Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Van Bommel reiht sich in einer schillernden Liste ein

Der neue Trainer des VfL Wolfsburg fällt im DFB-Pokal mit einem Wechselfehler auf. Doch sein Missgeschick unterscheidet sich signifikant von anderen Fällen.

Von Thomas Hürner

In der Kulturgeschichte der Wechselfehler finden sich namhafte Protagonisten, schillernde Persönlichkeiten und Männer mit titelreichen Trainerkarrieren. Kaiserslauterns Otto Rehhagel ist ein Malheur dieser Art mal passiert, als er im Jahr 1998 den Fußballer Pascal Ojigwe in einer Bundesliga-Partie gegen Bochum ins Spiel brachte. Christoph Daum sorgte 1992 für einen der "tragischsten Fehler in der Geschichte des deutschen Fußballs", wie eine damalige Schlagzeile lautete, indem er Jovica Simanic beim Europapokal-Vorrundenspiel gegen Leeds United einwechselte und den VfB Stuttgart dadurch über den Umweg eines Wiederholungsspiels aus dem Wettbewerb manövrierte. Und dann ist natürlich noch Giovanni Trapattoni zu nennen, der 1995 Dietmar Hamann für den FC Bayern aufs Feld schickte und deshalb trotz eines 5:2-Sieges die drei Punkte am Ende an Eintracht Frankfurt abtreten musste.

Am Sonntag wurde die Ahnenreihe um einen illustren Namen erweitert: Mark van Bommel, 44, hierzulande aus seiner Fußballerkarriere beim FC Bayern noch bekannt als "Aggressive Leader", seit dieser Saison Trainer des VfL Wolfsburg. Für unaufmerksame Beobachter hatte alles danach ausgesehen, dass der Niederländer mit seinem Team durch einen 3:1-Sieg in der Verlängerung beim Regionalligisten Preußen Münster mühsam in die zweite Runde des DFB-Pokals eingezogen wäre - bis jemand im Preußenstadion bemerkte, dass sich die vorgenommenen Wechsel van Bommels nicht mehr an nur einer Hand abzählen lassen.

Drei Mal hatte der Coach während der regulären Spielzeit seine Spieler ausgetauscht, drei weitere Male kamen in der Verlängerung in dem Moment hinzu, als van Bommel in der 103. Minute beim Stand von 1:1 Admir Mehmedi für Maximilian Philipp ins Spiel brachte - das machte nach Adam Riese sechs Wechsel und damit einen zu viel. Zumindest, was die Regeln im DFB-Pokal betrifft: bei der Europameisterschaft waren noch bis zu sechs Wechsel erlaubt gewesen, wenn eine Partie in die Verlängerung ging.

Nuancen mildernder Umstände dürfen angeführt werden

Damit wäre man schon beim signifikanten Unterschied zwischen dem Wolfsburger Missgeschick vom Samstag und den historischen Wechselfehlern von Rehhagel, Daum und Trapattoni: die drei Trainer hatten allesamt nicht ihr Wechselkontingent überzogen, sondern Akteure auf den Rasen geschickt, die aufgrund ihres Status als Nicht-EU-Ausländer oder Vertragsamateur hätten draußen bleiben müssen. Diese Fälle betrafen also Fragen nach der Spielberechtigung, die laut der Experten vom Schiedsrichterpodcast Collinas Erben "kein Bestandteil der Regeln" sind - und für die Einhaltung ebenjener Regeln ist während einer Partie qua Amt der Schiedsrichter verantwortlich. Hinzu kommt, dass sich die Wolfsburger angeblich mehrfach beim vierten Offiziellen Tobias Fritsch erkundigt haben, ob ein sechster Wechsel noch erlaubt sei und grünes Licht für dessen Durchführung erhielten.

Wenn sich das in Münster wirklich so zugetragen hat, dann wäre es schon erstaunlich, dass offenbar weder die Wolfsburger Delegation noch ein Teil des Schiedsrichtergespanns in voller Kenntnis über das Regelwerk zu einem Pokalspiel angereist sind, in dem es immerhin auch um eine Siegprämie von einer Viertelmillion Euro geht. Andererseits dürfen zumindest Nuancen an mildernden Umständen angeführt werden, da seit Beginn der Pandemie einige Regeländerungen durchgeführt wurden und nicht wenige in der Branche darüber klagen, ein bisschen den Überblick verloren zu haben.

Als Entschuldigung für die Wolfsburger Fahrlässigkeit taugt das freilich nicht, allein schon, weil sich um die Trainerbank millionenschwere Jahresgehälter versammelt hatten und vorausgesetzt werden darf, dass zumindest einer der Angestellten vollumfänglich über die derzeit geltenden Bestimmungen Bescheid weiß. Der VfL-Manager Jörg Schmadtke nannte den Vorfall "ausgesprochen ärgerlich" und fügte in seiner typisch sarkastischen Art hinzu, dass er kurz darüber nachgedacht habe, "alle Beteiligten zu einem Volkshochschul-Grundkurs Richtig Lesen' anzumelden." Am Montagabend gab Münster bekannt, Einspruch gegen die 1:3-Niederlage eingelegt zu haben. "Mit dem unzulässigen Wechsel hat unser Gast das Spiel zu unseren Ungunsten entscheidend beeinflusst", wird Preußen-Sportdirektor Peter Niemeyer in der Mitteilung des Klubs zitiert: "Nun stehen wir in der Verantwortung denen gegenüber, die diesen Klub, der wie viele andere auch vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen steht, unterstützen und ihm die Treue halten."

Wie die Sache ausgeht, ist offen. Zu klären wird sein, ob die Schuld dann allein dem VfL auferlegt wird oder ob den Schiedsrichter Christian Dingert als hauptamtlichen Regelhüter zumindest eine Teilschuld trifft - und wenn ja, wie die Argumente am Ende gewichtet werden: Hat der unzulässige Wechsel zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ausgang des Spiels beeinflusst? Reicht das aus, um Münster nachträglich zum Sieger zu erklären? Oder wird in diesem Fall ein Wiederholungsspiel angesetzt?

Die Geschichte der Wechselfehler hält einen nahezu gleichen Fall bereit

Klar ist jedenfalls, dass van Bommel beim Champions-League-Teilnehmer Wolfsburg ein Debüt hingelegt hat, das in Teilen des Internets Spott und Häme nach sich zog. "Das erste Pflichtspiel und er landet direkt vor dem Sportgericht", war etwa einem der vielen Beiträge zu entnehmen, der auf seine rustikale Gangart als einstiger Mittelfeldmann anspielte: "Manche Dinge ändern sich eben nie!" Von einigen Beobachtern wurde van Bommels Verpflichtung als VfL-Coach durchaus kritisch eingeschätzt, da Leistungsnachweise auf höchstem Niveau in dessen Trainervita noch eher Mangelware sind.

Die Skeptiker dürfte es daher eher nicht milde stimmen, dass die Geschichte der Wechselfehler auch einen ähnlichen Fall bereithält: Im Jahr 1996 wechselte Klaus Augenthaler, der Franz Beckenbauer für eine Partie auf der Trainerbank des FC Bayern vertrat, gegen Fortuna Düsseldorf vier statt der damals erlaubten drei Spieler ein. Vor dem Sportgericht landete die Sache aber nie: Für beide Teams ging es am letzten Bundesliga-Spieltag um nichts mehr, weshalb nach dem 2:2 auf ein juristisches Geplänkel wohlwollend verzichtet wurde.

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