Pokal-Halbfinale Leipzig vs Union:Berlin-Ost gegen Salzburg-Nord

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RB Leipzig gegen Union Berlin, starke Kabine gegen starke Tribüne: Das ist die Ausgangslage im zweiten Pokalhalbfinale am Mittwoch. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Zwei Vereine aus dem Osten stehen im Halbfinale des DFB-Pokals - aber weder RB Leipzig noch Union Berlin taugen als Beispiele für romantische Erzählungen.

Von Felix Haselsteiner, Leipzig

Für einen kurzen Moment hätte man Domenico Tedesco sogar den Sachsen abgekauft. "Wenn man die Mitarbeiter reden hört", sagte Leipzigs Trainer auf der Pressekonferenz vor dem Pokal-Halbfinale, habe man schon das Gefühl, weiterhin ein Ost-Verein zu sein. Den ersten Teil des Satzes sagte der in Italien geborene und in Schwaben aufgewachsene Tedesco in breitem Sächsisch, jedoch keineswegs in dem nachäffenden Ton, mit dem der Leipziger Dialekt manchmal imitiert wird. Es klingt bei ihm eher wie eine Hommage: "Ich mag die Menschen hier, sie haben ein großes Herz."

Tedesco hat die Mentalität des Ostens tatsächlich schon kennengelernt, im engeren und weiteren Sinne. Erst bei Erzgebirge Aue, wo die Atmosphäre so familiär gewesen sei, dass die Buchhalterin vor dem Spiel jeden Spieler umarmt hätte, dann später bei Spartak Moskau. Leipzig sei so gesehen seine dritte Ost-Station, sagt Tedesco, halb im Scherz. Er möge die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Verein, er möge aber übrigens auch die Fans von Union Berlin, die am Mittwoch nach Leipzig reisen werden: "Sie machen gute Stimmung."

Es wäre eigentlich eine schöne Geschichte, die dieses Spiel am Mittwoch erzählen könnte. Zum ersten Mal seit 1994 stehen wieder zwei Vereine aus dem geografischen Osten des Landes im Halbfinale des DFB-Pokals, damals schieden Dynamo Dresden und Tennis Borussia Berlin (aus dem Westteil der Stadt) jeweils aus. Das kann nun im direkten Duell nicht passieren, dennoch lässt sich keine Romantik herbei stilisieren: Die Geschichte von der famosen Rückkehr des Ost-Fußballs in die höchsten Ränge der Bundesliga und womöglich nach Europa erzählen weder RB Leipzig noch Union Berlin.

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Der Trainer Zorniger erinnert sich noch an das erste Duell von RB gegen Union

Dass RasenBallsport Leipzig kein glaubhafter Vertreter ostdeutscher Fußball-Tradition ist, ist selbst denen bewusst, die den Aufstieg des Vereins aus der Regionalliga mit begleitet haben. Alexander Zorniger jedenfalls wurde von gegnerischen Fans immer wieder daran erinnert, dass er zwar für einen Verein im Osten arbeitet - aber nicht für einen, der der Vorstellung der Traditionalisten entspricht. Von 2012 bis Februar 2015 war Zorniger Trainer in Leipzig, zu einer Zeit also, aus der er berichtet, dass "unsere Fans wegen der Anfeindungen teilweise keine RB-Trikots angezogen haben, als sie zu den Spielen angereist sind".

Zorniger erlebte die Phase, in der die wöchentlichen Reisen durch die östliche Regionalliga für RB deutlich mehr Abenteuer bedeuteten als Tedescos heutige Europapokal-Ausflüge. "In meinem ersten Jahr haben wir in der Regionalliga noch gegen die zweite Mannschaft von Union Berlin gespielt", sagt Zorniger. Er weiß noch, wie er und der damalige RB-Sportchef Ralf Rangnick sich einst bei Schneetreiben auf einer Sportanlage am Berliner Bruno-Bürgel-Weg einfanden und dort von den Union-Fans "immer wieder von hinten beleidigt wurden". Wie genau die Wortwahl ausfiel, möchte Zorniger nicht mehr darlegen; daran, dass RB-Stürmer Daniel Frahn mit einem Panenka-Elfmeter für den 2:1-Endstand sorgte, erinnert er sich aber noch.

Schon lange nicht mehr allein im Stadion: Das RB-Maskottchen animiert die Leipziger Zuschauer. (Foto: Roger Petzsche/Imago)

Am Ende der Saison stieg Leipzig auf, 2014 erlebte Zorniger dann gegen Union die erste Zweitliga-Niederlage von RB: "An der Alten Försterei haben wir zum ersten Mal gespürt, wie weh uns das Feuer tun kann, das gegnerische Fans entfachen - und dass wir uns davon aus dem Tritt bringen lassen können." Leipzig setzte sich dennoch spielerisch durch, der Erstliga-Aufstieg wurde zum Image-Erfolg eines Brausekonzerns und eines Fußball-Systems, das Zorniger vor allem Ralf Rangnick zuschreibt.

Kulturell hat sich in Leipzig seitdem viel getan: Es gibt ein gemeinsames Fanprojekt aller Leipziger Vereine, das ehemalige Zentralstadion heißt heute Red-Bull-Arena und ist gut gefüllt, Fans können Trikots im Store in der Leipziger Petersstraße kaufen und es dann auch tragen, ohne in der Straßenbahn mit Anfeindungen rechnen zu müssen. Nur die Frage, wie das dem Ost-Fußball genau geholfen hat, ist nicht eindeutig zu beantworten: Leipzig spielt regelmäßig international, die Traditionsvereine verteilen sich auf die unteren Ränge der zweiten Bundesliga, die dritte Liga und die Regionalliga.

"Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen": Nicht alle singen das mit

An der sogenannten Fan-Basis hat sich daher in der Einstellung gegenüber dem Verein RB Leipzig wenig verändert. "Leipzig ist nicht Ost-Fußball, sondern Fuschl-am-See-Fußball", sagt zum Beispiel Oliver Jauer. Jauer ist Autor beim Union-Blog Textilvergehen und Fan des Vereins. Er meint mit der Erfahrung zahlreicher Stadionbesuche in Leipzig, dass die Intensität des Protests gegenüber "Nord-Salzburg" sich in den vergangenen Jahren nicht verändert habe: "Solange eine aktive Fanszene im Stadion ist, werden wir uns immer gegen das Konstrukt RB positionieren."

Jauer spricht allerdings bewusst ungern für alle, Union-Fans sind als heterogene Gruppe bekannt. Anderswo im Osten gibt es linke und rechte Fankurven und Szenen pro und contra DDR, bei Union halten sich viele mit extremen Haltungen eher zurück. Geschuldet ist das auch der Vereinsgeschichte: In der DDR-Oberliga spielte man den Antagonisten zum Lieblingsklub des Regimes, dem BFC Dynamo - Teil des Systems war man in Köpenick dennoch irgendwie. Will man die Fans heute ein wenig den Lagern zuordnen, muss man bei der Vereinshymne genau hinhören: "Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen", singt Nina Hagen. Es ist eine Zeile, in die manche Unioner begeistert einstimmen - und die andere bewusst auslassen.

Bootsfahrt in Berlin: Fans von Union reisen bis zur Köpenicker Altstadt mit dem Union-Dampfer. Sie wurden doppelt belohnt, weil ihr Klub danach 2:0 gegen Frankfurt gewann. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Jauer sagt, er singe den Satz nicht mit: "Das ist für mich nicht die Zeile aus der Hymne, die entscheidend ist." Aus seiner Sicht geht es bei Union nicht um ein Image, sondern um Werte wie die vier Stadion-Grundregeln (niemals auspfeifen, nicht früher gehen, keinen Sündenbock suchen, am Ende des Spiels heiser sein): "Ich glaube, dass wir in unserem eigenen Bewusstsein noch nie ein richtiger Ostverein waren, sondern eher aus Berlin kommen." Die Ostvereine, das seien Dresden, Rostock, Cottbus und Leipzig (Lok und Chemie, wohlgemerkt), aber nicht Union.

Man brauche daher auch gar nicht erst eine Rivalität zwischen RB Leipzig und Union Berlin stilisieren, sagt Jauer noch. Sportlich trennen beide Vereine in der Bundesliga nur zwei Plätze, beide könnten Deutschland in der kommenden Saison in Europa vertreten. Ansonsten treffen am Mittwochabend zwei Vereine aufeinander, die gut begründen können, warum sie für Ost-Romantik nicht als Beispiel taugen.

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