Süddeutsche Zeitung

Schalke im DFB-Pokal:"Im Bus wird es relativ viel Platz geben, aber wir werden da sein"

Lesezeit: 3 min

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vor neun Jahren, am Abend des 2. März 2011, passierte eine gute Viertelstunde lang wenig in der Arena in Fröttmaning, dann aber Folgendes: Jefferson Farfán brachte eine Ecke herein, Benedikt Höwedes sprang am höchsten, und plötzlich lief Raúl durch das Bild und beförderte den herumschwirrenden Ball auf wie immer kunstvolle Weise und mit größter Selbstverständlichkeit dorthin, wo er seiner Ansicht nach hingehörte: ins Tor des Gegners. Am Pfosten stand Thomas Müller und blieb ebenso Zuschauer wie Bayern-Torwart Thomas Kraft, soeben erst wieder dadurch berühmt geworden, dass ihn Jürgen Klinsmann bei Hertha für mehr oder weniger unbrauchbar erklärte. Was, wie Kraft gerade nachwies, ein Irrtum war.

Dieser Treffer blieb 2011 der einzige bei der Begegnung des FC Bayern mit Schalke 04 damals im Halbfinale des DFB-Pokals, und womöglich hat sich Trainer David Wagner mit den Bildern des Tores und mit der Geschichte dieses Überraschungserfolgs den nötigen Mut verschafft. Am Montag hat Wagner jedenfalls verkündet, seine Mannschaft und er blickten "mit einer gewissen Vorfreude" dem nächsten Pokalduell mit den Bayern entgegen, am Dienstagabend (20. 45 Uhr) in Gelsenkirchen. Diesmal im Viertelfinale.

Von langwierigen Verletzungen führender Stammspieler geplagt

Als er diese Worte sprach, sah der Trainer allerdings nicht so aus, als ob er der Veranstaltung entgegenfiebere. Schalke, das hat sich herumgesprochen, ist sportlich nicht in bester Verfassung, hat bei den Bayern neulich 0:5 verloren und wird außerdem von langwierigen Verletzungen führender Stammspieler geplagt. Sieben Profis werden am Dienstag umständehalber fehlen, weshalb Wagner den Fans nicht viel mehr als die bloße Anwesenheit versprechen wollte: "Im Bus wird es relativ viel Platz geben, wenn wir morgen ins Stadion fahren - aber wir werden da sein." Allerdings müssen auch die Bayern kurzfristig noch auf Lucas Hernandez verzichten, der wegen einer Sehnenreizung in München geblieben ist. Der Einsatz des grippekranken Jérôme Boateng gilt als fraglich.

Es könnte aber tatsächlich der Rede wert sein, wenn die bloße Gegenwart der Hauptdarsteller während der 90 oder 120 Spielminuten nicht in Zweifel gezogen werden müsste. Denn vor der Partie gegen die Bayern denkt man in Gelsenkirchen sowohl ans vergangene wie an das folgende Wochenende. Einerseits hat man die Ereignisse beim Spiel der Bayern in Hoffenheim im Blick, andererseits bereitet man sich darauf vor, dass am Samstag just Hoffenheim auf Schalke vorstellig wird. Nach den Vorfällen in Sinsheim, die sich gegen TSG-Gönner Dietmar Hopp bzw. den DFB richteten, hatte Schalkes Vorstand am Sonntag eine weitreichende Ansage gemacht: Sollten "derartige Vorkommnisse sichtbar werden, wird unsere Mannschaft den Platz verlassen - ungeachtet der Spieldauer, des Resultats oder etwaiger Konsequenzen".

Damit wollte man wohl beispielhafte Entschlossenheit zum Ausdruck bringen: Schalke werde auf eindeutige Entgleisungen sofort reagieren - und nicht nach dem abgestuften Verfahren, das zunächst Warnungen an Provokateure vorsieht, bevor ein Spielabbruch zur Debatte gestellt wird. Diese Mitteilung des Vorstands irritierte die Fachwelt und verärgerte den harten Kern der Fans. Gerade Schalkes Ultras hatten sich bei den in manchen Kurven obligatorischen Protesten gegen Hopp und Hoffenheim weitgehend zurückgehalten.

Dass sie womöglich etwas übereifrig formuliert hatten und dadurch Gefahr liefen, den eigenen Handlungsspielraum drastisch einzuengen, scheint am Montag auch den Schalker Führungskräften klar geworden zu sein. Medienchef Thomas Spiegel kündigte an, es werde am Abend ein Gespräch zwischen den Vertretern der Vereine, der Polizei und des DFB geben, idealerweise unter Einbeziehung der Schiedsrichter. Man wolle "ein gemeinsames Verständnis entwickeln: Wie handelt man in welcher Situation?" Der Klub werde aber auch "die Position und die Meinung der Fans achten", es werde "Freiraum für Meinungsäußerung" geben, aber "keine Toleranz für persönliche Beleidigungen".

Was ist erlaubt, wo wird es diffamierend? Dazu hat es am Wochenende viel Anschauungsunterricht gegeben, auch an Schauplätzen, wo die Vertreter des DFB überreagiert haben. Auf Schalke hat man registriert, was beim Drittligaspiel in Meppen geschah, als Anhänger des MSV Duisburg in Reimform an der konzertierten Fanaktion teilnahmen. Sie nannten Hopp beim Namen, beleidigten ihn aber nicht - trotzdem wurde die Partie unterbrochen.

Und wenn in Gelsenkirchen erneut auf einem Transparent das Stichwort "Hurensohn" zu sehen wäre? Dann wird es für Schalke darauf ankommen, ob es persönlich zugeordnet oder nur als Reizbegriff verwendet wird. "Unsere Fan- und Sicherheitsbeauftragten sind in einem guten Austausch mit den Fangruppen", sagte Sprecher Spiegel. Kenner glauben eher nicht an einen Skandal zur abendlichen Fernsehstunde. Man rechnet mit Protesten, aber nicht mit impulsiven Trotzreaktionen.

Auch David Wagner muss sich vor dem Spiel am Dienstagabend mit einem Fall von Hetze beschäftigen. Ob er es wagen wird, Alexander Nübel wieder einzusetzen, nachdem der Torwart am Samstagabend beim 0:3 in Köln der Häme und der Ablehnung der eigenen Fans begegnete? Auch der Trainer verwies auf ein Gipfeltreffen am Montagabend. Zuerst werde er mit den Torhütern sprechen, dann werde er entscheiden. Nübels Vorfreude auf die Bayern dürfte sich jedenfalls in Grenzen halten.

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SZ vom 03.03.2020
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