Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Schalke siegt erstmals nach 273 Tagen

Mit 4:1 gewinnt Schalke tatsächlich nach Monaten wieder ein Pflichtspiel - doch das klare Ergebnis ist ein Trugbild. Lange war Regionalligist Schweinfurt in Reichweite einer Sensation.

Von Philipp Selldorf

Das Ergebnis, das nach dem Spiel auf der Anzeigetafel stand, kündete von klaren Verhältnissen und einem standesgemäßen Erfolg des Favoriten. Aber das Zahlenwerk hatte mit dem Geschehen relativ wenig zu tun, es schien fast ein Trugbild zu sein. Schalke 04 hatte vier Tore geschossen, der FC Schweinfurt 05 lediglich eines, soweit stimmten die Tatsachen. Nach 273 Tagen gewann S04 wieder eine Partie. Aber es war wesentlich enger, als das Resultat besagte. Die Schweinfurter hatten die Schalker leidenschaftlich herausgefordert und durften sich im fortgeschrittenen Stadium des Spiels in Reichweite einer Pokal-Sensation sehen. Doch die große Chance zum 2:2 ließ der Regionalligist in der 72. Minute aus, als Amar Suljic mit einem Foulelfmeter am Schalker Torhüter Ralf Fährmann scheiterte.

Niemand weiß, wie die derangierten Schalker diesen Gegenschlag verkraftet hätten. Erst das 3:1 durch Alessandro Schöpf in der 81. Minute beendete ihr Leiden, Schweinfurt fügte sich ins Schicksal - und geht nun ob der vorzeitigen Winterpause in Bayern in Kurzarbeit. Am Ende hatte man immerhin an Ansehen gewonnen und beendete den Ausflug in den Westen im Bewusstsein, ein großes Spiel geliefert zu haben. Besser waren die Schalker nur im Toreschießen.

Die Schalker zeigten von Anfang an, dass sie den Gegner nicht unterschätzten - sie waren gegen den Regionalligisten genauso nervös wie am Freitag gegen den VfB Stuttgart. Wobei: Vielleicht waren sie sogar noch nervöser. Auf das energische Offensivpressing des Gegners wussten die Hausherren keine andere Antwort als den permanenten Rückwärtsgang. Kein Spieler hatte mehr Ballkontakte als Ralf Fährmann, der anstelle von Frederik Rönnow das Tor hüten durfte und von Anfang an in den Mittelpunkt des Geschehens rückte. Manuel Baum hatte sein Team auf acht Positionen umgebaut, das sorgte nicht für Sicherheit, es herrschte Konfusion.

Einer der drei Verbliebenen war der 19-jährige Innenverteidiger Malik Thiaw, der sich am Freitag als Torschütze hervorgetan hatte und vom Trainer mit einem Sonderlob versehen wurde. Am Dienstag erlebte er hingegen alles andere als eine Sternstunde und musste zur Pause seinen Posten räumen. Thiaws Fehlerquote war bestürzend hoch, zumal die Schweinfurter schnell gemerkt hatten, dass er den wunden Punkt in der Schalker Deckung darstellte und ihn immer wieder attackierten. Die erste Fehlzündung brachte den 05ern schon nach drei Minuten den ersten Eckstoß - und beinahe das 1:0, nachdem Fährmann die Flanke unterschätzt hatte. Kristian Böhnlein stieg zum Kopfball hoch, die kurze Ecke war frei zum Einschuss, aber die Kugel landete neben dem Ziel.

Es ist der Klassiker dieses Wettbewerbs, dass sich Bundesligateams trotz inständiger Warnungen ihres Trainers davon überraschen lassen, dass auch unterklassige Mannschaften auf konkurrenzfähigem Niveau Fußball spielen können. Die Schalker kamen während der ersten zwanzig Minuten aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Schalke hatte öfter den Ball, befand sich damit aber meistens in der Defensive, Schweinfurt war die aggressivere, die aktivere und die weitaus gefährlichere Elf. Hier ein Volleyschuss von Benedict Laverty, der sich mitten im Strafraum herrlicher Freiheit erfreuen durfte, dort ein gekonnter Flachschuss von Adam Jabiri. Für Schalke wurde es allmählich peinlich, Trainer Baum sah es mit Grausen. "Spielen!", rief er seinen Leuten zu, wenn sie wieder den Ball ziellos durch die Gegend schlugen. Aber außer Kapitän Benjamin Stambouli und Nabil Bentaleb hörte ihn keiner.

Nach circa zwanzig Minuten ließen Euphorie und Schwung auf Schweinfurter Seite nach, angriffslustig blieben die Franken immer noch. Mitten ins vermeintliche Schalker Erwachen setzte Martin Thomann das 1:0. Sascha Marinkovic hatte ihn nach einem der 1001 Schalker Ballverluste halbrechts in Position gebracht, ein Haken um den unglückseligen Thiaw, ein platzierter Schuss, da war's geschehen (37.). Die Schweinfurter jubelten so ausführlich, als wäre das schon der Siegtreffer. Aber das war er nicht. Der Erstligist gab umgehend die Antwort. Zwei Minuten später ließ Vedad Ibisevic, ganz der routinierte Torjäger, das 1:1 folgen. Mit dem Remis waren die Schalker gut bedient, doch es kam sogar noch besser für sie. Alessandro Schöpf gelang kurz vor der Pause sogar noch das 2:1.

In der zweiten Halbzeit mussten die Schweinfurter ein wenig zurückstecken, das Forechecking und die intensiven Zweikämpfe hatten viel Kraft gekostet. Einen annähernd souveränen Auftritt des Favoriten ließen sie zwar immer noch nicht zu, die Angriffswellen der ersten Halbzeit aber konnten sie nicht wiederholen. Tobias Strobl füllte die nachlassenden Kapazitäten mit einer Reihe von Einwechslungen auf und brachte damit neuen Elan ins Team. Am Ende war es der Ersatztorwart Fährmann, der beim Foulelfmeter die Schlüsselszene der Partie zu Schalkes Gunsten entschied.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5103388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.