Kampf erst durch eine dreiste Schwalbe von Vidal vom Weg abkam. Er sei, sagte er, eher traurig als enttäuscht.

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Während Julian Nagelsmann einst die TSG Hoffenheim aus dem Abstiegskampf in die Champions League geführt hat und danach nach Leipzig weiter zog, ist Kohfeldt nach einem ähnlichen Einstieg ins Trainergeschäft in Bremen geblieben. Im Herbst 2017 übernahm er Werder auf Platz 17, landete am Ende sicher auf Rang elf und in der folgenden Saison mit einer Punktausbeute, die in den zehn Jahren davor immer für einen europäischen Wettbewerb gereicht hätte, auf Platz acht. Die Stadt lag ihm zu Füßen, die Medien schätzten ihn, seine Höflichkeit, seine Lust, über Fußball zu reden. Der DFB sah in ihm den Trainer des Jahres 2018, er sich selbst als Kind des SV Werder, dem Kohfeldt angehört, seit er 17 war. Vielleicht einmal selbst zu erreichen, was er als Delmenhorster Junge im Stadion als Fan bejubelt hat: Mehr Verbundenheit mit seinem Arbeitgeber geht nicht.

Kohfeldts Fußball funktioniert nur noch, wenn die Mannschaft an ihre körperlichen Grenzen geht

Doch anders als ein Unternehmen wie RB Leipzig, das Lücken im Kader oder im sogenannten Staff beinahe mühelos aus dem konzerneigenen Setzkasten schließen kann, ist Werder Bremen auf den eigenen Erfolg angewiesen - oder dem Misserfolg ausgeliefert. Kohfeldt hat sich nie darüber beklagt, dass Max Kruse nicht gehalten werden konnte, auch nicht, als in Davy Klaasen der letzte Mittelfeldspieler von gehobenem Format den Verein verließ, weil Werder Geld brauchte. Die Geschäftsführung vertraute den verbliebenen lückenhaften Kader dem Talent ihres Trainers an, der Trainer legte sein Talent in die Hände der Spieler.

Doch den Fußball, den Kohfeldt sich vorstellt, kann diese Mannschaft ohne kreatives Zentrum nicht mehr spielen, sie funktioniert nur noch, wenn sie an ihre körperlichen Grenzen geht und den überlegenen Gegnern die Lust am Spielen nehmen kann. Gegen Leipzig grätschten die Bremer den Ball samt Gegner über die Außenlinie, blockten die Bälle unter Einsatz ihrer Gesundheit, wie Amateure gegen Profis. Am Ende der Schlacht gegen Leipzig schleppte sich ein Spieler wie Christian Groß, den Kohfeldt im Alter von 31 Jahren vom Regionalliga- zum Bundesligaspieler gemacht hat, mit heruntergerollten Stutzen und geplagt von "Ganzkörperkrämpfen", wie Manager Frank Baumann sagte, über den Platz. So sahen Spieler schon in den 1980er-Jahren aus, wenn sie für den Traum vom Finale alles, wirklich alles aus sich herausgeholt hatten.

Auch wenn Werder in den drei Spielen gegen Leverkusen, Augsburg und Mönchengladbach den Absturz noch verhindern sollte, ist kaum anzunehmen, dass Kohfeldt in Bremen bleiben wird. Seinen unerschütterlichen Optimismus glauben viele Fans als Schönrednerei entlarvt zu haben, den vor dieser Saison versprochenen Neuanfang sehen sie nicht eingelöst. Für einen Umbruch, der Kohfeldt wieder einen Kader garantieren würde, der seinen ambitionierten Fußball spielen kann, fehlt das Geld. Die Pandemie hat es aufgefressen. Wenn Kohfeldt sich selbst weiter entwickeln will, muss er gehen. Und wenn Werder glaubt, wirklich einen großen Trainer ausgebildet zu haben, müssen sie ihn auch gehen lassen. Die Ungewissheit, was danach kommt, für den Verein wie für den Trainer, unterscheidet die kleine Bremer Vereinswelt vom großen Leipziger Fußball-Konzern.

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