DFB-Pokal:Ein Leipziger Wirbelsturm fegt über Freiburg hinweg

DFB-Pokal: Provokation oder einfach nur Freude? Mit Tänzchen wie diesem von Christopher Nkunku (links) brachten die überlegenen Leipziger ihre Gegner so auf, dass es eine ungemütliche zweite Halbzeit für die Sachsen wurde.

Provokation oder einfach nur Freude? Mit Tänzchen wie diesem von Christopher Nkunku (links) brachten die überlegenen Leipziger ihre Gegner so auf, dass es eine ungemütliche zweite Halbzeit für die Sachsen wurde.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Rot, Rudelbildung und sechs Tore: In einem turbulenten Pokal-Halbfinale setzt sich Leipzig mit 5:1 in Freiburg durch. Einige Freiburger Fans müssen von SC-Spielern beruhigt werden.

Von Sebastian Leisgang, Freiburg

Musste das denn sein? Es ist noch nicht einmal einen Monat her, als der SC Freiburg die Dreistigkeit besaß, sich über einen Sieg in München zu freuen und dem 2:1 dann auch noch ein Video zu widmen, das vor dem darauffolgenden Bundesligaspiel gegen den FC Bayern auf den Bildschirmen im Stadion lief. Und jetzt? Beim Pokalspiel am Dienstagabend gegen RB Leipzig? Da meinten die Freiburger, sie müssten in einem weiteren Film, das stelle man sich nur mal vor, gleich ihren gesamten Weg ins Halbfinale nachzeichnen und damit nicht nur Joshua Kimmich und die Bayern, sondern auch den 1. FC Kaiserslautern, den FC St. Pauli, den SV Sandhausen und ein bisschen auch die ganze Fußballwelt provozieren.

Wer später Erklärungen suchte, warum Leipzig Freiburg mit seinen Hochgeschwindigkeitsspielern regelrecht überrannt und mit einem 5:1 aus dem Pokal geworfen hatte, der konnte die Ursache eigentlich nur in diesem unerhörten Video finden.

Rational war es kaum zu erklären, was sich da bis zur Halbzeit auf dem Rasen zugetragen hatte. Die erste Torchance bot sich zwar Michael Gregoritsch nach gerade einmal 90 Sekunden, doch dann fegte ein derartiger Wirbelsturm über die Freiburger hinweg, dass das Spiel schon zur Pause entschieden war. Nachdem Christopher Nkunku freistehend verzogen hatte, als er alleine vor dem Freiburger Tor aufgetaucht war, traf Dani Olmo nach einer Flanke per Kopf - dann legte Benjamin Henrichs mit einem Flachschuss aus zehn Metern nach. "RB hat mit jedem Schuss getroffen", sagte SC-Kapitän Christian Günter im ZDF-Interview. "Wir haben auf die Fresse bekommen."

Freiburg wurde dem Leipziger Sturm und Drang nicht mehr Herr und reagierte schon nach 20 Minuten: Kiliann Sildillia ging, Vincenzo Grifo kam. Ein Wechsel, der mit einer veränderten Grundordnung einherging und dazu führte, dass sich das Spiel zunächst etwas beruhigte - doch dann zog Leipzig das Tempo an: Dominik Szoboszlai vollstreckte nach einem Doppelpass mit Olmo, ehe Nkunku noch vor der Pause das vierte Tor gelang. Was dann aber passierte, war bemerkenswert. Unmittelbar nach dem 0:4 erhob sich der Freiburger Anhang und beklatschte seine Mannschaft, die in dieser Saison schon so viel Freude bereitet hat.

Fankurven können eine Kraft entfalten, die eine Mannschaft durch ein Spiel trägt. Sie können aber auch eine Wucht entwickeln, die die Mannschaft unter sich erdrückt. In diesem Falle wäre ein 0:4 zur Halbzeit kaum zu ertragen, doch der Trost, den die Freiburger Fans den Spielern am Dienstagabend in der Stunde der nahenden Niederlage spendeten, hatte beinahe etwas Rührendes. Doch bei einigen der Freiburger Anhänger kippten die Emotionen ins Negative. Nach einem Foul des Freiburgers Lukas Kübler an Willi Orban im Leipziger Strafraum kam es zu einer Rudelbildung (68.). Aus dem Freiburger Block flogen Gegenstände auf die Leipziger, einige Anhänger waren nicht weit davon entfernt, den Rasen zu betreten. Einige SC-Spieler um Michael Gregoritsch beruhigten die Lage.

DFB-Pokal: Vincenzo Grifo (32) und Kapitän Christian Günter machen einem der SC-Anhänger klar, dass er auf dem Fußballplatz nichts zu suchen hat.

Vincenzo Grifo (32) und Kapitän Christian Günter machen einem der SC-Anhänger klar, dass er auf dem Fußballplatz nichts zu suchen hat.

(Foto: Jan Huebner/Imago)

Christian Streich will die öffentliche Wahrnehmung zurechtrücken

Im Grunde ist es, dem Pokal-Aus zum Trotz, eine aufsehenerregende Saison, die die Freiburger da spielen. In der Bundesliga sind sie vier Spieltage vor Schluss auf bestem Weg, sich zum ersten Mal überhaupt für die Champions League zu qualifizieren, im DFB-Pokal kamen sie weiter als Borussia Dortmund und Bayern München - und in der Europa League war erst im Achtelfinale gegen Juventus Turin Schluss.

Der Höhenflug hat Trainer Christian Streich kürzlich wieder einmal dazu veranlasst, die Dinge und vor allem die allgemeine Sicht auf die Dinge zurechtzurücken. Freiburgs Trainer sagte also bei der Pressekonferenz vor dem Pokalspiel gegen Leipzig: "Normal wären wir heute an unserem freien Tag spazieren gegangen, hätten uns am Dienstagabend vor den Fernseher gehockt und gesagt: Bayern gegen Leipzig - ein tolles Spiel."

Weil Freiburg die Bayern aber ausgeschaltet hat, schaute Streich am Dienstagabend nicht auf den Fernsehbildschirm in seinem Wohnzimmer, sondern auf die Anzeige im Stadion. Was Streich mit seiner Aussage aber klarstellen wollte, war etwas, das in seinen Augen in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zu kurz kommt. Streich findet nämlich: Wenn der SC Freiburg ein Halbfinale austrägt, dann ist es das eine Besonderheit und keine Selbstverständlichkeit.

Mittlerweile ist der Sportclub aber derart gereift, dass er es an guten Tagen auch mit den Besten aufnehmen kann. Inzwischen hat sich das Team auch diese Kühle und Abgeklärtheit angeeignet, die Spitzenmannschaften auszeichnen. Am Dienstag aber war kein guter Tag, in der ersten Hälfte brachen alle Dämme, ehe Freiburg im Zusammenspiel mit seinen vernünftigen Fans wieder aufstand und nach einer Notbremse und einer roten Karte für Josko Gvardiol doch noch einmal jubeln durfte: Bevor Szoboszlai in der Nachspielzeit per Elfmeter den Schlusspunkt setzte, erzielte Gregoritsch das zwischenzeitliche 1:4 und tauchte auf jener Videotafel auf, auf der vor dem Spiel der Pokalfilm gelaufen war. Eine weitere Sequenz wird nun nicht mehr dazukommen.

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