Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Herzblut hinterm Deich

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Ein Vereinschef nach Uli-Hoeneß-Vorbild und ein sehr junger Trainer führen den Gladbacher Erstrunden-Gegner SV Drochtersen-Assel.

Von JÖRG MARWEDEL, Drochtersen

Enrico Maaßens Arbeitsplatz auf der Elbinsel Krautsand ist nur wenige Meter vom Deich entfernt. Auf dem Erdwall grasen einige hundert Schafe, dahinter fließt die Elbe. Ein riesiger Tanker schiebt sich gerade in Richtung Hamburger Hafen, der etwa 30 Kilometer entfernt liegt. Maaßen, 32, ist hier Leiter des Fitness-Centers "KörperZeit" im Elbstrand-Resort, einem Appartement-Hotel mit Wasserblick. Sein zweiter Arbeitsplatz liegt fünf Kilometer entfernt: das Kehdinger Stadion, in dem die SV Drochtersen-Assel an diesem Samstag den Champions-League-Anwärter Borussia Mönchengladbach in der 1. Runde des DFB-Pokals empfängt. Zum "Höhepunkt der Vereinsgeschichte", wie der Vorsitzende Rigo Gooßen sagt. Maaßen ist Trainer dieser Fußball-Mannschaft; bundesweit ist er einer der jüngsten in den obersten vier Spielklassen.

Bei beiden Jobs ist Gooßen, 56, sein Chef. Der Steuerberater, der im nahen Stade eine Kanzlei hat und etliche Immobilien besitzt, führt den 2015 in die Regionalliga Nord aufgestiegenen Klub aus dem Kehdinger Land, einem Marsch- und Moorgebiet zwischen Hamburg und Bremen, als eine Art Manager seit 32 Jahren. Zuweilen nennt man ihn den Uli Hoeneß von Drochtersen, weil er genau so viel Herzblut in den Verein steckt wie der FC- Bayern-Patron - und weil auch er schon einmal, 2013, mit einer Selbstanzeige von sich reden machte. Der Klub hatte Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt und Gooßen zahlte lieber einen sechsstelligen Betrag, statt sich weiter mit dieser "komplizierten" Materie vor Gericht auseinanderzusetzen, wie er sagt.

Auf jeden Fall hat er, wenn auch ein paar Nummern kleiner, schon jetzt ein ähnlich "legendäres Lebenswerk" geschaffen, wie er es Hoeneß attestiert. Mit viel "Bauchgefühl" hat Gooßen so viele gute Personalentscheidungen getroffen, dass Drochtersen, (11 000 Einwohner) nach etlichen Aufstiegen im ersten Regionalliga-Jahr gleich Vierter wurde. Zu seinen guten Entscheidungen gehört der Entschluss, dem ehemaligen Spieler Maaßen, der nach zwei Kreuzbandrissen aufhören musste, das sportliche Sagen zu übertragen. Maaßen, ein Mecklenburger aus Wismar, der als Halbprofi in Verl und Goslar spielte, ist sehr ehrgeizig. Und er hat offenbar ein gutes Gespür für den Umgang mit den Spielern. Die sollen sich, so Gooßen, "mit dem Dorf und dem Verein identifizieren", also "bodenständig" sein. Ein Drittel des Teams ist eigener Nachwuchs, wozu Gooßen mit seinen Söhnen Jasper und Thilo beitrug. Jasper ist noch immer dabei, meist als Joker.

Dennoch kommt nun auf Maaßen nach "zwei Jahren never ending Erfolgsstory", so seine eigene Umschreibung, die schwierigste Zeit seiner jungen Trainerkarriere zu. In der zuletzt erfolgreichen Elf muss er sich jetzt mit Spielern auseinandersetzen, deren "Ego erheblich gewachsen" sei. Da müsse man schon einiges tun, "damit die Mannschaft zusammenbleibt", sagt der Coach. Zudem muss er sich mit neuen Ansprüchen der Fans beschäftigen. Die wollen künftig lieber Ballbesitz-Fußball statt Pressing-Fußball sehen. Wenn Maaßen diese ersten Schwierigkeiten überwinde, glaubt sein Chef, dann könne dessen Weg weiter nach oben gehen. Auch über Drochtersen hinaus, wo die Regionalliga wohl das Höchste ist, was man erreichen kann.

Für die Gladbach-Partie wurde das Stadion für 75 000 Euro mit provisorischen Stahlrohrtribünen von 2500 auf 7000 Plätze erweitert. Ein DFB-Papier von 188 Seiten musste der Klub durcharbeiten, damit er das Spiel daheim austragen kann. Das hatte schon fast "behördlichen Charakter", sagt Gooßen. Es ist übrigens nicht der erste Gladbach-Besuch in Drochtersen: 1992 gewann die Borussia 13:1, mit Profis wie Pflipsen, Fach und Criens. Diesmal hofft man im Kehdinger Land auf ein deutlich knapperes Ergebnis.

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SZ vom 18.08.2016
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