Hannover 96 im DFB-Pokal:Der Cup als Stimmungsaufheller

Lesezeit: 3 Min.

Szenen von 1992: Torwart Jörg Sievers (links) reckt gemeinsam mit Kapitän Michael Schjönberg den Pokal in die Höhe. (Foto: Rust/Imago)

Vor 30 Jahren gewann Hannover 96 als einziger Zweitligist den DFB-Pokal. Nun steht der Klub immerhin im Viertelfinale - und bräuchte dringend wieder ein paar gute Nachrichten.

Von Carsten Scheele, Hannover

Bevor in Hannover noch jemand zu träumen beginnt, schnell rüber zu Michael Schjönberg. Der frühere Kapitän von Hannover 96 hat schon vor ein paar Jahren verfügt, dass sich die Geschichte von 1992 nicht wiederholen wird. Es komme "nie wieder vor", dass eine Mannschaft aus der zweiten Liga den DFB-Pokal gewinnt, sagte Schjönberg Kraft seines Amtes als staatlich geprüfter Pokalheld. Widerspruch zwecklos.

Der dänische Abwehrspieler war damals Teil der Mannschaft des Zweitligisten, die sich auf wundersame Weise zum Pokalsieger erhoben hatte. Was war das für eine Reise, erst der Sieg im Halbfinale im Elfmeterschießen gegen Werder Bremen, die damals beste Mannschaft des Landes. Dann das Finale gegen Borussia Mönchengladbach, wieder Elfmeterschießen: Torwart Jörg Sievers - Spitzname "Colt", noch so ein staatlich geprüfter Pokalheld - parierte zwei Strafstöße von Karlheinz Pflipsen und Holger Fach, dann trat Schjönberg zum letzten Schuss an. Er verlud Gladbachs Torwart Uwe Kamps, der sprang nach rechts, Schjönberg zielte nach links.

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Er wisse noch alles über diesen Elfmeter, sogar die Uhrzeit, hat Schjönberg erzählt: 23. Mai 1992, Berliner Olympiastadion, 20.37 Uhr. Hannover war Pokalsieger, als bis heute einziger Zweitligist, dem dies je gelungen ist. Es wurde eine wilde Feier.

Hannover 96 ist geschrumpft - mit dem Aufstieg in die erste Liga wird es dieses Jahr wieder nichts

30 Jahre später gibt es zumindest ein paar kleinere Parallelen. Wie damals sind die großen Favoriten im Wettbewerb bereits ausgeschieden, vom FC Bayern bis Borussia Dortmund. Eine gute Gelegenheit für unterklassige Klubs wie Hannover, es weiter zu bringen als sonst. Am Mittwochabend (18.30 Uhr, Sky) kommt RB Leipzig in die Arena am Maschsee, das letzte große Kaliber unter den Viertelfinalisten. Gelänge hier ein Sieg, wäre das Pokalfinale plötzlich ganz nah.

Tolle Tage im Pokal: Im Achtelfinale gelang Hannover ein überraschend klarer Sieg gegen den Erstligisten Mönchengladbach. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Ein solcher Coup wäre ein ganz schöner Stimmungsaufheller, ist die Lage sonst doch eher trist. Nach zwischenzeitlich 16 Jahren Bundesliga und zwei Europapokalteilnahmen ist 96 zuletzt gehörig geschrumpft. Der Klub dümpelt irgendwo im Mittelfeld der zweiten Liga herum, zwischen Jahn Regenburg und dem SV Sandhausen; gute Nachrichten gibt es, wie vor 30 Jahren, nur im Pokal. Nach ungefährdeten Siegen gegen Norderstedt und Düsseldorf folgte im Januar das überraschende 3:0 im Achtelfinale gegen den Erstligisten Gladbach, der zuvor den FC Bayern rausgeworfen hatte. "Je stärker der Gegner wird, desto besser wird die eigene Leistung", sagte der frühere Torwart Sievers dem Sportinformations-Dienst, das gelte für damals wie für heute.

Immerhin wird - und das ist eine gute Nachricht - wieder über Fußball diskutiert. Jahrelang ging es in Hannover ja bloß um den mächtigen Boss Martin Kind und dessen Streit mit der organisierten Fanszene beim Thema 50+1. Zwischenzeitlich drohte diese Frage den Verein zu zerreißen, die Fans haben sich schließlich ein Stück Macht im Klub zurück erkämpft, Kind wurde zum Geschäftsführer degradiert, besser wurde es sportlich dadurch nicht. Auch nicht in dieser Saison, Platz zwölf nach 24 Spieltagen, die Abstiegsränge sind näher als die Aufstiegsplätze.

In der Hinrunde musste kurzzeitig sogar der Absturz in die dritte Liga bedacht werden, also musste in Jan Zimmermann mal wieder ein Trainer gehen, der zehnte in zehn Jahren. Der neue Coach, der frühere 96-Profi Christoph Dabrowski, 43, soll nun den Abstieg verhindern und ein Team aufbauen, das im kommenden Jahr wieder um den Aufstieg mitspielen kann. Und nebenbei im Pokal mitnehmen, was geht. "Die Vorfreude ist riesig. Wir haben überhaupt keinen Druck", sagte Dabrowski.

Der aktuelle Trainer: Christoph Dabrowski will "die Leute wieder begeistern" für den Fußball in Hannover. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der frühere Regionalligacoach galt zunächst als Kurzzeitlösung, ehe das Team zu siegen begann und 96-Chef Kind gar nicht mehr umhin kam, Dabrowski zum Chef zu befördern. Dabrowski kennt den Verein gut genug, um zu wissen, woran es bei 96 krankt. Es müsse die Aufgabe sein, "die Leute wieder zu begeistern", sagte Dabrowski, "dass die Leute wieder Bock haben auf das Ganze hier". Nicht nur im Pokal, wenn ein Erstligist kommt.

Sievers sieht die Sache übrigens nicht so streng wie sein Pokalheldkollege Schjönberg. Es sei "durchaus realistisch", dass in diesem Jahr wieder ein Zweitligist das Finale in Berlin erreiche, findet der frühere Torwart: "Wenn nicht in diesem Jahr, wann dann?"

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