Rot-Weiss Essen im DFB-Pokal:Der Pokalschreck der Saison

01. Runde 20/21 Fußball DFB-Pokal Rot-Weiss Essen - Arminia Bielefeld am 14.09.2020 im Stadion Essen in Essen v.l.n.r.Ma; Rot Weiß Essen

Jubel in Essen beim Sieg gegen Arminia Bielefeld.

(Foto: imago images/Markus Endberg)

Bielefeld rausgeworfen, Düsseldorf geschlagen, nun kommt Leverkusen: Viertligist Rot-Weiss Essen steht für längst vergangenen Ruhm des Fußballs im Ruhrgebiet - auch die Legende "Ente" Lippens hofft nun.

Von Ulrich Hartmann, Essen

Vor dem Stadion steht "der Boss" auf einem Bein. Seit 17 Jahren holt er zum Schuss aus, aber er schießt nie, denn dieser Helmut Rahn ist aus Bronze. Stoisch hat die metallene Vereinslegende Rot-Weiss Essens Zweitliga-Abstieg vor 14 Jahren ertragen, stoisch auch ein Jahr darauf den Drittliga-Abstieg sowie zwei Jahre später insolvenzbedingt den Sturz in die vierte Liga. Seit der Rückkehr dorthin 2011 ist Essen nun schon fast zehn Jahre viertklassig - aber jetzt im DFB-Pokal-Achtelfinale der letzter Vertreter aus den Niederungen des Fußballs.

Man wird an diesem Dienstag natürlich auch kein Lächeln in Rahns bronzenem Gesicht erkennen, wenn seine Essener den Bundesligisten Bayer Leverkusen empfangen. Pokalprämien von insgesamt knapp einer Million Euro durch die Siege gegen den Bundesligisten Arminia Bielefeld und den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf haben dem Klub in der Corona-Krise bereits Linderung verschafft. Doch die eigentlich wichtigere Partie als das Duell mit Bayer 04 ist am kommenden Samstag das Regionalliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund II. Die Essener wollen unbedingt in die dritte Liga aufsteigen, dazu wäre ein Sieg gegen den Hauptkonkurrenten und Tabellenführer BVB sehr hilfreich.

Als Helmut Rahn noch aus Fleisch und Blut war, war sein Klub im deutschen Fußball kurz das Maß der Dinge. Das ist fast 70 Jahre her. 1953 wurde Essen Pokalsieger. 1954 schoss Rahn Deutschland in Bern zum Weltmeistertitel. 1955 wurde Essen deutscher Meister. 1956 weihte man das Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße als modernstes Stadion Deutschlands ein, mit dem ersten Flutlicht überhaupt. Insgesamt sieben Spielzeiten hat Essen in der Bundesliga mitgewirkt. 1977 stieg der Klub letztmals aus der höchsten deutschen Klasse ab - mit Berühmtheiten wie Horst Hrubesch, Frank Mill und Werner Lorant.

"Der Verein hat lange im Gestern gelebt", sagt Marcus Uhlig, 49. Essens Vorstandsvorsitzender war sechs Jahre alt, als sein Lieblingsklub zuletzt die Bundesliga verließ. Seit nun drei Jahren versucht der ehemalige Manager von Arminia Bielefeld, Rot-Weiss Essen erst einmal wieder in die dritte Liga zu hieven und irgendwann dann am liebsten auch in die zweite.

Willi Lippens wünscht sich ein Signal: "Wir sind noch da. Wir leben noch!"

Diese Herausforderung hat eine finanzielle und eine sportliche Komponente. Finanziell verläuft das Corona-Jahr für Essen halbwegs erträglich, wegen der unerwarteten Pokalprämien und der Treue von Sponsoren und Fans. 94 Prozent der Dauerkarteninhaber haben vergangene Saison auf eine Rückerstattung verzichtet, 85 Prozent des Sponsorings blieben erhalten. 5000 Menschen kauften trotz aller Ungewissheit eine Dauerkarte für die neue Saison. Die Leidenschaft der Fans ist das Lebenselixier des Klubs. "Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass wir die Pokalspiele gegen Bielefeld, Düsseldorf und Leverkusen ohne unsere Fans bestreiten", sagt Uhlig, "aber durch Corona kommen wir nicht zuletzt wegen dieser Pokalerfolge mit einem blauen Auge hindurch."

6,5 Millionen Euro Gesamtetat hat Uhlig für diese Saison zusammengekratzt. Im vergangenen Sommer hat sich Essen vom vormaligen HSV-Trainer Christian Titz getrennt und in Christian Neidhart vom Drittligisten SV Meppen einen Trainer verpflichtet, der laut Uhlig neben allen Basiskompetenzen auch "eine überragende Empathie für die Kabinen-Hygiene" zeigt. Vom Ligakonkurrenten Oberhausen kam vor dieser Saison der Torwart Daniel Davari, 33, der einst 29 Bundesliga- (für Braunschweig) und 75 Zweitligaspiele absolviert hat. Aus Chemnitz war ein Jahr zuvor Dennis Grote, 34, gekommen, der einst 69 Bundesliga- (für Bochum) und 50 Zweitligaspiele bestritt. Neu kam im Sommer auch Mittelstürmer Simon Engelmann, 31, vom Ligakonkurrenten Rödinghausen - er hat in 22 Ligaspielen schon 20 Tore geschossen. "Ein Lewandowski in klein", sagt Uhlig stolz. Torwart Davari, Abwehrchef Grote und Torjäger Engelmann bilden das Rückgrat der Mannschaft.

Essen ist seit einem Jahr in Pflichtspielen unbesiegt. Die bisher letzte Niederlage war am 1. Februar 2020, ein 0:2 gegen Rödinghausen - da traf Engelmann noch für den Gegner. Trotzdem bleibt der ersehnte Aufstieg in die dritte Liga unwägbar, denn die BVB-Reserve hält hartnäckig mit, und nur der Meister der 21 Teilnehmer starken Liga steigt auf. "Zwischen der Regionalliga und der dritten Liga ist das kleinste Nadelöhr des deutschen Fußballs", weiß Uhlig. Das Topspiel am Samstag hat also wegweisende Bedeutung. Das Pokalspiel gegen Leverkusen wollen die Essener trotzdem mit maximaler Kraft angehen. "Wir sagen nicht einfach nur: Wir wollen das genießen", betont Uhlig, "Leverkusen ist eine High-End-Maschine - da wollen wir Sand reinstreuen."

Willi Lippens, 75, ist mit 79 Toren in 172 Bundesligaspielen Essens erfolgreichster Torschütze. "Frech sein und vorne Druck aufbauen!", rät er der Mannschaft für das Pokalspiel. "Wenn Essen noch einmal einen Höhepunkt im Pokal setzen könnte", sagt Lippens, "dann würde man ganz Fußball-Deutschland zeigen: Wir sind noch da, wir leben noch."

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